: Hinter der Katzenschminke
THEATER Das Kinder- und Jugendfestival „Hart im Wind“ zeigt zehn Produktionen norddeutscher Theater. Das anspruchsvolle Programm fordert sein junges Publikum
VON JAN-PAUL KOOPMANN
Auf dem Innenhof des Theaters am Goetheplatz drängt sich kulturinteressierter Nachwuchs. Gerade angereiste BesucherInnen orientieren sich zwischen Schauspielhaus, MOKS und Brauhauskeller. Eine Festival-Jugendredakteurin kämpft mit den Einstellungen ihrer Kamera. Seit Mittwoch ist das Norddeutsche Kinder und- Jugendtheaterfestivals „Hart am Wind“ in Bremen.
Einige Jugendliche kommen gerade aus der Performance „Ein Bodybild“ und diskutieren angeregt. „Ein bisschen ekelhaft“ sei es gewesen, aber auch „krass gut“. Sie haben Laura Schuller zugesehen, wie sie einen morgendlichen Badezimmeraufenthalt darstellt und dabei Fragen von Körperlichkeit und sexueller Identität verhandelt. Die Performance spiegelt den unfreiwilligen Voyeurismus der Zuschauer und dreht den Spieß um: „Hättest du gerne einen anderen Freund als den da neben dir?“, wird ins Publikum gefragt, „Fühlst du dich unwohl? Möchtest du jetzt lieber hier raus?“ Sie trifft offensichtlich einen Nerv, die physische und emotionale Anspannung im Publikum ist greifbar.
Solche Zumutungen an die heranwachsenden ZuschauerInnen sind ausdrücklich gewollt: Die Kuratoren des Festivals haben unter 49 Bewerbungen zehn Stücke ausgewählt, die ihr Publikum ernst nehmen. „Wir dürfen die Kinder nicht mit Krepppapier und geschminkten Katzengesichtern abspeisen“, sagt Thomas Lang von der internationalen Jugendtheatervereinigung ASSITEJ. Er plädiert für ein Theater, „das die Welt so kompliziert zeigt, wie sie nun mal ist.“
Es sieht nicht so aus, als seien die Kinder mit dieser Komplexität überfordert. Am Morgen haben GrundschülerInnen „Ein König zu viel“ in der Schwankhalle gesehen. In dem Stück des Theaters im Werftpark Kiel streiten sich zwei Könige, die auf einer Insel gestrandet sind. Mit der Frage, wer mit welchem Recht über andere herrschen dürfe, sollen sich Kinder ab vier Jahren auseinandersetzen. Und das tun sie auch: Lautstarker Protest bricht los, als ein König den anderen zum Diener degradiert. Zum Slapstick gesellt sich ein Appell ans Gerechtigkeitsempfinden, der unüberhörbar Anklang findet.
Die Zusammenarbeit von freier Szene und Häusern in öffentlicher Trägerschaft ist eine Besonderheit des Konzepts: „Dieses Festival steht dafür, die wechselseitigen Beziehungen auszubauen“, sagt Michael Börgerding. Er ist bei diesem Festival ein dauerhaft anwesender Intendant – und das ist nicht selbstverständlich im Bereich Kinder- und Jugendtheater.
„Kulturkonsument ist heute, wer es sich leisten kann. Und der ist meist über 50“, sagte Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz zur Festivaleröffnung – und folgerte: „Wenn wir uns darauf beschränken, haben wir verloren.“
Auf Workshops und internen Inszenierungsgesprächen vernetzen sich die Theatermacher. Spätestens auf der Party am Abend verschwimmt die Grenze zwischen Arbeit und Vergnügen. Auch die Jugendjury diskutiert hier noch. Zwar wurden die Einladungen von erwachsenen Kuratoren ausgesprochen, das beste Stück wählen die Jugendlichen aber selbst.
Bis zur Preisverleihung am Sonntag haben sie noch einige Aufführungen vor sich. Neben den eingeladenen Gruppen stehen bei „Hart am Wind“ auch die Gastgeber auf der Bühne: Zu sehen sind etwa die „Kindersoldaten“ der Jungen Akteure oder „Die Wahrheit über Hänsel und Gretel“ der Schwankhalle.
Spät am Abend flimmern in einem Container auf dem Hof noch Monitore. Hier sitzt die Jugendredaktion und rezensiert die Vorführungen für den festivaleigenen Blog. Sie haben gerade „Die Verwandlung“ gesehen – eine klaustrophobische Theaterfassung von Kafkas Novelle, die das Deutsche Theater Göttingen mitgebracht hat. Hört man ihnen beim Streit darüber zu, ob ein „hermetischer Text“ wie „Die Verwandlung“ auf der Bühne funktionieren könne, verringern sich die Nachwuchssorgen.