: Letzter Strohhalm Nachvermittlung
Eine konzertierte Aktion von IHK, Handwerkskammer und Arbeitsagentur soll die Ausbildungslücke schließen. Der DGB hält das für wenig sinnvoll
Fast 90 Bewerbungen hat der junge Mann bisher geschrieben, zu einigen Vorstellungsgesprächen wurde er eingeladen – alles ohne Erfolg. Obwohl das Ausbildungsjahr im September begonnen hat, ist der 18-Jährige immer noch auf der Suche nach einer Lehrstelle. Jetzt sitzt er im Ludwig-Erhard-Haus in der Charlottenburger Fasanenstraße und wartet auf ein Gespräch. Industrie- und Handelskammer (IHK), Handwerkskammer und Arbeitsagentur veranstalten dort noch bis Freitag eine Nachvermittlungsaktion für Lehrstellen.
Dabei sprechen die BewerberInnen jeweils mit einem Berater der Arbeitsagentur und einem Vertreter eines Betriebs. Sie sollen den jungen Leuten zu einer Lehre verhelfen – oder erklären, warum es noch nicht geklappt hat. Teilnehmen kann an der Nachvermittlung jeder, der bei der Arbeitsagentur als „Ausbildungsplatz suchend“ gemeldet ist. Das sind in Berlin laut Statistik rund 5.600 Personen.
Für Friedhelm Rennhak von der IHK sagen diese Zahlen nicht viel. Aussagekräftiger seien die Daten zum Jahresende. Jetzt sei die Fluktuation noch groß, weil viele ihre Ausbildung abbrächen oder wechselten. Rennhak ist darum zuversichtlich, „auch wenn sich Angebot und Nachfrage auf dem Lehrstellenmarkt nicht decken“. Neben frei gebliebenen Lehrstellen gebe es auch neue Stellen: „Wir drängen die Betriebe ständig dazu, weitere Lehrlinge auszubilden.“
Eigene Ausbildungsangebote haben die anwesenden „betrieblichen Berater“ dennoch kaum mitgebracht. Sie sind eher Praxisratgeber, sollen Bewerbungen begutachten und den Suchenden sagen, was sie verbessern können. Die Aktion verspricht jedem Teilnehmer, ihm mindestens eine offene Stelle zu präsentieren. Die müssen sich Interessierte aber mitunter teilen: Für Mechatroniker etwa gab es gestern nur ein einziges Angebot.
Rund 900 Angebote stehen den Teilnehmern zur Verfügung. Sie werden ausschließlich für die Aktion freigehalten. Allerdings sind das nicht nur Ausbildungsplätze, sondern auch Praktika. Die seien, so Rennhak, besonders für Schulabgänger mit schlechten Zensuren interessant, weil sie dadurch ihr praktisches Geschick beweisen könnten.
Eher skeptisch betrachtet der DGB solche „Hauruck-Aktionen“. Nachvermittlungsaktion seien nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Bei diesen Aktionen bekomme nur ein Prozent der Suchenden einen Ausbildungsplatz, sagt Sprecher Dieter Pienkny: „Das ändert nichts daran, dass es zu wenig Lehrstellen gibt.“ Nur jeder fünfte ausbildungsfähige Betrieb bilde Lehrlinge aus, so Pienkny. „Diese Aktion wird nicht von Erfolg gekrönt sein.“
Das befürchtet auch der 18-Jährige, der auf seine Beratung wartet. Er hat seinen Berufswunsch wegen schlechter Noten schon vom Einzelhandel in die Metallbranche verlegt. Große Erwartungen setzt er dennoch nicht in das Gespräch. Bei anderen ist die Hoffnung auf Erfolg offenbar noch geringer: Laut Information der IHK erscheinen von den eingeladenen Jugendlichen nur zwischen 30 und 40 Prozent. KERSTIN SPECKNER
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