: „Kurnaz wollte mit den Taliban kämpfen“
Thomas Oppermann (SPD), Chefverteidiger von Steinmeier im BND-Untersuchungsausschuss, rechtfertigt im Fall Murat Kurnaz das Verhalten der rot-grünen Bundesregierung: „Kurnaz hat selbst dazu beigetragen, den Terrorverdacht auf sich zu lenken“
INTERVIEW JENS KÖNIG
taz: „Ich würde mich heute nicht anders entscheiden“, gab Frank-Walter Steinmeier zum Fall Kurnaz zu Protokoll. Irritiert Sie angesichts des Schicksals von Murat Kurnaz der Satz des Außenministers nicht?
Thomas Oppermann: Nein. Steinmeier hat ja nicht entschieden, dass Murat Kurnaz in Guantánamo bleibt. Die „Präsidentenrunde“ im Kanzleramt hat sich im Herbst 2002 darauf verständigt, dass eine mögliche Ausreise von Kurnaz in die Türkei erfolgen soll und nicht nach Deutschland – aus sicherheitspolitischen Gründen. Den Satz des Außenministers verstehe ich so: Er würde eine vergleichbare Entscheidung mit dem Wissen von damals wieder so treffen.
Und diese damalige Entscheidung war richtig?
Soweit ich sie aus den Akten nachvollziehen kann – ja. Im Jahre 2002 kannte niemand die genauen Haftbedingungen in Guantánamo, auch in der taz habe ich damals keine Berichte über systematische Folterungen gelesen. Das Lager wurde als ein rechtlich fragwürdiger Ort angesehen, in dem die Amerikaner die gefährlichsten Terroristen gefangen hielten. Aber so oder so – die Entscheidung, Kurnaz lieber in die Türkei ausreisen zu lassen, bedeutete keine Rechtfertigung von Guantánamo.
Das klingt wie ein technischer Vorgang. Schockiert Sie Kurnaz’ Schicksal gar nicht?
Doch. Ich habe im Untersuchungsausschuss Herrn Kurnaz gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass mich sein Haft- und Folterschicksal sehr berührt. Dass ich mir wünsche, dass das Unrecht von unabhängigen Gerichten in den USA festgestellt und er dort rehabilitiert wird.
Und anschließend haben Sie Kurnaz mit den alten, zum Teil widerlegten Verdachtsmomenten konfrontiert.
Als Mitglied des Untersuchungsausschusses ist es meine Aufgabe, die ganze Wirklichkeit zu rekonstruieren. Ich muss auch fragen: Welche Erkenntnisse und welche Motive haben zur Entscheidung der Bundesregierung beigetragen, Kurnaz nicht einreisen zu lassen?
Haben Sie die Antwort?
Fest steht, dass Kurnaz im Jahre 2001 durch sein Verhalten in Bremen und seine Reise nach Pakistan selbst erheblich dazu beigetragen hat, den Terrorismusverdacht auf sich zu lenken.
Der Vorwurf ist perfide. War es 2001 etwa strafbar, nach Pakistan zu reisen?
Der Verdacht ist doch nicht von der Sicherheitsbehörden konstruiert worden. Er gehört zur Wahrheit dazu. Mehrere Zeugen haben glaubhaft belegt, dass Kurnaz die Absicht hatte, von Pakistan aus nach Afghanistan weiterzureisen, um dort auf der Seite der Taliban zu kämpfen. Dieser Plan allein ist noch nicht strafbar, deswegen ist das Strafverfahren gegen Kurnaz später auch völlig zu Recht eingestellt worden. Aber Kurnaz nicht nach Deutschland einreisen zu lassen, war eine Entscheidung der Gefahrenabwehr.
Die US-Seite hat im Herbst 2002 den Deutschen ein Angebot gemacht, Kurnaz freizulassen – weil sie ihn nach den Verhören für harmlos hielt.
Das wird immer behauptet, ist aber durch die Akten nicht belegt. Die US-Behörden, insbesondere das für Guantánamo zuständige Verteidigungsministerium, hielten Kurnaz bis zum Schluss nicht für glaubwürdig und für gefährlich. Selbst nachdem die Bundeskanzlerin im Januar 2006 mit George Bush über den Fall gesprochen hatte, dauerte es noch sieben Monate, bis Kurnaz freikam. Es gab offenbar starke Kräfte im Pentagon, die die Freilassung von Kurnaz verhindern wollten.
Es gab also Ihrer Meinung nach im Herbst 2002 gar kein Angebot der US-Amerikaner?
Es gab kein Angebot der zuständigen US-Stellen. Es gab lediglich eine Diskussion auf geheimdienstlicher Arbeitsebene. Der BND-Mitarbeiter, der Kurnaz in Guantánamo befragt hat und ihn hinterher als eher harmlos einstufte, war bei seiner Einschätzung erkennbar von der faszinierenden Aussicht inspiriert, Kurnaz als den möglicherweise ersten von CIA und BND geführten Agenten in der norddeutschen Islamistenszene einsetzen zu können. Diese Agentenspielchen sind von den deutschen Sicherheitsbehörden zu Recht als unseriös verworfen worden.
Kurnaz ist in Bremen geboren und aufgewachsen. Deutschland ist seine Heimat. Hat die Bundesregierung ihre Fürsorgepflicht ihm gegenüber verletzt?
Deutschland hat selbstverständlich auch für Einwanderer eine Fürsorgepflicht. Aber wenn ein Terrorismusverdacht gegeben ist, dann schränkt das die Fürsorgepflicht ein. Trotzdem haben sich die deutschen Behörden immer wieder nachhaltig für Kurnaz’ Freilassung in die Türkei eingesetzt.
Hätten sie nicht auf die Ausreise nach Deutschland dringen müssen, um ihm hier, falls notwendig, ein rechtsstaatliches Verfahren zu machen?
Nach dem geltenden Ausländerrecht – von den Grünen übrigens mit beschlossen – waren die deutschen Behörden geradezu verpflichtet, Sicherheitsbedenken zu prüfen, die einer Wiedereinreise entgegenstanden.
Also hat Rot-Grün im Fall Kurnaz keine Fehler gemacht?
Wir stehen am Anfang der Untersuchungen. Bis jetzt sehe ich keine Fehler.
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