: Wer überwacht wird, ist nicht frei
Die „Aktion Freiheit statt Angst“ und #StopWatchingUs rufen zu bundesweiten Demonstrationen gegen den amerikansichen Überwachungsskandal auf
■ 26. JuliAm Aktionstag finden bundesweit Demonstrationen, Spaziergänge zu den Geheimdiensten und Kundgebungen statt.
■ 30. Juli Berlin: Kundgebung vor dem Brandenburger Tor, 14 Uhr
Mehr dazu im Netz:stopwatchingus.info freiheitstattangst.decrypto-stammtisch.de datenflut.net
„Überwachung“, sagt Florian Wächter von der Initiative #StopWatchingUs, „ist nichts, was jemand direkt spürt. Und auch die Leute, die gezielt überwacht werden, kriegen es meistens erst mit, wenn es zu spät ist.“ Etwas mehr als ein Jahr nachdem die Welt zum ersten Mal von einem blassen jungen Mann namens Edward Snowden hörte, bleibt die bittere Erkenntnis: Es hat sich nichts geändert. Fast jede Woche werden neue Ausmaße der Spionage von amerikanischen, britischen, aber auch deutschen Geheimdiensten bekannt.
Man muss mittlerweile davon ausgehen, dass fast unsere gesamte nichtpersönliche Kommunikation abgehört, mitgeschnitten, gespeichert wird. Es wird aufgeklärt, es wird gewarnt. Trotzdem, so scheint es, geht kaum jemand auf die Straße, um dagegen zu protestieren. Trotz der bitteren Geschichte in diesem Land. Mit Stasi, mit der Gestapo. Interessiert es uns nicht mehr, dass unsere private und geschäftliche Kommunikation für Geheimdienste so einfach zugänglich ist?
Ein Problem ist sicher, dass wir es ihnen, wider besseres Wissen, sehr einfach machen. Die ganzen spaßigen Möglichkeiten, die uns den Alltag erleichtern. Smartphones, Tablets, GPS-Geräte. Auch unsere E-Mail-Kommunikation. Sie sind, das weiß man mittlerweile, nicht schwer zu knacken. Sicher, man kann seine Kommunikation verschlüsseln. Ziemlich gut sogar. Doch das ist anstrengend und kaum jemand macht sich die Mühe.
„Leider ist Geschwindigkeit scheinbar wichtiger als Datenschutz. Da die Leute gerne diese schnelle Software nutzen und sie als gut wahrnehmen, haben Sie auch wenig Interesse, dagegen zu protestieren“, formuliert es die „Aktion Freiheit statt Angst“ in einem schriftlichen Interview. Und wer seine Daten verschlüsselt, macht sich verdächtig. Wie der Erlanger Student Sebastian Hahn. Dieser betreibt einen Server für das Anonymisierungsnetzwerk Tor, mit dem Nutzer versuchen, ihre Spuren im Internet zu verwischen. Das brachte ihn ins Visier der NSA. Wenn wir uns zweimal überlegen müssen, was wir in privater Kommunikation mitteilen, schränkt es uns automatisch ein. Warum protestieren so wenige gegen diese Praktiken?
Für die Netzaktivistin und Bloggerin Anne Roth hat das nichts mit Desinteresse zu tun. „Ich habe schon den Eindruck, dass es sehr viele Leute stört, dass die Überwachung stattfindet“, sagt sie. „Was ich allerdings auch wahrnehme, ist ein Gefühl totaler Machtlosigkeit.“ Machtlosigkeit gegenüber ausländischen Geheimdiensten. Machtlosigkeit aber auch gegen eine Bundesregierung, die noch immer so tut, als sei nicht wirklich was passiert.
Am 26. Juli wird es einen bundesweiten Aktionstag von #StopWatchingUs gegen die Überwachung geben. Für die, die nicht stumm bleiben wollen. Acht Städte haben sich angemeldet. Auch Berlin sollte dabei sein. Jetzt wurde die Demo offenbar kurzfristig abgesagt. Stattdessen soll vier Tage später gegen Überwachung am Brandenburger Tor protestiert werden.
Die Liste der Forderungen ist lang: das Recht auf informelle Selbstbestimmung im Grundgesetz verankern, Netzneutralität gesetzlich festschreiben, eine anonymisierte Internetnutzung garantieren, Whistleblower wie Edward Snowden schützen. Und die Offenlegung der Aktivitäten von Geheimdiensten und deren Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden.
„Die Geheimdienste müssen sich eingestehen, dass sie zu weit gegangen sind“, sagt Florian Wächter. „Sie müssen ihre Überwachungsaktivitäten offenlegen und welche Techniken zur Verfügung standen. In einem nächsten Schritt müssen sie dann diese technischen Möglichkeiten abschalten.“ Anne Roth ist skeptisch: „Angesichts der Blockade der Bundesregierung halte ich es für eine utopische Vorstellung, dass da was geändert wird. Gleichzeitig unterstütze ich natürlich die Forderung, dass es Transparenz und Aufklärung gibt.“ Wenn es nach ihr ginge, würden die Geheimdienste komplett abgeschafft. „Es verträgt sich nicht mit einer Demokratie, dass die gesamte Bevölkerung unkontrolliert und im Geheimen überwacht wird.“
Wichtig sei vor allem, im eigenen Umfeld Aufklärungsarbeit zu leisten, sagt Florian Wächter. In welcher Form auch immer: „Jeder das, was er kann. Wer etwa technisch begabt ist, kann aufzeigen, wie einfach es ist, E-Mails abzufangen.“ Solange das Bewusstsein für die Problematik dieses Skandals bei den Bürgern nicht geschärft ist, solange die Menschen nicht in Massen auf die Straße gehen, um gegen die Überwachung zu protestieren, so lange kann die Bundesregierung das Thema ignorieren. So lange wird sich nichts ändern.
PATRICK SCHIRMER SASTRE