: Experten in Sachen Fourtysomethings
LEBENSVERGEUDUNG Die Theatergruppe She She Pop beschäftigt sich im HAU sympathisch unvirtuos mit Tschechow aus der Perspektive prekär-postmaterialistisch orientierter Performer: „Sieben Schwestern“
VON EKKEHARD KNÖRER
Sieben Schwestern – das sind vier zu viel. Die drei aus dem Tschechow-Stück: Irina, Mascha, Olga muss man sich denken. Die vier Performer von She She Pop sind im Gegensatz dazu äußerst real: Johanna, Berit, Lisa und Sebastian, Letzterer die Ehrenschwester aus der Schwulenoase. Allerdings wird der Bezug zu Tschechow von den Performern fleißig gesucht: Das Reclamheft mit der Aufschrift „Original“ in der Hand, sitzt (meist) Sebastian auf der Toilette und gibt Anweisungen, die so allerdings nicht im Stück stehen.
Auch die Herrentoilette des Hebbel am Ufer als Handlungsort findet man darin nicht. Die drei Schwestern plus Bruder plus eines nicht sehr glücklich verheirateten Mannes plus durchreisenden Militärpersonals versammeln sich in der Vorlage vielmehr auf Gut Prosorow in der Provinzstadt zu ihrem ziemlich lebensmüden Endspiel um 1900. Man blickt weit in die Zukunft voraus, rechnet in den Worten des Autors mit der eigenen handlungsunfähigen Luxusexistenz ab, ein Feuer bricht aus, die Sehnsucht geht in die Ferne: „Nach Moskau! Nach Moskau! Nach Moskau!“ Vieles wird überhaupt gleich dreimal gesagt, ein Zeichen der Entkräftung der Worte, denen keine Taten mehr folgen.
Als Gut Prosorow figuriert in „Sieben Schwestern“ das Theater Hebbel am Ufer. Die erwähnte Herrentoilette als Herrentoilette, ein Teil des Foyers als Salon, eine Garderobe als Küche, der Hinterausgang als Terrasse und dann noch der Weg zum Hinterausgang als Weg zum Hinterausgang. Es kommt das auf den ersten Blick nicht verortbare Kinderzimmer dazu. Das Publikum aber sitzt, wie sich’s gehört, im bestuhlten Theater. Auf der Bühne selbst passiert wenig, sie wird nur ausnahmsweise Handlungsort, und dann für so etwas wie Vorüberrennen, Rumsitzen, Blöddastehen.
Das „Bühnenbild“ besteht aus sechs Leinwänden unterschiedlicher Größe, auf die von hinten das live übertragene Geschehen an den verschiedenen Handlungsorten gebeamt wird. „Sieben Schwestern“ ist also Live-Kino-Theater. Dunkel wird es im Zuschauerraum dabei nicht. Außer am Ende. So richtig am selben Ort zusammen kommen die vier (plus drei) Schwestern gleichfalls nicht. Außer am Ende.
Dass sie nicht recht zueinanderfinden – ein bisschen wird man das auch über Tschechow und She She Pop sagen können. Alles, was man über die „Drei Schwestern“ wissen muss, sagt Berit Stumpf halb ironisch gleich zu Beginn, sei dies: „Das Stück lehrt, man darf das eigene Leben nicht vergeuden.“ Als Tschechow-Exegese macht dieser Abend gewiss nicht Furore.
Will er auch nicht. Im Grunde haben She She Pop sich stets noch weniger für die große Schwester Klassikerliteratur als für sich selbst interessiert. Zuletzt ganz grandios in „Testament“ nach „King Lear“, da brachten sie ihre realen Väter zu etwas sehr Anrührendem irgendwo zwischen Liebeserklärung und Abrechnung mit auf die Bühne.
Anders gesagt: She She Pop machen programmatisch aus Privatem medial avanciertes Theater. Was sie verhandeln, auch diesmal, sind ganz exemplarisch ihre eigenen Leben. Der Vorwurf, das gehe doch niemanden etwas an, geht genau dann ins Leere, wenn oder falls man als ZuschauerIn feststellt, wie sehr einen trifft, was man da sieht.
Die Frage, wo man mit rund vierzig so steht, wie sehr man sich in Familienstrukturen gefangen fühlt oder nicht, wie aufgeklärt und zugleich und vielleicht sogar deshalb ratlos man ist: all das sind Dinge, die die eine und den anderen schon betreffen. Dass das Ganze aus der Perspektive sich prekär durchschlagender, postmaterialistisch orientierter Performer dargestellt wird, setzt der Verallgemeinerbarkeit zwar spezifische Grenzen, die aber auch nicht enger sind als in „Drei Schwestern“ mit seinen materiell abgesicherten Provinz-Ennui-Existenzen.
Die Tschechows des „Was mit Theater“-Milieus im postdramatischen Formvokabular sind She She Pop mit ihren „Sieben Schwestern“ dann allerdings doch nicht. So sympathisch unvirtuos sie als generationentypische Vertreter ihrer selbst auftreten: Richtig viel Neues, Genaues, Aufregendes kommt nicht raus. Man nickt mit und dann wohlig ein und wacht wieder auf und lacht, wenn gegen Schluss die Kinder aus den Familienstrukturen gen Moskau geschickt werden. Wo Tschechow stets bitterböse ist, da sind She She Pop diesmal einfach zu nett.
■ „Sieben Schwestern“: am 13. und 14. 12., 19.30 Uhr, HAU 1