: Bescherung im Stiefel
Der SV Werder entdeckt seine Leidenschaft fürs ergebnisorientierte Spiel und demonstriert damit, dass ein Plagiat besser als das Original sein kann. Bremen lässt dem FC Bayern München beim 3:1-Erfolg im eigenen Stadion kaum eine Chance
AUS BREMEN KLAUS IRLER
Allzu redselig waren sie nicht, die Werder-Profis beim Gang in die Kabine. Als wären sie in Gedanken immer noch auf dem Platz, voll konzentriert auf die Angriffe der Bayern und wild entschlossen, jede Gelegenheit zum Einschreiten zu nutzen. Als sie dann doch etwas sagen sollten zu den vergangenen 90 Minuten, war es Torsten Frings, dem als Ersten was Gutes zur Partie einfiel: „Wir haben uns vom Theater der Bayern nicht anstecken lassen und unseren Stiefel runtergespielt.“
Für Werder wurde das Spitzenspiel zur Reifeprüfung, und das nicht nur deswegen, weil der Tabellenerste gegen den -zweiten antrat und das Nord-Süd-Duell traditionell mit einer Extraportion Testosteron angereichert ist. Vielmehr ging es darum, ein Spiel zu gewinnen, das aus drei unterschiedlichen Phasen bestand: Da waren die ersten 20 Minuten, in denen Werder die Bayern mit schnellem Spiel vorn einschnürte und Diego nach genialem Pass von Frings das 1:0 schoss (11.). Dann kam Phase zwei – die Münchner wachten auf, und Werder musste erstens gute Möglichkeiten der Bayern verhindern und durfte zweitens das Toreschießen nicht vergessen, was sie mitten in der Münchner Aktivphase dann auch nicht taten. Pierre Womé machte (34.) per Freistoß ein Tor. Das allerdings beantworteten die Bayern drei Minuten später mit dem Anschlusstreffer durch Roy Makaay. Phase drei begann dann in der 62. Minute: Bayerns Abwehrspieler Lucio schenkte Werder das 3:1 per Eigentor und die letzte Aufgabe aus Bremer Sicht hieß: verwalten bis zum Schluss.
Reifeprüfung also bestanden. Hat aber nun auch die Mannschaft gewonnen, die den schöneren Fußball spielte? Werders Sportdirektor Klaus Allofs seufzte glücklich und sagte: „So ein Prädikat holt man sich nicht in so einem Spiel.“ Bereits vor der Partie sagte Allofs, auf den Fußball-Schönheitspreis könne er „auch mal ein Jahr verzichten, wenn wir dann Meister werden sollten“. Gemessen an der Priorität früherer Jahre, als Trainer Thomas Schaaf vor allem „attraktiven Fußball“ spielen wollte und sich selbst „nicht allein über Titel“ definierte, hat sich etwas getan bei Werder: Da weht auf einmal ein spürbarer Wind verstärkter Ergebnisorientierung an der Weser. Pragmatisch und cool den eigenen Stiefel spielen, um am Schluss hauptsächlich drei Punkte im Sack zu haben: Was man sonst dem FC Bayern München nachsagte, prägt nun auch zunehmend die Philosophie in Bremen.
„Wir waren einfach nicht auf dem Platz in den ersten 20 Minuten. Da liegt man schnell mal 0:2 hinten. Bremen hat uns eiskalt bestraft“, sagte denn auch Bayern-Profi Philipp Lahm, und Trainer Felix Magath fiel auf, dass die Partie letztlich durch einen „unberechtigten Freistoß“ und ein Eigentor entschieden wurde – beides Dinge, die wenig über den Spielverlauf aussagen. Tatsächlich waren die Bayern den Bremern in der Spielstatistik ebenbürtig. Aber was den Bayern fehlte, das waren zwingende Chancen: Wie bei der Partie gegen Berlin war Magath von Anfang an mit drei Stürmern angetreten, im Gegensatz zum damaligen 4:2-Erfolg aber „sind die Stürmer diesmal alle drei vorne geblieben und haben das Mittelfeld zu wenig unterstützt“.
Es kam also wenig an bei Roy Makaay, Claudio Pizarro und Lukas Podolski. Wobei gerade Podolski so gut wie gar nicht ins Spiel eingriff; Magath tauschte ihn in der 68. Minute gegen Ali Karimi aus. Nachdem die Drei-Stürmer-Taktik nicht aufging und Podolski immer noch nicht so recht bei den Bayern angekommen ist, hat Magath nach dem Werder-Spiel ein Problem, das er überwunden glaubte: eines mit dem Sturm beziehungsweise mit dem Mittelfeld. Hätte er einen Regisseur im Zentrum, müssten Magaths Stürmer nicht zum Aushelfen kommen. Aber auch die Abwehr der Bayern wirkte indisponiert. Einerseits, so Innenverteidiger Daniel van Buyten, „haben wir zu viel zugeschaut, wir haben die Laufwege nicht gemacht, wir hatten keine Ordnung“.
Andererseits war da der unglückliche Lucio: Beim 1:0 war er es, den Diego überrannt hatte; beim 2:0 ließ Lucio den Freistoß von Womé durch und verstellte anscheinend Torhüter Oliver Kahn die Sicht. Und den dritten Treffer für Bremen erzielte er gleich selbst. Zur Krönung zog sich Lucio dann eine Bänderdehnung zu: In der 75. Minute holte ihn Trainer Magath vom Platz. Lucio wird für rund drei Wochen ausfallen.
Ob sie jetzt mit dem Bus bis nach Hause fahren, wurde der Busfahrer der Bayern bei der Abfahrt gefragt. „Nein“, sagte der. „Wir fahren nur zum Flughafen. Da steigen die Spieler um. Und der Bus fliegt hinterher.“ Was verwunderlich wäre: Leichtigkeit gibt’s derzeit keine bei den Münchner Bayern. Von Höhenflug erzählt man sich momentan in Bremen.