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Archiv-Artikel

Die Arme ausgestreckt wie Äste

Diese „Freundschafts-Gruppen-Liebes-Energien“ – das ist das spezielle Forschungsgebiet der Autorin Monika Rinck. Wieso hält sich der Mensch in Gemeinschaften auf? Sie selbst hat das in einem Poetry-Café und in anderen Projekten erfahren. Ein Porträt

VON ANDREAS RESCH

Als ich Monika Rincks Moabiter Wohnung betrete, kommt aus den Lautsprechern der Stereoanlage gerade die Stimme von Róisín Murphy. „Change my name – I remain the same“, singt die Moloko-Sängerin. Diese Zeilen könnten gleich als Motto für unser Gespräch gelten. Denn in Monika Rincks neuem Buch geht es darum, was passiert, wenn ein Mensch in einer Gemeinschaft agiert: gleichzeitig immer noch er selbst, aber irgendwie auch ein anderer ist. Monika Rinck sitzt an ihrem Wohnzimmertisch und trinkt grünen Tee. Von draußen dringen die gedämpften Sounds einer benachbarten Tischlerei durchs gekippte Fenster. Während unseres Gesprächs steht sie immer wieder auf, um Bücher aus dem Regal zu holen.

Die 1969 in Zweibrücken geborene und seit 1990 in Berlin lebende Autorin hat einen Essay mit dem wundervoll-seltsamen Titel „Ah, das Love-Ding!“ geschrieben, in dem es „um diese Freundschafts-Gruppen-Liebes-Energien“ geht. Ein polyfones Stimmengewirr ist das, zu einer extrem verdichteten Textur verwoben, in der sich „Gespräche und Anmerkungen, die die Figuren machen, auf der gleichen Ebene bewegen wie Platon oder Foucault“. Schon vor Jahren hat sie mit dem Kompilieren begonnen: Sie hat Fiktives mit Zitaten aus Büchern von Luhmann, Max Weber oder Barthes verknüpft, das alles ausgedruckt, zerschnitten und anschließend wieder mit Uhu zusammenzugeklebt.

Herausgekommen ist ein 200 Seiten langes Anschreiben gegen die Flüchtigkeit von Gesprächen, das sich liest wie eine Synthese aus wissenschaftlichem Fachtext und experimenteller Lyrik. Dieser Stil liegt wohl in Monika Rincks Biografie begründet. Nach einem Studium der Religionswissenschaften in Bochum und an der FU Berlin ist sie zur Vorbereitung ihrer Dissertation für ein Jahr nach Yale gegangen – und stellte plötzlich fest, dass sie viel größere Lust auf das Lesen und Schreiben von Gedichten hatte. So entschied sie sich gegen eine akademische Laufbahn, auch „weil meine einzige Verbindung zur Universität darin bestand, dass ab und zu jemand aus der Bibliothek angerufen und gesagt hat, ich solle irgendwelche Bücher zurückbringen“.

Nach „Neues von der Phasenfront“, einer Art Theorie-Comic, erschien 2004 ihr erster Lyrikband „Verzückte Distanzen“. Schon da geht es in vielen Texten um das Ich in der Gemeinschaft: „so sind wir dagestanden, wir, die gruppe / als die wolken endlich kamen: den kopf zurück, / die arme ausgestreckt wie äste“, heißt es in „verlängerungen“.

Parallel zu ihren Lyrikprojekten arbeitet Monika Rinck seit den frühen Neunzigerjahren am „Begriffsstudio“. Das sind Skizzen, die sie anfangs postalisch, später per Mail an Abonnenten verschickte (und die im Internet unter www.begriffstudio.de zu finden sind). Entstanden sind die „Begriffs“ – wie es in einer Monika-Rinck-typischen Kunstsprache heißt – eigentlich aus einer Notlage heraus: „Um 1992 herum fing ich an, mit zwei Freunden ein Poetry-Café zu betreiben. Wenn ich extrem viel zu tun hatte, habe ich nur Sachen notiert, aus denen man etwas hätte machen können, und dann im Café aus diesen Listen vorgelesen.“

Diese beiden Stränge – die Lyrik einerseits, die Begriffs-Skizzen andererseits – werden in „Ah, das Love-Ding!“ zusammengeführt. Dem Text zugrunde liegt die Annahme, dass sich das Denken in der Gemeinschaft verändert, „auch wenn man sich selbst natürlich immer dabeihat“. In der Gruppe „vergrößert sich der Denk-Container, weil es Reaktionen gibt, sich eben fremdes Bewusstsein in die Situation hineinmengt“. Was im besten Fall enorm anregend, im worst case jedoch auch lähmend sein kann. Jeder Mensch kennt solche Situationen – am Arbeitsplatz, in Seminaren oder Kneipengesprächen –, wenn das Denken plötzlich erstarrt. Für den Einzelnen sei es deshalb wichtig, Gruppen zu finden, die es einem erleichtern zu denken.

Die zentralen Gedanken in Monika Rincks Buch entwickeln sich im Wesentlichen aus den Gesprächen der Erzählerin mit ihrer fiktiven Freundin Veronika. „Veronika war plötzlich einfach da“, erzählt die Autorin, „und hat angefangen, weitere Leute mitzubringen. So war ich plötzlich nicht mehr allein während der Textentstehung.“

Monika Rinck hat selbst lange an verschiedenen Film- und Theaterprojekten mitgewirkt und kennt die Eigendynamik von Gruppen genau. Auch wenn sie sich mittlerweile aufs Schreiben konzentriert, nimmt sie regelmäßig an einem Lyrikerkreis teil, in dem über in Produktion befindliche Texte gesprochen wird. „Denn bei Sachen, die so völlig ungeschützt nach draußen gehen, weiß ich nicht, inwieweit ich mir da selbst trauen kann.“ Monika Rinck sagt noch, es gehe ihr darum, „Small-Talk-Desaster“ oder „Instant-Weisheiten“ so aufzufangen, „dass etwas von der Situation erhalten bleibt“. Dann erzählt sie, dass sie irgendwann einmal einen Gedichtzyklus zu einem einzigen Thema schreiben und zudem endlich ihren Roman zu Ende bringen möchte. Pläne, deren Umsetzung viel Zeit verlangt. Aber vielleicht kommt ihr ja Veronika wieder zu Hilfe.

Monika Rinck: „Ah, das Love-Ding!“, kookbooks 2006, 18,90 Euro. Vorstellung am Sonntag, 20.30 Uhr, Dock 11, Kastanienallee 79