: Sauftouren in die Klinik
Immer mehr Berliner landen wegen ihrer Alkoholabhängigkeit im Krankenhaus. Gründe dafür sind oft Arbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven. Die meisten Betroffenen sind Männer, doch die Zahl der Frauen steigt seit einigen Jahren deutlich an. Experten fordern mehr Geld für Prävention
von Nadja Dumouchel
Immer mehr Berliner landen wegen ihrer Alkoholabhängigkeit im Krankenhaus. Das zeigt eine aktuelle Studie der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz, die die Ursachen der stationären Behandlungen in Berlin in den Jahren zwischen 2000 und 2004 analysiert. „Vor allem in sozial schwachen Bezirken führt Alkoholkonsum zu Abhängigkeit, wenn weitere Faktoren wie Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit hinzukommen“, erklärt Monika Wojak, Drogen- und Suchtreferentin bei der Senatsverwaltung, die Ergebnisse der Untersuchung.
Dem Bericht zufolge sind besonders Männer stark von Alkoholismus betroffen. Bei ihnen haben sich in den vergangenen Jahren Alkoholabhängigkeit und daraus folgende Krankheiten sogar an die Spitze aller Einweisungen in ein Krankenhaus gesetzt. Alarmierend ist jedoch auch die Anzahl der alkoholkranken Frauen. Laut Studie sind zwar weniger Frauen von Alkoholismus betroffen als Männer. Der Anteil von Frauen, die an Krankheiten wie alkoholbedingter Leberzirrhose leiden, ist jedoch in den vergangenen Jahren deutlich stärker angestiegen als der der männlichen Patienten. Das sei ein so genannter Aufholeffekt, erklärt Jakob Hein, der Leiter der ambulanten Alkoholsprechstunde an der Charité. „Gleichberechtigung führt zu Gleichberechtigungsmustern im Konsumverhalten.“
Hein sieht die Zunahme von Krankenhauseinweisungen aufgrund von Alkoholismus als eine Folge des hohen Kostendrucks der Krankenhäuser: „Wenn ein Patient mit keiner anderen Diagnose als Alkoholabhängigkeit in ein Krankenhaus kommt, muss er nach sieben Tagen entlassen werden, obwohl eine längere Behandlung notwendig wäre. Denn ab dem achten Tag werden die Kosten von den Krankenkassen nicht mehr übernommen.“ So würden viele alkoholkranke Patienten rückfällig und landeten immer wieder im Krankenhaus. In Berlin sei der Anteil von Alkoholismus besonders hoch, weil „die Stadt völlig überschuldet ist und innerhalb von zehn Jahren zehntausende Arbeitsplätze weggefallen sind“. Soziale Fälle verschärften das Alkoholproblem, sagt Hein.
Als Berater bei den Selbsthilfegruppen der Anonymen Alkoholiker macht Thomas Ewald ähnliche Beobachtungen. „Das soziale Gefühl geht in Berlin stark den Bach runter“, sagt er. Ewald sieht aber auch eine Zunahme von Alkoholproblemen durch den psychischen Druck und den Stress, dem die Großstadtbewohner unterliegen. „Früher gab es nicht diese Hektik und diese hohen Erwartungen an das Individuum.“ Die größere Verfügbarkeit von Alkohol und der niedrige Preis verschärften zusätzlich die Gefahr von Alkoholismus.
Ein Betroffener und regelmäßiger Besucher von Treffen der Anonymen Alkoholiker in Kreuzberg bestätigt das Problem. Er beobachte mit Sorge, wie sich „verstärkt junge Leute die Birne zukippen“. Sie seien sich der Gefahren des Alkohols nicht bewusst, so der Mitvierziger. Mit ihnen wachse derzeit die nächste Generation von Alkoholabhängigen heran.
Um dem Alkoholismus und den zunehmenden alkoholbedingten Einweisungen in Krankenhäuser entgegenzuwirken, wurde die Suchtprävention in den vergangenen Jahren in der Stadt umstrukturiert. „Die Drogenpolitik ist in Berlin zur Suchtpolitik geworden“, sagt Senatsmitarbeiterin Wojak. Das bedeutet, dass nicht mehr nur illegale Drogen, sondern jetzt auch legale Drogen wie Alkohol und Tabak von der Politik berücksichtigt werden. Die Entwicklung von einer Drogenpolitik hin zu einer Suchtpolitik, die alle Suchtmittel umfasst, laufe in Berlin bereits seit zehn Jahren.
Das Ergebnis dieser Umstellung sei zum einen eine Fachstelle für Suchtprävention, die vom freien Träger „pad“ Ende vergangenen Jahres eröffnet wurde. Die Fachstelle koordiniert nach eigenen Angaben die Aktivitäten der Suchtprävention, bündelt die Ressourcen und ist Ansprechpartner. Laut Wojak erarbeitet der Senat zudem Leitlinien und Präventionsprogramme, wovon einige schon umgesetzt sind. Das Projekt „HaLT“ – Hart am Limit – zum Beispiel ist ein Präventionsprojekt für Kinder und Jugendliche mit riskantem Alkoholkonsum. Es wurde im vergangenen Jahr von der Caritas mit Unterstützung des Berliner Drogenreferats gestartet.
In der Früherkennung von Alkoholabhängigkeit sieht auch Mediziner Hein die Hauptaufgabe für die Zukunft. Bei einem Modellprojekt, das schon in anderen Bundesländern laufe, sprechen Hausärzte Patienten an, bei denen sie ein Alkoholproblem vermuten. So könnten frühzeitig ein Beratungskontakt hergestellt und mögliche Folgen wie Schäden der Leber und der Verdauungsorgane vermieden werden.
Ein solches Projekt hält Hein auch in Berlin für wünschenswert. Denn das Problem seien nicht die Alkoholkranken, die sich bereits helfen lassen, sondern diejenigen, die Beratungsangebote nicht nutzen würden. Doch die Umsetzung dieses Konzepts hänge von den Krankenkassen ab – und die „Kassenlage in Berlin ist schlecht“, so Hein.
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