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Archiv-Artikel

Acht Tage des Irrsinns

RADSPORT Vom Rindfleischradler bis zum Radlrentner. Die Szene legt einen bemerkenswerten Saisonstart hin

„Wir sollten ihm zum Mond schießen“

ZEITFAHRER FABIAN CANCELLARA ÜBER EIGENBLUTVAMPIR RICARDO RICCÒ

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Die Radsportsaison hat noch nicht richtig begonnen, schon hat sich der Wahnsinn Bahn gebrochen. Die taz dokumentiert die Ereignisse der vergangenen acht Tage.

Donnerstag, 10. Februar: Im Fußball-WM-Emirat von 2022 gewinnt der Deutsch-Australier Heinrich Haussler die dritte Etappe der Katar-Rundfahrt von Al Wakra nach Mesaieed über 150,5 Kilometer. Thema im Peloton ist indes ein anderer: Ricardo Riccò. Der italienische Radprofi liegt seit zwei Tagen wegen akuten Nierenversagens im Krankenhaus. Riccò, der wegen Dopings bei der Tour de France 2008 für 20 Monate gesperrt worden war, führt seine Probleme auf eine Eigenbluttransfusion zurück. Das Blut, das er sich infundiert hat, hatte er 25 Tage in eigenen Kühlschrank aufbewahrt. Fabian Cancellara, der Schweizer Zeitfahrweltmeister, sagt nach der Etappe: „Wir sollten ihn zum Mond schießen.“ Derweil ärgert sich Daniele Benatti über seinen dritten Platz. Dass der Italiener 2005 wegen Dopings mit Betamethason verwarnt worden ist, stört schon lange keinen mehr. Betamethason? Das war das verbotene Mittel in der Salbe, mit der Springreiter Ludger Beerbaum vor den Olympischen Spielen 2004 in Athen sein Ross eingeschmiert hat.

Freitag, 11. Februar: Sieg für Murilo Antonio Fischer (Brasilien) gewinnt ein Rennen bei der Mallorca Challenge. Der deutsche Andreas Klöden, der schon zwei Mal Zweiter bei der Tour de France war, der auch schon zwei Mal in Teams beschäftigt war, die wegen Dopings die Tour nicht betreiten durften, kommt nicht ins Ziel. Er sorgt dennoch für eine Sensation: Der 35-Jährige gibt einer deutschsprachigen Publikation ein Interview – der Mallorca-Zeitung. So etwas macht er eigentlich nicht, weil ihm zu viel über Doping berichtet wird. Seine Meinung über die Lage der Szene: „Es gibt zurzeit ein bisschen Wirrwarr.“

Samstag, 12. Februar: Die Twitterbotschaft eines Premierministers lässt aufhorchen. Der spanische Regierungschef José Luis Zapatero zwitschert: „Es gibt keinen juristischen Grund, Contador zu bestrafen“. Damit stellt er sich hinter den dreifachen Tour-Sieger Alberto Contador, der bei der Frankreichrundfahrt 2010 positiv auf Clenbuterol getestet worden ist. Clenbuterol war auch im Körper des südafrikanischen Profis Michael Dean Pepper. Weil noch körperfremdes Testosteron nachgewiesen wurde, verkündet die südafrikanische Anti-Doping-Behörde eine Dreijahressperre. In Doha lässt sich derweil der Australier Mark Renshaw als Gesamtsieger der Katar-Rundfahrt feiern. Über Ricardo Riccò, der an diesem Tag von seinem Team Vacansoleil DCM rausgeschmissen wird, will da keiner mehr reden.

Sonntag, 13. Februar: Der australische Radsportverband nominiert sein Team für den Bahn-Weltcup in Manchester. Nicht dabei ist Jack Boobridge. Der hatte ein paar Tage zuvor den 15 Jahre alten Weltrekord in 4.000-Meter-Verfolgung geknackt. Das galt eigentlich als unmöglich, denn der alte Weltrekord war in der sogenannten Supermanposition aufstellt worden. Die Spezialräder, die eine extrem aerodynamische Sitzhaltung ermöglichten, sind nicht mehr zulässig. Bobridge hat es trotzdem geschafft. Derweil wird in Indien Werbung für den Straßenradsport gemacht. Im zweiten Rennen einer Serie gewinnt der Australier Robert Hunter in Mumbai vor dem Italiener Elia Viniani.

Montag 14. Februar: Die Werbetour für den Radsport macht im Oman Station. Eddie Merckx, der fünffache Tour-de France-Sieger und Kortisonkonsument von ganz früher, macht sich mit 25 arabischen Schulkindern eine Ausfahrt, um sie an den Rennsport heranzuführen. Kurz darauf wird er von den Medienberichten hören, die den Freispruch Alberto Conatadors durch die Disziplinarkommission des spanischen Radsportverbandes vorab melden. Und auch Ricardo Riccò wird wieder Thema. Er wird wegen massiver Herzprobleme auf die kardiologische Station des Krankenhauses von Modena verlegt.

Dienstag, 15. Februar: Es ist offiziell: Albetro Contador ist von allen Dopingvorwürfen freigesprochen worden. Er macht sich auf den Weg nach Portugal, wo er am nächsten Tag bei der Algarve-Rundfahrt an den Start gehen wird. Die Tour of Oman läuft schon. Die erste Etappe gewinnt der Niederländer Theo Bos vor Sprintstar Mark Cavendish.

Mittwoch, 16. Februar: Der siebenfache Tour-de-France-Sieger Lance Armstrong erklärt zum zweiten Mal seinen endgültigen Rücktritt vom Radsport. Die Ermittlungen, die seine Dopingvergangenheit beleuchten sollen, gehen ebenso weiter wie sein Engagement gegen Krebs. Die Welt-Anti-Doping-Agentur kündigt an, bis zu den Olympischen Spielen 2012 in London verstärkt mit Polizei- und Grenzschutzbehörden zusammenzuarbeiten. Gerade im Radsport habe sich gezeigt, dass staatliche Ermittler viel effektiver im Kampf gegen Manipulation seien als Sportverbände und Anti-Doping-Agenturen. Alberto Contador beendet die erste Etappe der Algarve-Rundfahrt als 28. Es gewinnt der Belgier Philippe Gilbert.

Donnerstag, 17. Februar: Die Vereinigung spanischer Fleischproduzenten wehrt sich gegen Alberto Contadors Erklärung für den positiven Clenbuterol-Test. Der als Kälbermastmittel in der EU verbotene Schlankmacher, der die Muskeln so schön wachsen lasst, werde in Spanien nicht bei der Tiermast verwendet. Contador könne also gar kein verseuchtes Fleisch zu sich genommen haben. Der dänische Profi Chris Anker Sørensen sagt, dass er auch weiterhin Steaks essen wird.