: Ein Flechtwerk des Trübsinns: Deine Lakaien und Silje Nes mit doch unterschiedlichen Neigungen zum Tragischen
Oscar Wilde hatte ja bekanntlich zu jedem Thema was zu sagen. Selbst und sogar posthum zu Deine Lakaien und Silje Nes. „Das Leben“, wusste der Oftzitierte bereits vor mehr als hundert Jahren, „das Leben ist eine Komödie für jene, die denken, eine Tragödie aber für jene, die fühlen.“ Die unmittelbare Folge ist: Musik, die ja bekanntlich hauptsächlich mit dem Ausdruck von Gefühlen beschäftigt ist, neigt gern zum Tragischen.
Diese Tragik kann allerdings sehr verschieden klingen. Im Falle von Silje Nes, einer seit einiger Zeit nun in Berlin lebenden Norwegerin, kommt sie auf eher leisen Sohlen. Nicht still, sonst wär’s ja keine Musik mehr, aber halt doch sehr zurückhaltend. Die als klassische Pianistin ausgebildete Nes hat auch ihr zweites Album „Opticks“ wieder weitgehend selbst eingespielt, hat nicht nur am Klavier gesessen, sondern auch am Schlagzeug, hat Gitarre, Cello, Xylophon oder Flöte gespielt. Beim Abmischen hat sie sich diesmal von Bernd Jestram unterstützen lassen, der sonst bei Tarwater spielt oder Filmmusiken komponiert. Zusammen haben sie aus akustischen Instrumenten und knacksenden Computern, beiläufigen Alltagsgeräuschen und fiesem Schaben einen sehr weiten, wüsten Klangraum zwischen Folk und Musique concrete erschaffen, in dem Nes’ Stimme nun lustwandeln darf. Dabei wird sie, die Stimme, die wie aus dem Jenseits zu uns spricht, allerdings belästigt von sich selbst: Denn bisweilen verdoppelt sich die Stimme und versieht den eigenen Vortrag mit einem Kommentar – wie ein Geist, der von seinem eigenen Albtraum verfolgt wird.
Kein Wunder, dass die Stimme da eher flüstert als dass sie singt. Dass sie nicht laut klagt, sondern manchmal fast schon rezitiert. Glück, das scheint diese Stimme zu versprechen, ist doch nur eine kurzzeitige Abwesenheit von Unglück.
Bei Deine Lakaien ist das gerade andersherum. Hier wird das Unglück zelebriert als begrüßenswerter Ausnahmezustand und so zur kunstfertigen Melancholie erhoben. Diesen Trick beherrschen Alexander Veljanov und Ernst Horn auch auf „Indicator“ wieder wie niemand sonst hierzulande. Das achte Studioalbum des Berlin-Münchener Duos ist zwar vergleichsweise ruhig, aber dafür auch so transparent wie selten zuvor geraten. Über bedächtig tuckernden Maschinen und kurz aufblitzenden Streichern stolziert wie gewohnt Veljanovs barocker Bariton.
Dabei verfahren Deine Lakaien mit dem Trübsinn so wie Sänger Veljanov mit seinen Haaren: Sie flechten sie zu einem komplexen, sich in die Höhe reckenden Turm. Das entstandene Gebilde wirkt dann bisweilen wie eine Karikatur seiner selbst. Bei der Frisur liegt das daran, dass die Mode sich weiterentwickelt hat und auch Herr Veljanov nicht von Haarausfall verschont geblieben ist. Bei der Musik ist es Absicht: Durch die Überhöhung tiefergelegter Emotionen entsteht ein ironischer, ja tragikomischer Abstand, der Deine Lakaien schon immer abhob von der allzu sehr ins eigene Leid verliebten Gothic-Szene. Und der wohl auch Oscar Wilde gefallen hätte. THOMAS WINKLER
■ Silje Nes: „Opticks“ (FatCat/ Rough Trade), live 17. 10. im HAU 2
■ Deine Lakaien: „Indicator“ (Chrom/Ministry of Sound/Warner), live 17. 10. im Postbahnhof