Ein Walfänger mit Zukunft

Zwei Tage am Nordkap: Der Range Rover ist der Tribut der Frau an die Moderne. Das Wale Watching der des Mannes

Der Range Rover war am Rande einer Wiese geparkt. Gegenüber stand ein alter Mann mit einer seltsamen bunten Mütze auf dem Kopf. Mit einer Hand hielt der Mann ein Rentier fest, daneben war eine Art Tipi-Zelt aufgebaut. Der Mann lächelte still und wartete ab, bis alle Touristen aus dem Reisebus ihn und das Rentier mehrmals fotografiert hatten. Der Mann hieß Nisse und war ein Angehöriger des samischen Volkes, der norwegischen Ureinwohner, deswegen trug er auch die folkloristische Mütze. Nisses Tochter verkaufte selbst gestrickte Handschuhe und Holzschnitzereien im Souvenirshop gleich nebenan. Der Range Rover gehörte ihr.

Bei den Samen gibt es einen alten Brauch. Wenn eine Frau ins heiratsfähige Alter kommt, setzt sie sich in ein Zelt. Die heiratswilligen Männer laufen nacheinander mit ihren Rentieren um das Zelt herum. Wenn der Frau die Rentiere nicht gefallen, muss der jeweilige Kandidat weiterziehen.

Bei Nisses Tochter umrundete der zukünftige Ehemann das Zelt nicht mit Rentieren, sondern mit dem Range Rover. Das hat Nisses Tochter beeindruckt. Der Range Rover ist das Zugeständnis, das die samische Frau im Norden Norwegens an moderne Zeiten zu machen bereit ist.

Mit den Walen ist es ähnlich. Die Norweger jagen seit Jahrhunderten Wale. Das Fleisch wird zu Gulasch oder Steak verarbeitet. Die Norweger könnten auf den Walfang gut verzichten, sie erwirtschaften damit nur einen Bruchteil des Umsatzes der nationalen Fischereiindustrie. Dennoch halten immer noch mehrere hundert norwegische Fischer trotz starker internationaler Proteste störrisch am Walfang fest.

Immerhin haben im Laufe der letzen zehn Jahre einige norwegische Fischer festgestellt, dass sich mit lebenden Walen mehr Geld verdienen lässt als mit toten Tieren. Das sogenannte „Whale Watching“ lockt Touristen an und ist so zur neuen Einkommensquelle geworden. Die Fischer kennen ihre Gewässer, sie wissen, wo sie die Tiere am besten aufspüren können. Und dass sie die Wale jetzt nur noch vorzeigen und nicht mehr jagen, ist ihr Tribut an den Wandel der Zeit. Man kann sagen: Der lebende Wal ist so etwas wie der samische Range Rover für den fortschrittlichen norwegischen Walfänger. KIRSTEN KÜPPERS