: Das Paradies, das stinkt
TOTE FISCHE Weil Niedersachsens zweitgrößter See, der Dümmer, seit einigen Jahren von Blaualgen geplagt wird, fürchten Dauergäste um ein Idyll aus Kindertagen. Dabei ist der See schon seit mehr als 30 Jahren sanierungsbedürftig – man hat nur nichts unternommen
„Vom gelbgrünen Deich der erste Anblick des Sees: hellblau und zitternd vor Frische“, schrieb Arno Schmidt 1953 in „Seelandschaft mit Pocahontas“ über einen Ausflug an den Dümmer. Doch seit einigen Jahren ist es mit der Frische nicht mehr so weit her, denn Blaualgen trüben das Bild: tote Fische in den Häfen, Badeverbote und ein Fäulnisgestank, der über die Flüsse bis in die zehn Kilometer entfernte Kreisstadt Diepholz zieht.
Dabei ist der See, nördlich von Osnabrück mitten im niedersächsischen Nirgendwo gelegen, mit seiner Strandpromenade, den Campingplätzen und Pommesbuden ein beliebtes Ausflugsziel. Von einem „bedrohten Paradies“ schrieb Uwe Fischer, Vorsitzender der Seglervereinigung Hüde, am 17. Mai in der Münsterschen Zeitung. Auf Internet-Seiten von Vereinen und der Initiative „Rettet den Dümmer“ wird der Verlust urtümlicher Idylle beklagt, die durch menschliche Eingriffe zerstört werde.
Die Aufregung ist verständlich, schließlich sind die meisten derer, die sich jetzt Sorgen machen, dem Dümmer seit Kindertagen verbunden. Der mit 13,5 Quadratkilometern zweitgrößte See Niedersachsens ist besonders bei Familien beliebt – weil er sehr flach ist, können Kinder gefahrlos schwimmen, segeln oder surfen. Und über die Vereine bleiben sie dem Dümmer verbunden.
Dabei wird vergessen, dass das „Paradies“ menschengemacht ist: Orte wie Lembruch am Westufer verdanken ihre touristische Attraktivität Deichen, die ehemalige Überschwemmungsgebiete schützen. Zu Arno Schmidts Besuch waren sie gerade fertig, und sein Erzähler flieht vor 200 anrückenden Campern – ein bisschen Wirtschaftswunder im Moor. Seitdem besuchen jährlich tausende Touristen die Campingplätze, Ferienhäuser und Hotels.
Nicht bedacht hatte man allerdings, dass auch die Landwirtschaft näher ans Ufer rückte. Mit ihr stiegen die Güllemengen – Nährstoffe, die im Wasser landen und eine ideale Lebensgrundlage für die als Blaualgen bekannten Cyanobakterien bilden. Ihr Absterben im Sommer verursacht Gestank und Fischsterben, aber auch Toxine, die beim Menschen Hautreizungen, Durchfall oder allergische Reaktionen hervorrufen können. Wie schlimm es die Badestrände trifft, liegt an der Windrichtung.
„Die Algen sind ein riesiges Problem“, sagt Marcel Holy von der Natur- und Umweltschutzvereinigung Dümmer. Man dürfe aber nicht vergessen, dass Badeverbote Schlagzeilen machten, ihre Aufhebung hingegen nicht. So sei die Region doppelt gestraft: durch die Blaualgen einerseits, aber auch, weil Touristen aufgrund überzogener Medienberichte wegblieben.
Tatsächlich war der Nährstoffreichtum des Dümmerwassers schon vor der Blaualgenplage problematisch. Würde der See nicht regelmäßig entschlammt, wäre er längst versandet. Seit über dreißig Jahren gibt es Sanierungspläne.
Weil sich wegen der kurzen Wasseraustauschzeit des Dümmers am See selbst nicht viel gegen die Nährstoffe tun lässt, konzentrieren sich die Behörden auf seine Zuflüsse. Im Jahr 2009 wurde der Bornbach umgeleitet, über den besonders viele Nährstoffe in den See gelangten. Außerdem soll ein Großschilfpolder angelegt werden, als ein 200 Hektar großes biologisches Klärwerk. Doch das millionenschwere Projekt muss erstmal bezahlt werden und dann noch wachsen.
Bis dahin helfen sich die Anwohner mit vielen Maßnahmen, wenn ungünstige Winde die Algenteppiche in die falsche Richtung blasen: schwimmende Barrieren oder Fontänen, mit denen das Wasser in den Hafenbecken in Bewegung gehalten und belüftet wird.
Denn das Ökosystem im See ist komplex. So dient der Dümmer auch als Anlage zum Hochwasserschutz: Im Winter wird der Wasserstand niedrig gehalten, um Wasser zwischenspeichern zu können, im Sommer lässt man ihn volllaufen, damit sich darauf segeln lässt.
„Am Dümmer ist nicht mehr viel natürlich“, sagt Naturschützer Holy. Jetzt muss der Mensch eben wieder eingreifen.
JAN-PAUL KOOPMANN