Auf dem Campus von Ibadan

SCHRIFTEN ZU ZEITSCHRIFTEN Die aktuelle Ausgabe von „iz3w“ widmet sich dem Verhältnis von Fotografie und Macht

Auf der Fotografie sieht man Friday Emitola, wie er unter der Bodengruppe eines Autos steht, umringt von vier Hamburger Kfz-Mechanikern. Eine Stablampe hängt an der Unterseite des Wagens und sorgt etwas oberhalb der Bildmitte für gleißend-weißes Licht. Emitola trägt einen Arbeitskittel, er hantiert mit einem Schraubenschlüssel, sein Blick richtet sich konzentriert nach oben.

Ein Mann wie er, dem die Flucht aus dem Norden Nigerias nach Libyen, von dort weiter nach Lampedusa und nach Hamburg glückte, darf in Deutschland nicht arbeiten. Um dieser Regelung zumindest symbolisch etwas zu entgegnen, hat er gemeinsam mit Weggefährten und Unterstützern eine Gruppe namens „Lampedusa in Hamburg Professions“ ins Leben gerufen. Ihr Ziel ist es, Asylsuchende und Hamburger Betriebe zusammenzuführen. Die Betriebe stellen temporär das Arbeitsumfeld zur Verfügung, das dem Asylsuchenden aus seiner Vergangenheit vertraut ist. In diesem Rahmen entsteht die Fotografie als Dokument eines Wunsches und als Illustration einer Möglichkeit, deren Greifbarkeit unmittelbar einleuchtet, obwohl sie von politischem Unwillen blockiert wird. Emitola sagt: „Eigentlich ist die Arbeitsmethode überall die gleiche. Nur die Werkzeuge haben in den Sprachen andere Namen. Ich habe eine Diplom. Eigentlich sollte ein Diplom Gültigkeit in der ganzen Welt haben.“

Reinszenierte Fantasien

Ein kurzer Beitrag in der neuen Ausgabe der vom Freiburger Informationszentrum 3. Welt herausgegebenen Zeitschrift iz3w beschäftigt sich mit der Aufnahme von Emitola und mit „Lampedusa in Hamburg Professions“. Die Leitfrage des Heftes lautet: „Wer erzählt? Fotografie und Macht“, es geht in den Texten darum, wie Fotografie in Kriegs- und Krisengebieten Stereotype reproduziert, wie Autoren von Reiseblogs koloniale Fantasien reinszenieren oder wie Fair-Trade-Kampagnen mit ihrem wiederkehrenden Bilderrepertoire Klischees wachrufen, die 120 Jahre alt sind. „Nicht immer folgt auf eine gute Absicht eine gute Praxis“, heißt es im Editorial, und in einem Beitrag des jungen Bielefelder Wissenschaftler Sebastian Lemme lässt sich nachlesen, wie das Scheitern der guten Absicht im Detail aussieht.

Kampagnen für fairen Konsum, schreibt er, setzten auf einen starken Kontrast. Auf der einen Seite arbeitende Menschen auf dem Feld, satte Grüntöne, bunte Kleidung, auf der anderen Seite gedämpfte Farben und genießende weiße Menschen in der „Rolle altruistisch handelnder und zugleich anspruchsvoller KonsumentInnen“.

In der Theorie nennt sich dieses Verfahren „Othering“, damit ist gemeint, dass der Betrachter dieser Bilder, so er in Berlin oder New York lebt, nicht im Traum darauf käme, Gemeinsamkeiten zwischen sich und der Teepflückerin in Nordindien zu erkennen. Die meisten Beiträge sind von postkolonialer Theorie inspiriert, was nahe liegt, aber auch ermüdet. Denn das vermeintliche Wissen um das politisch Richtige macht manche Autoren und Autorinnen unsensibel für Feinheiten; das Medium Fotografie stellen sie allzu leichtfertig unter Generalverdacht.

Der Fotografie misstrauen

Greta Lina Keiner von der Universität Gießen macht sich Gedanken über die Fotografien auf Reiseblogs. In einer Aufnahme von drei indigenen Frauen in einer peruanischen Stadt sieht sie die verhängnisvolle Sehnsucht des westlichen Reisenden nach Authentizität am Werk. Dass im Bildhintergrund Stadtarchitektur aufscheint, interpretiert sie als etwas, was der Fotograf nicht gewollt haben kann.

Was aber, wenn es ihm genau auf den Kontrast ankam, auf die Gleichzeitigkeit von indigener Kleidung und großstädtischer Umgebung? Auf die Anerkennung der Koexistenz von Dingen, die scheinbar nicht zusammenpassen? Vielleicht ist der Vorwurf, er jage der Chimäre Authentizität nach, nichts anderes als eine Projektion.

Auswege aus der Ideologiekritik bieten Texte, die sich mit afrikanischer Fotografie befassen, etwa mit den Aufnahmen, die Zanele Muholi von der südafrikanischen Genderaktivistin Miss D’vine angefertigt hat, oder mit den Schwarz-Weiß-Bildern von J. D. ’Okhai Ojeikere, der in den 60er Jahren, zur Zeit der Dekolonialisierung, Studierende porträtierte, junge Menschen auf dem Universitätscampus der nigerianischen Stadt Ibadan, aufgenommen vor klarer, moderner Architektur, hoffnungsfroh, optimistisch.

Die Autorin des Textes, Kerstin Meincke, hat ein Gespür für ästhetische Phänomene und misstraut der Fotografie nicht per se, deshalb kann sie einen wesentlichen Aspekt erfassen: „dass die fotografische Handlung nicht den gesellschaftlichen und politischen Wandel ‚dokumentiert‘, sondern selbst konstitutiver Teil der Geschehnisse ist.“ CRISTINA NORD

■ „Wer erzählt? Fotografie und Macht“, „iz3w“ Nr. 343, 5,30 Euro