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Distinktion unterm Butterbrot

MATERIALKUNDE „Brettchen oder Teller?“ war neben der stilistischen lange auch eine Klassenfrage. Heute reüssieren Frühstücksbrettchen als ironisches Popkulturzitat

Der Mensch ist nicht vom Baum herunter- gestiegen, um vom Brettchen zu essen

VON LARS KLAASSEN

„Wenn’s kein Brot haben, solln’s Kuchen essen“. Als Marie Antoinette berichtet wurde, die Armen der Bevölkerung hätten kein Brot zu essen, soll sie sich entsprechend geäußert haben. Doch das war lediglich üble Nachrede, um Stimmung gegen das französische Königshaus zu machen. Tatsächlich stammt dieser Satz aus den „Confessions“ von Jean-Jacques Rousseau und wurde bereits 1782 veröffentlicht, also einige Jahre vor der Revolution niedergeschrieben. Im französischen Original heißt es: „S’ils n’ont plus de pain, qu’ils mangent de la brioche.“ Es ist also nicht einmal von Kuchen, sondern bloß von einer Variante des Weißbrots die Rede. Die soziale Frage erstreckt sich noch über die Brotrinde hinaus – und zwar auf das Brettchen. Und dort ist sie nur auf den ersten Blick geradliniger strukturiert.

Peter Joerißen vom Rheinischen Archiv und Museumsamt berichtet, dass es „runde, flache Brettchen“ bereits im Mittelalter gegeben habe. „Gemälde und Handschriften aus der Buchmalerei zeugen davon.“ Doch erst mit dem Aufkommen von Porzellantellern seit dem 18. Jahrhundert gab es eine grundlegende Wahlmöglichkeit. „Brettchen oder Teller?“ war neben der stilistischen eine Klassenfrage. Die breite Masse der Unter- und Mittelschichten blieb lange beim Holzbrettchen. Lediglich das Material wurde im 20. Jahrhundert in Teilen durch Bakelit und Kunststoff ersetzt. Auf dem Weg zum bürgerlichen und etwas repräsentativeren Teller lagen in vielen Haushalten die deutlich größeren und dickeren Tropenholzbretter. Die galten in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht nur als schicker, sondern waren billig und boten (darin Tellern ganz ähnlich) eine größere Fläche – etwa für kleine Beilagen. Aber Moden vergehen. Und Tropenholz ist aus politisch-ökologischen Gründen bei Tisch nicht mehr gern gesehen.

Der Teller habe bis heute immer stärkere Verbreitung gefunden, konstatiert Joerißen. Aber auch bei Tisch gab es zwischen Ost und West verschiedene Geschwindigkeiten. Im Jahr 1987 stellte er bei einer Exkursion in die DDR fest, „dass sich Brettchen dort noch größerer Verbreitung erfreuten, als es damals im Westen der Fall war“. Solche Entwicklungen haben allerdings nicht nur ästhetische Gründe. Welche Auswirkungen die Verbreitung der Spülmaschine auf die Karriere der Teller hatte, gilt es noch zu erforschen. Jenseits dieser Erfolge dank Technisierung ist der Teller offenkundig auch ein Ergebnis kultureller Werteentwicklung, wie sich Norbert Elias’ „Über den Prozess der Zivilisation“ entnehmen lässt: Weltweit sei das Messer im Zuge der Zivilisierung bei Tisch auf dem Rückzug. Die Chinesen seien da sogar schon weiter. Weil wir „mit Schwertern“ äßen, gälten wir dort als Barbaren. Der Grund: Messer stehen für Gewalt und somit Gefahr. Deshalb ist in Europa der Gebrauch des Messers bei Tisch zumindest bereits stark reglementiert.

Was das mit Brot zu tun haben soll? Wer ein Brot bei Tisch – mit einem großen (!) Messer – schneiden möchte, tut sich auf dem Teller schwerer. Die Tendenz, das Messer (in Asien bereits vollständig) vom Tisch zu verbannen, macht das robuste, flache Brettchen am Tisch überflüssig. Wer vorher schneidet, kann das auf dem alten Tropenholzbrett an der Arbeitsplatte tun. Den zivilisatorischen Impetus hat sich der taz-Redakteur, Brotliebhaber, Hobbykoch und kulinarisch engagierte Autor Steffen Grimberg bereits sehr zu Herzen genommen. Sein Kommentar zum umstrittenen Kulturgut: „Der Mensch ist nicht vom Baum heruntergestiegen, um vom Brettchen zu essen!“ Doch es gibt auch noch die alte Schule, nostalgisch motivierte Verfechter abendländischer Tradition, sprich: des Butterbrots auf Brettchen. Unter www.butterbrot.de wird nicht nur die belegte Schnitte gefeiert, dort befindet sich auch das „Deutsche Brettchenmuseum“, dessen Galerie Exponate aus verschiedenen Epochen zeigt. Die Aussteller mit Sitz in Bottrop sind nach wie vor auf der Suche nach weiteren Leihgaben. Die Sammlung soll Ausgangspunkt für die spätere große Wanderausstellung unter dem Titel „Butterbrot-Brettchen aus aller Welt“ sein.

Wo die Retrospektive praktiziert wird, ist die Retrowelle mit Neuauflagen nicht weit. Und siehe da: Brettchen sind nicht nur hip, sondern gleich auch teurer, als sie es je waren: Küchenbrettchen sind heutzutage nicht mehr mit kargen Karos oder altbackenen Zwiebelmustern bedruckt, sondern werden von Designern optisch aufgepimpt – Querverweise inklusive. So liegt unter dem Butterbrot zum Beispiel eine Barbiepuppe im Salat oder Ken auf Marmeladentoast. Objekte dieser Art werden zu Preisen von etwa 7 Euro feilgeboten. Nach oben ist die Spanne weit gesteckt. Dass Brettchen als ironisches Popkulturzitat reüssieren, zeigt: Das Objekt ist – wie auch edle Butter- und Brotsorten – lediglich dort angekommen, wo die Teller längst waren – im bürgerlichen Repräsentations- und Kulturbetrieb. Sozialer Aufstieg hat seinen Preis. Kann aber auch tiefen Fall zur Folge haben.

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