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Archiv-Artikel

Das Radio ist der Star …

… nicht etwa Bob Dylan: Der Weltstar moderiert nur. In seiner wöchentlichen „Theme Time Radio Hour“ huldigt er dem „guten alten Radio“ der 50er-Jahre. Dylan liest Leserpost vor und erzählt Schwiegermütter-Witze – auf einem Pay-Radio-Kanal, der nur per Satellit oder Internet zu empfangen ist

VON NOEL RADEMACHER

„It’s night-time in the big city“, hört man eine übernächtigte weibliche Stimme sagen – Zeit für den Mitternachtskrimi? Nein, zehn Uhr morgens an der amerikanischen Ostküste. Beim Sender XM Satellite beginnt Bob Dylans wöchentliche „Theme Time Radio Hour“.

Das Konzept der Sendung ist denkbar einfach, man könnte auch sagen: altmodisch. Jede Folge ist einem beliebigen, aus dem Alltagsleben gegriffenen Thema wie „weather“, „dogs“, marriage“ oder „divorce“, gewidmet. Passend dazu spielt Dylan etwa 20 Songs unterschiedlicher Stilrichtungen und Epochen aus dem riesigen Fundus seiner Lieblingsmusik – also in erster Linie Country, Blues, Big-Band-Swing und frühen Rock ’n’ Roll. Nebenbei gibt er in seiner unnachahmlich-verschmitzten Art, wie man sie schon aus dem Dokumentarfilm „No Direction Home“ von Martin Scorsese kennt, allerhand unterhaltsame Kommentare, skurrile Anekdoten und einfache Lebensweisheiten zum Besten.

Blondie und Hanky Penny

In der Sendung vom vorigen Mittwoch etwa drehte sich alles um das Telefon. Dylan präsentierte obskures Schulwissen über die Erfindung des ersten Fernsprechgeräts und spielte Original-Radiomeldungen aus der Zeit des Kalten Krieges („In event of atomic bombing – don’t use the phone!“). Der musikalische Schwerpunkt lag wie immer in den 50er-Jahren, aber es gab auch Überraschungen: So fand nicht nur Blondies New-Wave-Hit „Hanging On The Telephone“ einen Platz in der Sendung, Dylan spielte sogar den „Telefonanruf“ der Düsseldorfer Elektro-Pioniere Kraftwerk.

Fast immer rezitiert er ein paar Zeilen aus dem soeben gespielten Song – „This was a song by Gene Summers from Dallas, Texas, where they shoot presidents and shoot people who shot presidents“ – oder lässt einen rhythmisch intonierten Kommentar folgen, der selbst wie ein kleines Gedicht klingt. Dylans von seiner ewigen Tour geschundene Stimme, die einem das Hören seiner jüngeren Platten manchmal erschwert, wird am Radiomikrofon zum großen Vorzug: In ihr steckt die Lebenserfahrung und Weisheit eines Mannes, der viel erlebt hat. Von diesem Kerl würde man sich gern auch Gute-Nacht-Geschichten vorlesen lassen.

Ob Dylan nun Mark Twain und Victor Hugo zitiert oder Schwiegermütter-Witze erzählt und Cocktail-Rezepte weitergibt, ihm zuzuhören macht Spaß. Und dass es sich dabei um DEN Bob Dylan handelt, könnte man beinahe vergessen. Denn er ist uneitel (oder klug) genug, keine eigenen Songs zu spielen und sich nicht in autobiografischen Details zu ergehen – auch wenn seine Fans das bedauern mögen. Vielmehr findet er offenbar großen Gefallen daran, möglichst originalgetreu in die Rolle eines typischen Lokalradio-Moderators zu schlüpfen, wie es ihn in den 50er-Jahren überall in Amerika gegeben hat: Er verliest artig Hörerpost, gibt gutmeinende Ratschläge und erfüllt bereitwillig Musikwünsche: „This one’s from … George Clooney. George writes, ‚Hey, my auntie used to sing. How about playing a record by her?‘ George, I love your aunt. Here’s a song by Rosemary Clooney.“

Diese Hörer-E-Mails sind vermutlich genauso frei erfunden wie Dylans Treffen mit Prominenten wie Elvis Costello im fiktiven „Sampson’s Diner“ nebenan. Und natürlich spricht Dylan auch nicht aus dem Studio B des Washingtoner Sendegebäudes, wie er vorgibt, wenn er sich über die Hitze dort beklagt oder auf ein Zeichen des Aufnahmetechnikers zu reagieren scheint. Das alles sind kleine Finten, die mit einem Augenzwinkern ausgelegt werden, um die Illusion einer „echten“ Radiosendung zu bewahren. In Wirklichkeit, so lässt der Sender verlauten, nimmt Dylan seine Moderationen im Heimstudio oder auch schon mal im Hotelzimmer auf. Aber möglicherweise ist auch das nur eine weitere bewusste Irreführung, und sämtliche Folgen – 52 sollen es insgesamt werden – sind längst vorproduziert worden.

Um Authentizität geht es auch gar nicht in dieser Sendung. Dylan macht keinen Hehl daraus, dass seine „Theme Time Radio Hour“ vor allem eines ist: eine nostalgische Huldigung an die große Zeit des Radios zwischen 1920 und 1960, bevor das Fernsehen zum wichtigsten Massenmedium wurde. Denn dies war die Zeit, in der Dylan selbst leidenschaftlicher Radiohörer war und nachts heimlich den Empfänger unterm Kissen liegen hatte, um Roy Orbison zu hören. „I was always fishing for something on the radio“, erzählt er in seinen autobiografischen „Chronicles“: „Just like trains and bells, it was part of the soundtrack of my life.“ Man kann sich vorstellen, wie reizvoll das Angebot von XM Satellite auf ihn gewirkt haben muss, ihm eine eigene Radiosendung ganz nach seinen Vorstellungen zu ermöglichen: werbefrei und im „vintage style“ seiner Jugend.

Dylan nutzt diese Chance, um heutigen Hörern die populäre Musik der 20er-, 30er-, 40er- und 50er-Jahre nahezubringen, die aus dem kulturellen Gedächtnis der Gegenwart fast gänzlich verschwunden ist. Denn wem sagen heute die Namen von Musikern wie Little Milton, Hanky Penny und Pee Wee Crayton noch etwas? Oder wer hat je etwas von Pete „Mad Daddy“ Meyers gehört, einem einst legendären New Yorker DJ, der seine Sendungen mit „monster echoes and spooky sound effects“ unterlegte? Bob Dylans „Theme Time Radio Hour“ ist somit auch so etwas wie eine wöchentliche Nachhilfestunde in musikalischer Ethnologie. Es scheint fast so, als sei Dylan nun endlich bereit, jene Rolle anzunehmen, die ihm der bekannte Musikkritiker und Dylanologe Greil Marcus schon seit Jahren zuschreiben will: die des Übermittlers der alten amerikanischen Mythologie, die vor allem in der Musik des Kontinents aufbewahrt wird.

Dylan vs. Howard Stern

Dabei ist es nicht ohne Ironie, dass Dylans Nostalgie-Sendung ausgerechnet von XM Satellite ausgestrahlt wird, dem größten Pay-Radio-Sender der USA mit 6,5 Millionen Abonnenten und 170 digitalen Programmen. Denn Sender wie XM sind gerade dabei, den amerikanischen Radiomarkt aufzurollen und dem traditionellen Antennen-Radio den Garaus zu machen. Sie setzten dabei in erster Linie auf werbefreie Spartenprogramme, die genau auf die Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe zugeschnitten sind und sich somit vom Einheitsbrei der herkömmlichen Quotensender unterscheiden. XM war unter Zugzwang geraten, als sein größter Konkurrent Sirius Anfang des Jahres Howard Stern, den populärsten Moderator Amerikas, für knapp 3 Millionen Dollar von CBS abgeworben hatte. Mit dem Einkauf von Bob Dylan hat XM Satellite nun einen besonderen Coup gelandet, der ihm eine Menge Publicity verschafft hat. Offiziell wird nur von Dylans Affinität zum Sender und seiner Begeisterung für das Konzept gesprochen, während man über die vereinbarte Gage Stillschweigen bewahrt. Da XM seine Dienste bislang nur Kunden anbietet, die über eine US-amerikanische Kontonummer verfügen, sind Interessierte hierzulande auf alternative Bezugsquellen angewiesen. Wie gut, dass dank einer weltweit kooperierenden Dylan-Fangemeinde jede Folge der Sendung schon nach wenigen Stunden als Podcast aus dem Internet herunterzuladen ist (www.whitemanstew.com).