: Virtuelle Drogentherapie
Wer mit dem Kiffen aufhören will, dem kann jetzt eine Online-Therapie helfen. Der Erfolg gibt dem Programm recht
Einen Kiffer stellte man sich anders vor. Matthias ist 25 Jahre alt und angehender Geisteswissenschaftler. Er publiziert in wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Und Dreadlocks trägt er auch keine. Und doch raucht Matthias Haschisch und Marihuana. Seit zehn Jahren. „Jeden Tag“. Manchmal einen Joint am Tag, meist mehrere.
Nicht, dass er dadurch bisher auffällig wurde: In der Schule und im Studium ist ihm immer alles irgendwie gelungen. „Man professionalisiert sich – ähnlich wie Alkoholiker, die als Lehrer arbeiten,“ sagt er. Unangenehme Begleiterscheinungen stellten sich dennoch ein: Schlafstörungen, Depressionen, Mattheit. „Der Körper macht halt schlapp.“ Irgendwann reichte es ihm.
Im Herbst bekam er ein Werbeflugblatt für ein Ausstiegsprogramm namens „Quit the Shit“ in die Hand. Die Besonderheit: Die Sitzungen mit den auf Drogenberatung spezialisierten Psychologen verlaufen anonym – per Chat im Internet. Matthias gefiel das. Persönlich zu einer Drogenberatungsstelle zu gehen, „das wäre nicht mein Ding gewesen“. Er bekam noch in derselben Woche einen Termin für einen „One-to-One-Chat“ – das Aufnahmegespräch.
Peter Tossmann hat für die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) das Programm entwickelt. Seit Ende 2004 bietet sein Institut Hasch-Rauchern die virtuelle Beratungsstelle an. Rund 800 Personen haben das Angebot seither in Anspruch genommen. „Wir richten uns vor allem an Personen, für die eine Präsenz-Beratung niemals in Frage kommen würde. Das Internet ist da ideal: alles läuft anonym, die Hemmschwelle ist sehr niedrig“, sagt Tossmann.
Im Aufnahme-Chat wies Matthias’ Beraterin ihn darauf hin, was ihm aufgrund des langen Konsums vermutlich bevorstehen würde: Magenbeschwerden und Schlafstörungen. „Rund sieben Wochen – dann wäre das Schlimmste vorbei, haben sie gesagt.“ Und ihm Tipps gegeben: kiffende Freunde vorübergehend meiden, Tabletten und Bücher lesen gegen Einschlafprobleme, Arztbesuch gegen die Magenbeschwerden.
Einmal am Tag schreibt Matthias seitdem in ein virtuelles Tagebuch – „Self-Monitoring“ nennt Tossmann das. Jede Woche schickt ihm seine Beraterin eine einseitige „qualifizierte Rückmeldung“. Sieben Wochen dauert diese Ausstiegsbetreuung. Am Ende gibt es einen Abschluss-Chat. „Personen, die ihre Ziele nicht erreicht haben, aber an ihrem Ausstiegswunsch festhalten, empfehlen wir danach eine Präsenztherapie,“ sagt Tossmann.
Die angekündigten Beschwerden traten tatsächlich ein, waren aber durch die Vorwarnung leichter zu ertragen. Alle Ratschläge seiner Beraterin mochte Matthias jedoch nicht befolgen. Schlaftabletten gegen die Schlafstörungen zu nehmen – das kam nicht in Frage. Und zum Arzt wollte er auch nicht.
Gemeinsam mit der Beraterin überlegte sich Matthias Belohnungen für die erreichten Etappenziele: Essen gehen, kleine Anschaffungen. „Normalerweise“, sagt er, „hätte ich mich für eine Woche Nicht-Kiffen mit einer ordentlichen Tüte belohnt.“ Die virtuelle Drogenberatung hält er für eine „sinnvolle Sache“.
Eine Evaluation der BZgA kommt zu einem ähnlichen Schluss: „Die ,Haltequote‘ – der wichtigste Kennwert für Beratungsstellen – beträgt bei uns knapp 50 Prozent. Präsenz-Beratungsstellen sind etwas besser – aber nur ein paar Prozen“, sagt Tossmann. Rund 500 Euro kostet eine Beratung. Für das nächste Jahr wurde Tossmann ein Kontingent von 400 Fällen bewilligt.
Bis Mitte Januar muss Matthias noch sein digitales Tagebuch ausfüllen. Und er strebt an, danach abstinent zu bleiben. Im Wesentlichen wenigstens. Als er kürzlich für ein Wochenende in seine alte Heimatstadt fuhr, wurde er rückfällig. Problematisch findet er das nicht: „Wenn das auch weiterhin nur zu solchen Gelegenheiten vorkommt, ist das schon in Ordnung.“
Christian Jakob