piwik no script img

Archiv-Artikel

DVDESK Opferrituale für schwer verwirrte Götter

Dominik Graf: „Die Freunde der Freunde“. Deutschland 2001

Eine Geistergeschichte von Henry James verlegt Graf in ein bayerisches Internat

Billie und Arthur verbindet eine übersinnliche Erfahrung: Beide hatten die Erscheinung eines Menschen in der Stunde seines Todes, obwohl er an ganz anderem Ort starb. Einander begegnen werden Arthur und Billie auf angemessen unheimliche Weise erst ganz am Ende von Dominik Grafs 2001 entstandenem Fernsehfilm „Die Freunde der Freunde“. Zugrunde liegt eine Erzählung von Henry James, aus ihr stammen die Geister, aus ihr stammt auch die Scheu von Arthur und Billie vor der Fotografie. Aus dem 19. Jahrhundert und der Erwachsenenwelt verlegt Graf, der das Drehbuch gemeinsam mit Markus Busch entwickelte, seine Geschichte jedoch in die Gegenwart von Heranwachsenden in einem bayerischen Internat unweit von München. „Die Freunde der Freunde“ erzählt von erster Liebe und dazugehörigem Sex, von Geld und Verbrechen, von Gespenstern und Tod – an großen Themen herrscht also kein Mangel.

Das Genre der Literaturverfilmung bürstet Graf vom ersten Bild an gegen den Strich. Mitten hinein geht es, keine Exposition, keine Erklärung von Figuren und Setting, das Ganze ist auch alles andere als gediegen in Szene gesetzt. Das beginnt mit der Bildqualität. Die bewusst harten, unausgeleuchteten Digitalbilder gehören auf den ersten Blick ins quasidokumentarische Wahrnehmungsregister des Realismus und stehen in einem faszinierenden Spannungsverhältnis zur Abseitigkeit der Geistergeschichte. Ein Höhepunkt der Kontrastwirkungen: ein nächtliches Bacchanal, bei dem ein Ochse am Feuer gegrillt wird, so etwas wie die verwackelte Live-Übertragung von einem digitalfotografischen Opferritual für die schwer verwirrten Götter der Verfilmung von Hochliteratur.

Bewusst lückenhaft bleibt die Erzählung, kühn springt sie durch Zeit und Raum und öffnet genau dadurch beides sehr konsequent für die in der Schwebe bleibenden Geister. Man staunt und stutzt beim Zusehen kaum über die bei nüchterner Betrachtung so kühne Verbindung von naturalistischen Direktheiten im Bild, recht durchsexualisierter Sprache und der Aufladung mit spiritualistischen Abwegigkeiten. Ganz anders als aus deutscher Durchschnittsproduktion gewohnt, bezaubern auch die Jungstars Sabine Timoteo, Jessica Schwarz, Florian Stetter und Matthias Schweighöfer durch die Schroffheit, die Offenheit und die Brüchigkeit ihres Spiels. Das sind nach allen Seiten hin ambivalente Figuren, denen man alles abnimmt, alles zutraut und alles glaubt: den hohen Liebeston ebenso wie das Sturzbesoffene, das Geheimnis, das Vulgäre und die Geistererscheinung.

Es herrscht von Anfang bis Ende und sehr konsequent ein Ton der bedrohlichen Unbestimmtheit, der vom absichtlich hektischen Schnitt ebenso unterstützt wird wie von der Freude der Kamera (Hanno Lentz) am gezielten Herumfuhrwerken im Bildraum. Immer wieder werden bis dahin eher unbemerkt gebliebene Gegenstände – und sei es in einem kurzen Aufflackern – in Einzelaufnahmen herausgestellt, ohne dass ihnen jeweils eine große Bedeutung für die Handlung zukäme. Schnitt, Kamera und Erzählung arbeiten assoziativ und atmosphärisch statt funktional und stringent. Die elektronische Musik von Sven Rossenbach und Florian van Volxem hält die Stimmungen in Spannung und Schwebe zugleich und trägt viel dazu bei, dass es den Film, der so Gegensätzliches wagt, nie zerreißt.

In die insgesamt traurige DVD-Veröffentlichungs- bzw. Nichtveröffentlichungsgeschichte von Graf-Filmen passt die lieblose Minimal-DVD in einer Reihe mit dem Titel „Ausgezeichnet – Die Gewinner-FilmEdition“ leider nur zu gut hinein. Aber man muss ja schon froh sein, wenn eines der nicht nur im Kontext des deutschen Fernsehens und Films singulären Graf-Werke überhaupt auf DVD zugänglich wird. EKKEHARD KNÖRER

■ Die DVD ist für rund 10 Euro überall im Handel erhältlich