: Erst mal eine Tanzrunde mit Mini Moustache und dann die Füße hochlegen bei Agnes Obel mit schmerzhaft schöner Melancholie
Bei Mini Moustache geht’s immer nur um das eine. Um die Disco. „La vie en Disco“ nannten sie vor zwei Jahren ihr Debüt, der Nachfolger heißt nun „L’odeur du Disco“. Vom Leben zum Geruch? Wie sie das wohl meinen? Wer nur lange genug in der Disco lebt, stellt irgendwann fest, dass es dort schon mal stinkt? Oder: Die Disco ist nicht tot, sie riecht nur ein wenig seltsam?
Wie auch immer: Wenn Mini Moustache loslegen, dann legt sich schnell der Geruch von Schweiß über die Szenerie. Niemand kopiert so liebevoll den schillernden Sound, der in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern die Tanzbodenkultur revolutionierte, so liebevoll wie diese drei Exil-Franzosen. Die Gitarrenriffs sind vielleicht nicht ganz so geschmeidig wie die von Chic, der Gesang nicht annähernd so falsettig wie der der Bee Gees, aber die Synthies piepsen und die Basslinien fahren direkt in den Unterleib. Systematisch reduzieren Mini Moustache den Besuch im Tanztempel auf seine elementaren Zustände. Sie besingen „Chaud Chaud Chaud, also die „Hitze Hitze Hitze“, die dann zwangsweise zur sexuellen Aufwallung führt: „J’adore ton corps“. Das Album ist also keine zwei Songs alt, da sind die Beteiligten schon auf ihre Leiber reduziert. Die Gerüche mag man sich gar nicht ausmalen. Aber natürlich reproduzieren Mini Moustache nicht nur die Historie. Sie adaptieren zwar den Geist der Originale, erweitern ihn aber mit den Erkenntnissen moderner Electro-Musik und versetzen ihn nicht zuletzt mit einer gehörigen Portion Ironie.
Weder Unterleib noch Ironie finden sich dagegen bei Agnes Obel. Das fängt auf dem Cover an, von dem uns die Künstlerin anblickt wie ein scheues Reh. Innen drin spielt die in Berlin lebende Dänin dann Klavier und singt dazu. Mehr nicht. Das dafür aber so eindringlich, dass selbst der größte deutsche Anbieter von Telekommunikation-Dienstleistungen die verführerische Kraft ihrer Stimme entdeckte und mit einem Obel-Song geworben hat. „Just So“ heißt der und besteht aus kaum mehr als ein paar Pianoharmonien, dieser sanften Stimme und einer Melodie, die so schnell nicht mehr aus dem Kopf geht. So funktioniert auch der Rest von „Philharmonics“. Lieber setzt Obel einen Ton weniger als einen zu viel in ihre federleichten Harmonien und schwerelosen Melodien, über denen dennoch stets eine schmerzhaft schöne Melancholie liegt. Selbst John Cale, dessen „Close Watch“ sie covert, verliert seine drängende Verzweiflung und wird zum Sensibelchen.
Manchmal verziert noch ein Cello, selten ein bisschen Perkussion oder ein Glockenspiel das reduzierte Arrangement aus Stimme und Piano, das keine große Abwechslung kennt, aber den sparsamen Ansatz sehr versiert verwaltet. Schließlich hat Obel klassische Musik studiert, und zwar in Roskilde, wo jedes Jahr eines der größten Rockfestival Europas stattfindet. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich Obel so souverän, dass das Album nur einen Fehler hat: Seine Perfektion ist fast schon zu makellos. Oder eben prima dazu geeignet, um für schnöde Fernsehwerbung missbraucht zu werden. THOMAS WINKLER
■ Mini Moustache: „L’odeur du Disco“ (Monohausen/Groove Attack), live 26. 10. Privatclub
■ Agnes Obel: „Philharmonics“ (PIAS/Rough Trde), live 27. 10. Postbahnhof als Support von I Am Kloot