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Archiv-Artikel

der tut nichts, der will nur spülen von WIGLAF DROSTE

Jerry Lee Lewis, genannt „der Killer“ und einer der Gründerväter des Rock ’n’ Roll, ist noch einmal aus der Dämmerung zurückgekehrt und hat, wie die Dinge liegen, seine wohl letzte Platte veröffentlicht: „Last Man Standing“. Längst schien der schon 71-jährige Jerry Lee Lewis in der Versenkung aus exzessiver Sucht und anderem Privatunglück für immer verschwunden. Der Gitarrist und Produzent Jimmy Rip aber hat ihm das Werk in mehrjähriger Arbeit abgerungen.

21 Songs umfasst „Last Man Standing“ – allesamt Duette, die Lewis mit ähnlich gut abgehangenen Schlachtrössern wie BB King und Little Richard oder musikalischen Zieh- und Stiefsöhnen wie Keith Richards, Robbie Robertson, Bruce Springsteen, Rod Stewart und Neil Young singt. Klavierspiel und Hauptgesang lässt sich Jerry Lee Lewis bei keinem Lied nehmen, er will an niemandes Rockzipfel hängen und umgekehrt auch keinem Unwürdigen die Ehre erweisen.

„The Pilgrim“, vom mitsingenden Kris Kristofferson geschrieben, könnte ein Abgesang auf das Leben des So-gerade-eben-noch-Rock-’n’-Roll-Überlebenden Jerry Lee Lewis sein: „He’s a walking contradiction … taking every wrong direction on his lonely way back home.“ Das klingt nach Selbstikonisierung, die Lewis ja auch überhaupt nicht fremd ist. Nie verhehlte er, dass er sich als einen der Größten sieht, neben sich ließ er nur Legenden wie Jimmie Rodgers und Hank Williams gelten. Doch Lewis hat nicht nur eine große Rock-’n’-Roller-Klappe – die ihr Alter angenehmerweise nicht hinter klangtechnischer Politur versteckt –, sondern noch immer einiges dahinter.

Es gibt auf „Last Man Standing“ auch unnötige, erwartbare, konventionelle Rock-’n’-Roll-Klischees und Ranziges wie das pathetisch-patriotische „Ol’ Glory“ mit Toby Keith. Das auf jugendlich getrimmte „Honky Tonk Women“ mit Kid Rock ist sogar regelrecht peinlich; die fast gespenstisch zwangsjuvenile Aufnahme zeigt, wie schwer es für einen Rock-’n’-Roller ist, in Würde zu altern.

Untrennbar mit dem Mythos Rock ’n’ Roll verknüpft ist das Versprechen von Wildheit, ungezügelter Lebensweise und sexueller Kraft. Rock ’n’ Roll, und das macht seinen Reiz aus, ist eben auch die Idee einer Männlichkeit, die sich nicht zur dufte ankumpelnden Männchenhaftigkeit domestizieren lässt: „Der tut nichts, der will nur spülen.“

Wie wird man damit alt? „Hey hey, my my, Rock ’n’ Roll will never die“, sang Neil Young; vielleicht stirbt der tausendmal totgesagte Rock ’n’ Roll ja wirklich nie, aber das Altern fällt ihm schwer. Und das gehört zum Leben nun mal dazu. Deshalb lösen Rock-’n’-Roll-Veteranen beim Betrachter auch sofort das Gefühl der Betretenheit aus, wenn sie Habitus und Gestus ewiger Jugend auftischen.

Insgesamt ist „Last Man Standing“ das erfreuliche Überlebenszeichen eines Mannes, der bereits gänzlich verirrt schien. Eins der stärksten Stücke ist „Evening Gown“ von Mick Jagger, der, gemeinsam mit Ron Wood, Herrn Jerry Lee Lewis durch das Bekenntnis eines ziemlich schmutzigen alten Mannes führt. Der wiederum hat noch genug Kraft für einen Herzenswunsch: „I’m waiting for your blond hair to turn grey.“ Da warten wir doch gern mit.