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Elisabeth Neudörfls Street View

FOTOGRAFIE Die Autos, die Menschen, die Bäume, die Gebäude, der Müll, die Werbetafeln, das Licht – der großartige Fotoband „E.D.S.A.“

VON BRIGITTE WERNEBURG

Die Fotografin Elisabeth Neudörfl bleibt dabei: Ihre Bücher zeigen nur Bilder. Meint man, bis irgendwo versteckt doch minimalste Angaben zu finden sind. Wie jetzt bei ihrem neuen Bildband „E.D.S.A.“, wo zuletzt zu lesen steht: „Alle Fotos entlang der Straße Epifanio de los Santos Avenue (E.D.S.A.) Metro Manila, Philippinen.“

Dieser Minimalismus irritiert. Natürlich ist ihre Fotoserie kein Dokument à la Google Street View. Selbstverständlich handelt es sich um eine konzeptuelle Fotoarbeit. Deshalb ist sie noch nicht zeitlos. Gerade, weil sie – in Anlehnung an den Straßennamen – eine Epiphanie des heiligen Moments der Metropole ist. Er ereignet sich dort, wo das Leben brodelt, wo der Verkehr sich bündelt und vor allem staut – auf der großen Straße der großen Stadt.

Strukturell schaut diese große Straße selbstverständlich jeden Tag gleich aus. Trotzdem hat Neudörfl, Professorin an der Folkwang-Universität der Künste in Essen, diesen Moment zu einem genau datierbaren Zeitpunkt eingefangen. Die Autos, die Menschen, die Bäume und Pflanzen, die Gebäude, der Müll, die Absperrgitter, die Werbetafeln und das Licht und – sehr selten – der Schatten haben sich in dieser Zeit einmalig und unwiederholbar so arrangiert, wie es nun auf den 116 Aufnahmen zu sehen ist.

Elisabeth Neudörfl hat die Bilder ihrer Serie im Sekundenabstand geschossen, sie hat dabei aber immer wieder neu angesetzt. Das zeigen die Bilder, die zunächst von einen erhöhten Standpunkt aus aufgenommen wurden, bis sich die Kamera plötzlich auf Augenhöhe mit den Autos bewegt und einem schwarzen Geländewagen folgt. Danach versperrt ihr die Betonmauer eines Einkaufszentrum eine ganze Weile lang die Sicht. Schließlich wird es sonniger und merkwürdig dörflich; der Standpunkt ist wieder leicht erhöht, wobei das Gewirr der Stromleitungen zum eigentlichen Motiv der Aufnahmen wird, hinter dem die Straßenszenerie verschwindet.

Obwohl uns oft genug vor allem die visuelle, formale Qualität der Serie fasziniert, informiert sie uns gleichzeitig sehr präzise über das Leben, wie es sich entlang der Straße entfaltet. Diese doppelläufige Perspektive macht „E.D.S.A.“ zu einem wirklich großartigen Fotoband.

Die Epifanio de Los Santos Avenue war übrigens Schauplatz der Demonstrationen gegen den Diktator Ferdinand Marcos im Jahr 1986. Sie besitzt in Manila hohen Symbolcharakter für die erfolgreiche Rebellion gegen die Diktatur.

Elisabeth Neudörfl: „E.D.S.A.“. Wiens Verlag, Berlin 2010, 286 Seiten, 212 Farbaufnahmen, 68 Euro

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