: Der Vogel flieht den Mief der Turnhalle
Frühlingskrise vor dem heutigen Play-off-Beginn? Paah, Tagesgeschäft, sagen Manager Marco Baldi (links) und Trainer Svetislav Pesić: Wenn im Herbst die Basketball-Europaliga beginnt, wird Alba Berlin mit etwas Hilfe von adidas aus der regionalen Nische raus und zu einem nationalen Produkt – wenn das Fernsehen mitmacht ■ Von Peter Unfried
Da war Basketball schon mal schön breit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, und was mußte Svetislav Pesić hören? Alba Berlin brauche sich gar keine Hoffnungen zu machen, verkündete der Bursche vom SFB, Meister werde auch heuer wieder Leverkusen. Das ist ein paar Wochen her, doch Pesić (46) tobt heute noch. „Eine Beleidigung für uns alle“ sei das, findet der Alba-Trainer. Mag sein, daß die Berliner Medien den Serben in den vergangenen zwei Jahren ein bisserl arg hofiert haben, nachdem ausgerechnet er sie – verdammte Hertha! – in die weite Welt geführt hat, nach Spanien, Frankreich und Italien. Und er daher jetzt stutzt, wo sie ihm die ansteigende Zahl der Niederlagen vorrechnen.
Wenn Pesić sagt, er fordere „Respekt“ ein, meint er eigentlich einen ganzheitlichen Blick. Weg von den kleinen Kalamitäten des Tagesgeschäfts, der Tatsache, daß Albas einer Leistungsträger, der Serbe Sacha Obradović seit zwei Monaten wegen Knieproblemen nicht richtig auf die Beine kommt. Und der andere, der Slowene Teoman Alibegović gut spielt, aber nicht jenes letzte Etwas beisteuert, was im letzten Frühjahr die Charlottenburger Sömmeringhalle ein ums andere Mal vor ehrlicher Verzückung aufstöhnen ließ.
„Wir haben Qualitäten, wir haben gute Trainingsmöglichkeiten, wir haben“, so spricht der Trainer Pesić, „einen guten Trainer.“ Was er meint: Alba Berlin hat eine Zukunft, und diese Zukunft hängt nicht vom heute abend beginnenden Viertelfinal-Play-off gegen den MTV Gießen ab.
Warum das so ist? „Ich nenne nur drei Namen“, sagt Roland Geggus, Präsident des Deutschen Basketball-Bundes (DBB): „Hauert, Baldi, Pesić.“ Dieter Hauert, findet Geggus, sei „der ideale Vorsitzende“, ein steinreicher Immobilienmensch, der nicht nur Geld hat, sondern auch Kontakte, keine Basketball-Vita, aber auch keine Profilierungsneurose.
Die Geschäfte überläßt so einer denen, die etwas davon verstehen. Pesić und dem Manager Marco Baldi (32). Der war vor Pesić da, und hat noch die Zeiten erlebt, als beim Vorgänger-Klub Charlottenburg zwar auch bisweilen Geld da war, aber keine Konzepte. Mit Hauert und dem Müllentsorger Franz-Josef Schweitzer („Alba – Alles bestens entsorgt“) kam eine neue Dimension ins Geschäft, die bis dato nur der Konzern-Klub in Leverkusen hatte: Zeit.
Der Klub betreibt in seinem Farmteam TuS Lichterfelde die beste Jugendarbeit weit und breit, und Pesić hat in dieser Saison einige der TuS-Li-Talente ins Team eingebaut und gibt ihnen branchenunüblich viel Spielzeit. „Wenn du das machst“, sagt der Trainer, „leiden die Resultate.“ Kurzfristig.
„Eine Spitzenmannschaft“, sagt aber Baldi, „ist im Grunde eine, die vorne mitspielt, aber nicht jedes Jahr einen Titel gewinnen muß.“ Jenen Titel holte der Klub im vergangenen Frühjahr: Es war eine Anneinanderreihung von glücklichen, doch nicht zufälligen Umständen, die den europäischen Korac-Cup und ein neues Niveau nach Berlin brachten. Jenes aber ist in den Plänen Baldis nicht das Optimum, sondern erst die Basis. Im Herbst kommt die Europaliga, das Schaufenster für die besten 24 Teams des Kontinents. Und Alba ist dabei. Auch nicht zufällig. Jene Punkte, die dem deutschen Basketball den zweiten Vertreter brachte, hat der Klub sich selbst mit der erneuten Korac-Viertelfinalteilnahme besorgt.
Der Weltverband FIBA hatte bei seiner Kreation natürlich die NBA im Hinterkopf. Das Hauptinteresse von Boris Stanković gilt der Etablierung des Spiels in den Metropolen. Flughäfen will der Generalsekretär sehen und große Veranstaltungsorte, keine Turnhallen. Letztere sollen Vergangenheit sein, in der Bundesliga bleiben sie mittelfristig die Zukunft. Um die 2.000 passen in die übliche Liga-Turnhalle, Bayreuth wiederum hat eine, in die 4.000 Leute reinpassen, doch dafür ist Bayreuth ... nun Bayreuth, eben.
172 neue Vereine und Abteilungen hat Präsident Geggus im vergangenen Jahr zählen dürfen, im Mai will er mit medialem Widerhall den 2.000sten Basketball-Klub des Landes feiern. Die Basis ist da und wächst, doch es fehlen die nationalen Identifikationsklubs und – Figuren. Wenn jener Boom, den der Verband nach dem EM-Sieg 1993 (mit Trainer Pesić) nicht hat in die Wege leiten können, noch kommen soll, dann funktioniert das nur von oben. Am wahrscheinlichsten von Berlin aus. Die fußballfreie Ereignis-Diaspora, hat Marco Baldi erfahren dürfen, „springt sofort auf, wenn man absolute Spitze ist“. 30.000 Karten hätte man damals für das Korac- Cup-Finale absetzen können. Im Moment ist nach einem erneuten Korac-Run die Begeisterung etwas gedämpft, weil, wie Baldi sagt, „in Deutschland das Resultat immer eine Rolle spielt“.
Aber die Grundlagen sind da. Fast. Wenn, was manche befürchten, die Max-Schmeling-Halle nicht Ende des Jahres fertig ist, gibt es Probleme. Zugesagt hat man Alba den Termin Herbst. 8.500 gehen da rein: Ist die Arena in Prenzlauer Berg international dreimal ausverkauft, hatte Alba so viele Zuschauer wie ein durchschnittlicher Bundesligaklub in der gesamten Saison. Nicht dieselben Einnahmen, die neue Klientel im fernen Osten der Stadt muß erst mit Einführungspreisen gewonnen werden.
Eine Basis von sehr jungen Zuschauern hat man. Das einst akademisch-analytische Publikum ist abgelöst von einem „kommunikativen“ (Baldi). Abitur wird weder von Fans noch von Spielern verlangt. Im Gegensatz zu dem Verband und Klub zumeist die „Kooperation“ verweigernden Leverkusener Henning Harnisch hat Alba mit dem stets grinsenden Teoman Alibegović einen populistischen Helden. Überhaupt sind die Rollen verteilt; fast wie bei den Beatles. Sascha Obradović gibt den gut gekleideten sophisticated Mann von Welt, Alibegović mit kindlichem Gemüt und Behnke mit riesiger Freundlichkeit feiern mit den Tribünen. Henrik Rödl ist der rechtschaffene deutsche Arbeiter und Kapitän Stephan Baeck der medial-erfahrene Intellektuelle. Und der Name? Flutscht im Gegensatz zu, sagen wir, „ratiopharm Ulm“ einem jedem von der Zunge und läßt die Kundschaft an den lustigen Albatros denken, den von Baldi kreierten Vereinsvogel - klingt irgendwie gut und jedenfalls überhaupt nicht nach Müll.
Kleine Schritte macht man, aber jeder, glaubt Baldi, bringt voran. Während Vereine wie Bamberg noch Korac-Cup-Teilnahmen absagten, um nicht am Ende auf 100.000 Mark minus hängenzubleiben, erkannte Alba früh die Perspektiven des Wettbewerbs. Zugegeben auch deshalb, weil man sich etwaigen Verlust leisten konnte, ohne gleich den Laden dichtmachen zu müssen. Aber das ist eben der Unterschied. In der medial nun nicht gerade verwöhnten Szene hat der europäische Wettbewerb Alba und seine Protagonisten, wenn schon nicht ins Fernsehen, so zumindest in den überregionalen Tageszeitungen zu einem nationalen Thema gemacht. Darauf muß man aufbauen. „Über die Europaliga“, sagt Marco Baldi, wolle man ein Produkt werden, „das bundesweit interessant ist“. Dazu allerdings braucht es neuen, internationalen Erfolg. Und dazu muß der Klub, der sich inzwischen zu den besten 15 Teams Europas rechnet, seinen Etat weiter ausdehnen. Bisher liegt der zwischen 5 und 6 Millionen. Soviel hat in Italien ein Durchschnittsteam.
Nahezu jeden Mittwoch wird ab Herbst mittwochs gegen die Großen Europas gespielt. Der Sportartikelkonzern adidas glaubt an Albas Zukunft und hat mit dem Klub einen Vertrag bis zum Jahr 2000 geschlossen. Im Herbst wird adidas erstmals ins Basketball-Merchandising-Geschäft einsteigen. Mit dem Prototypen Alba. „Alba“, sagt der PR-Manager Markus Hansel, „scheint der geeignetste Partner.“ Zwar werde das alles „nicht so ausgedehnt wie bei Bayern München“ (Hansel) geraten, aber: In Herzogenaurach rechnet man mit Berlin.
Klar ist: Alles hängt vom Fernsehen ab. Erst wenn die öffentlich- rechtlichen Rechteinhaber Sendeplätze für die Europaliga freischaufeln, kann das Produkt so richtig reüssieren. Aber, hofft nun wiederum Marco Baldi: „Wenn Alba mit Hilfe von adidas zu einem eingeführten Produkt wird, dann wird die Schwelle bis zur Übertragung niedriger.“ (Siehe nebenstehenden Kasten.)
Bleibt die Frage nach der Zukunft von Trainer Pesić, dessen Vertrag nach drei Jahren ausläuft. „Sveti“, wie sie ihn nennen, braucht man, denn der „lucky coach“ (Geggus) garantiert den Erfolg. Soweit man den eben garantieren kann. Und er ist nach wie vor besessen von der unlängst noch wahnwitzig daherkommenden Idee, deutschen Basketball zu einem europäischen Qualitätsprodukt zu machen. Daher wird Baldi auch „kucken, daß er hierbleibt“. Und Pesić? „Eine Gesellschaft wie in Deutschland akzeptiert nur Gewinner“, sagte er neulich, „was Verlierer sagen, zählt nicht viel.“ Weil er sich zu den Gewinnern rechnet, wurmt ihn das. Drum wird er dafür sorgen, daß das, was er zu sagen hat, wieder zählt. Mit Alba- Erfolgen, nicht nur in Deutschland, am besten in Europa.
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