Schuldhafte Perspektiven

KUNSTBIENNALEN Flexibel und diskursiv: In Berlin tagte die erste Generalversammlung der International Biennial Association

Kritik an den lokalen Bedingungen der Sharjah Biennale tat Geeta Kapur als westliche Perspektive ab

VON EVA-CHRISTINA MEIER

Nicht nur in São Paulo, Venedig oder aktuell in Berlin finden alle zwei Jahre Biennalen zeitgenössischer Kunst statt. Auch in Dakar, Istanbul, Singapur, Havanna, Sydney oder Lubumbashi – inzwischen existieren weltweit um die zweihundert dieser temporären Großveranstaltungen. Vor fünfundzwanzig Jahren waren es vielleicht zehn. Manche mögen dies bereits für inflationär halten. Doch während sich einige Biennalen bewusst in Entgegensetzung zu der bestehenden Museumskultur positionieren, bietet das Format an anderen Orten vor allem eine pragmatische Lösung für die fehlende kulturelle Infrastruktur.

Und nach über hundert Jahren, seit seiner ersten Ausgabe 1895 in Venedig, hat sich die Biennale vielerorts zu einem Medium gewandelt, das flexibel und diskursiv besonders geeignet erscheint, zeitgenössische Kunst in einen vitalen Austausch mit der Öffentlichkeit treten zu lassen und eine Plattform für gesellschaftliche Fragestellungen zu schaffen.

Wegen dieser Potenziale, aber auch der stetig wachsenden Zahl von Kunstbiennalen, die teils unter politisch und ökonomisch schwierigen Bedingungen stattfinden, gründete sich 2012 die International Biennal Association – ein internationales Biennale-Netzwerk zur Kooperation und gegenseitigen Unterstützung am Rande der Gwangju Biennale in Südkorea.

Die erste Generalversammlung dieser Vereinigung fand nun vom 10. bis 13. Juli im Haus der Kulturen der Welt in Berlin statt. Organisiert wurde das Treffen von der Berlin Biennale in Kooperation mit dem Institut für Auslandsbeziehungen. Gastgeber war die Kulturstiftung des Bundes, die ebenfalls die Anreise von 26 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus 21 einkommensschwachen Ländern ermöglichte. Insgesamt waren Gäste von etwa hundert Biennalen angereist.

Schöne Ausstellung, hässliche Gesellschaft

Begleitet wurde die Generalversammlung von der eintägigen Konferenz unter dem Titel „Why Biennial. Why associate“. Diskutiert wurde dort auch, welche Bedeutung Biennalen nicht nur bei der Wissensvermittlung von Kunst, sondern auch bei der Verbreitung ethischer Standards zukommt. So zitierte Maria Hlavajova, Kuratorin und künstlerische Leiterin des BAK (basis voor actuele kunst), Utrecht gleich zu Beginn in ihrem Eingangsreferat einen ihrer ehemaligen Professoren mit der Frage: „Was ist eine schöne Ausstellungen in einer hässlichen Gesellschaft?“

Nicht erst im Zuge der im Juli eröffneten zehnten Ausgabe der europäischen Wanderbiennale „Manifesta“ in Sankt Petersburg taucht die Frage nach der moralischen Verantwortung und einer angemessen Reaktion internationaler Kunstevents angesichts politischer Repression, Zensur und Verletzung von Menschenrechten auf. In einer der Podiumsrunden über Biennalen als Instrument öffentlicher Debatten und Pluralität machte Hedwig Fijen, die niederländische Direktorin der „Manifesta“, ihre Entscheidungen sehr nachvollziehbar, die von Kaspar König in St. Petersburg kuratierte Ausstellung in der Eremitage stattfinden zu lassen. Schließlich sahen sie in der angespannten politischen Situation nach der russischen Annektion der Krim die Möglichkeit die Ausstellung nicht in einem „sicheren Hafen des Westens“ stattfinden zu lassen, sondern dort, wo sie notwendig sei. Der ebenfalls im Saal anwesende ehemalige Museumsdirektor König meldete sich dazu selbst nicht zu Wort, nur der Telekom-Jingle seines Mobiltelefon machte regelmäßig im Hintergrund auf ihn aufmerksam.

Dass sich hinter dem gemeinsamen Assoziierungsgedanken auch inhaltliche Differenzen und individuelle Interessen der Teilnehmer verbargen, wurde auf der Konferenz spätestens deutlich, als auf dem gleichen Podium die indische Kunstkritikerin Geeta Kapur Kritik an den lokalen Bedingungen der Sharjah Biennale in den Arabischen Emiraten als westliche Perspektive abtat. Man müsse mit den Widersprüchen umgehen.

Trotz der Bedeutung kuratorischer Autonomie forderte Kapur von internationalen Kuratoren und Künstlern vielmehr ein Verstehen der jeweils politischen Verhältnisse vor Ort – nicht ohne im Nebensatz Israel einen groben Seitenhieb („faschistisches System“) zu versetzen.

2011 hatte die Sharjah Biennale den Kurator Jack Persekian entlassen, nachdem Arbeiten des algerischen Künstlers Benfodil wegen Blasphemie aus der Ausstellung entfernt worden waren. Direktorin der 1997 von Sultan bin Mohammed al-Qasimi gegründeten Sharjah Biennale ist seine Tochter, Hoor al-Qasimi. Sie ist ebenfalls Mitglied der International Biennal Association.

„Why Biennial. Why Associate“ schloss mit einem kurzen Ausblick der israelischen Kuratorin Galit Eilat auf die bald startende Biennale von São Paulo und deren Bericht über die besondere Herausforderung, mit denen sie und ihre internationalen Kuratorenkollegen sich in Brasilien konfrontiert sehen. Angesichts der massiven Proteste und der neuen sozialen Bewegungen stellte sich auch ihnen bald die Frage, in welcher Form sie das, was im Land passierte, in der traditionsreichen Biennale präsentieren könnten, ohne den Anspruch zu erheben, dies gleichzeitig zu repräsentieren.

Oder wie es Hedwig Fijen von der „Manifesta“ einmal an anderer Stelle formulierte: „Wie bekommt eine Ausstellung Relevanz in einer komplexen politischen Situation?“ Kommenden November wird in São Paulo weiterdiskutiert. Dann findet dort im Rahmen der Biennale das zweite „World Biennial Forum“ statt.

biennialassociation.org/new/; worldbiennialforum.org