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Archiv-Artikel

vor ort BORIS R. ROSENKRANZ über grausige Leichenfunde im sauerländischen Menden

Die Arbeiter mussten nicht lange graben, bis die Ahnung zur bitteren Gewissheit wurde. Die Stadt Menden im Sauerland: Am Mittwoch begann die zuständige Bezirksregierung Arnsberg hier, nach einem Massengrab aus dem Zweiten Weltkrieg zu suchen. Sie wurde schnell fündig: Unter einer Wiese auf dem idyllischen Friedhof im Stadtteil Barge, in kaum zwei Metern Tiefe, stießen die Totengräber auf 14 skelettierte Leichen. Zwölf davon stammen von Kindern. An zwei Schädeln fand die Bezirksregierung eindeutige Hinweise auf eine Behinderung. Und die grausigen Funde scheinen erst der Anfang gewesen zu sein: Gestern wurden weitere Kinderleichen geborgen.

Was hier passiert ist, darüber lässt sich bisweilen nur spekulieren. Sicher ist bloß: „Wir befinden uns hier nicht auf ehemaligem Kriegsgebiet“, sagt Hans-Bernd Besa-von Werden, Dezernent der Bezirksregierung. Im ländlichen Menden habe sich damals nichts abgespielt. „Da ist es schon merkwürdig, wenn hier Kinder und Erwachsene durcheinander und ohne Sarg begraben werden.“ Geahnt hatten die Menschen in Menden schon lange, dass sich hier Schauriges abgespielt haben musste. Auch meldeten sich immer wieder Zeitzeugen, die beobachtet haben wollten, wie Menschen gegen Kriegsende heimlich und ohne Priester beerdigt wurden. Oder wie Laster ankamen und Leichenteile abkippten. Seit ein paar Jahren erinnert deshalb eine Gedenktafel auf dem Friedhof an rund 200 Menschen, die wohl aus dem so genannten Ausweichkrankenhaus in Wimbern (Kreis Soest) hier her verbracht und beigesetzt wurden. Aber was war genau geschehen?

Das herauszufinden ist nun Aufgabe der Staatsanwaltschaft Dortmund, Schwerpunkt NS-Verbrechen. Eventuell sind die Leichen der nach Adolf Hitlers Leibarzt benannten „Aktion Brandt“ zum Opfer gefallen, das als Nachfolge des Euthanasieprogramms verdächtigt wird. Oberstaatsanwalt Heiko Oltmanns sprach gestern von einem „vagen Anfangsverdacht, dass es möglicherweise Euthanasiefälle sein könnten“.

Festlegen möchte sich bisher niemand. Wie auch: Die Grabungen werden noch die nächsten Tage andauern. Es ist unklar, wo weitere Leichen liegen und wie viele es sind. „Wir können zwar nicht den ganzen Friedhof umgraben“, sagt Dezernent Besa-von Werden. Aber an einigen Stellen werde man noch, gemeinsam mit den Umbettern des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Probegrabungen vornehmen. Die gefundenen Leichenteile werden anschließend genauer untersucht, eine mögliche Identifikation der Leichen vorgenommen. Die Frage, die über allem steht: Wurden die Menschen, vor allem die Kinder, von Nazischergen getötet?

Wenn alle Ermittlungen abgeschlossen sind, sollen die Leichen ein ordentliches Grab auf dem Friedhof in Barge erhalten. Das sei eine christliche Pflicht, sagt Johannes Hammer, der hier seit einigen Jahren als Pfarrer arbeitet. Der Mensch habe eine Würde über den Tod hinaus. „Deshalb wollen wir den Toten ein Gesicht geben.“ Mit einem christlichen Begräbnis, vielleicht auch mit einem Denkmal, das an die mutmaßlichen NS-Opfer erinnert.