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Delikate Angelegenheiten

BRIEFWECHSEL Die 27-jährige Brieffreundschaft zwischen der Philosophin Hannah Arendt und dem Kabbala-Forscher Gershom Scholem liegt nun als Buch vor

Die Freundschaft zwischen Hannah Arendt und Gershom Scholem begann im Pariser Exil 1938 und endete 1963, als es zum Streit über ihr Eichmann-Buch „Die Banalität des Bösen“ kam. Das ist ungewöhnlich, denn Arendt hielt an ihren Freundschaften fest. Über alle politischen und philosophischen Differenzen hinweg waren sie ihr das Wichtigste. Ungewöhnlich war aber auch die Freundschaft selbst: eine politische Theoretikerin und Philosophin und ein Kabbala-Forscher. Sie wurde nun in einem sorgfältig edierten Briefwechsel dokumentiert.

Es geht zunächst um den Nachlass ihres gemeinsamen Freundes Walter Benjamin. Um den sollte sich Scholem kümmern, doch schließlich erhielt Adorno die Aufgabe, Publikationsmöglichkeiten zu finden. Und mit dem war Arendt spinnefeind. Sie warf der „Bande“ vor, die Herausgabe zu verzögern, und versuchte bei dem Verleger Schocken etwas unterzubringen, scheiterte aber nach jahrelangem Antichambrieren, weil Benjamin für Schocken schließlich doch „nicht ‚jüdisch‘ genug“ war.

In einem Brief vom Januar 1945 kündigte Arendt „eine prinzipielle re-consideration des Zionismus“ an, trotz der Befürchtung, dass sie diese ihre „letzten zionistischen Freunde kosten“ dürfte. Und tatsächlich war Scholem „tief enttäuscht“, weil Arendt in ihrem sarkastischen Stil kommentiert, wie die „jüdische Minderheit der arabischen Mehrheit Minderheitsrechte“ zugestehen will. Für Scholem war der Aufsatz „eine muntere Neuauflage kommunistischer Kritik strikt antizionistischen Charakters“. Doch mit den Kommunisten hatte Arendt wenig am Hut. Scholem, das merkt man in einigen Passagen, fühlte sich vielmehr selbst angegriffen, weil seine Identifikation mit dem jüdischen Volk über die bloße nationalstaatliche Zugehörigkeit hinausging.

Dies ist auch einer der zentralen Punkte in der Auseinandersetzung um das „Eichmann“-Buch, als Arendt ihm mitteilt, dass sie nie irgendein Kollektiv „geliebt“ habe. Dieser Briefwechsel über Eichmann wurde später einem größeren Publikum über die NZZ bekannt und ist die einzige Stellungnahme Arendts zu der Flut von Verrissen, die die „Banalität des Bösen“ hervorrief und die sie mehr mitnahm, als sie nach außen hin zugab, die allerdings auch ihren Ruhm über die Wissenschaftsszene hinaus begründete, denn es wurde eine der ganz großen Kontroversen in der Bundesrepublik.

Der Briefwechsel ist hervorragend ediert und kommentiert. Bereitet die Lektüre anderer Briefwechsel von Hannah Arendt, wie der mit Mary McCarthy, großes Vergnügen, so hält sich das bei diesem Buch allerdings in Grenzen. Das liegt an Scholem, der an Arendt vor allem ein Interesse hatte: „Ich hoffe, Sie werden Gelegenheit haben, mich zu zitieren.“ Die Charaktere der beiden hätten viel unterschiedlicher nicht sein können, denn während der Sammler und Archivar Scholem ganz seinen Bildungsbürgerdünkel lebte, der in Sätzen zum Vorschein kommt wie „Sie werden mir das Zeugnis nicht versagen, in einer so delikaten Angelegenheit mich größter Höflichkeit befleißigt zu haben“, nahm Arendt häufig kein Blatt vor dem Mund, was das Erfrischende ihrer Briefe ausmacht. Sie nannte Max Brod „ein aufgeblasenes Nichts“, Horkheimer hielt sie „für noch schwachsinniger, als selbst ich das für möglich gehalten hätte“, und Jakob Taubes für „verlogen und unverschämt“. Das mag alles nicht sehr gerecht sein, aber es zeigt sie als leidenschaftliche und kämpferische Frau, die die intellektuelle Gemeinde, der sie angehörte, einige Male gründlich durchrüttelte. Fest steht, auch im Duett mit Scholem erweist sich Arendt als große Briefeschreiberin.

KLAUS BITTERMANN

Hannah Arendt / Gershom Scholem: „Der Briefwechsel 1939–1964“. Suhrkamp, Berlin 2010, 695 S., 39,90 Euro