■ Normalzeit: Daheim am Lagerfeuer
In der DDR waren die Reisekader, die ins nicht-sozialistische Ausland durften, quasi schon aus reinem Selbsterhaltungstrieb gezwungen, nur negative Reiseschilderungen abzuliefern: „In Venedig hat es ununterbrochen geregnet!“ „In Paris bekommt man laufend überteuertes und schlechtes Essen!“ „Bangkok ist die reinste Hölle!“ und so weiter. Im Westen wurde dagegen schon in der Grundschule ab den frühen fünfziger Jahren und jedesmal sofort nach den Sommerferien systematisch die positive Ferienberichterstattung eingeübt. Wer die Frage „Und wie gefiel es dir in Rimini?“ nur mit „Naja“ oder „Och“ beantwortete, den erwarteten gnadenlose Nachfragen: „Haben deine Eltern nichts mit dir unternommen?“ „Kannst du dich noch immer nicht alleine beschäftigen?“ Grad in der Freizeit sollten nämlich die Persönlichkeitswerte voll entfaltet werden. Der Terror mit den „schönsten Wochen des Jahres“ setzte sich im Beruf fort – wo die Daheimgebliebenen selbst von Lehrlingen schon Urlaubspostkarten erwarteten, die die Art der dort gewählten oder vorgefundenen Vergnügungen möglichst aufs Anzüglichste oder Derbste thematisierten. Sie wurden und werden öffentlich ausgehängt. Über die dadurch immer verlogener werdenden Urlaubsgrüße – beginnend bereits mit „Wir haben herrliches Wetter“, selbst wenn man die meiste Zeit im Hotel hockte –, gibt es inzwischen ganze Forschungsarbeiten, die sich jedoch zunehmend dem Sextourismus zuwenden.
Um wieder ein bißchen Ehrlichkeit in die Urlaubsdebatte zu bringen, griffen die Beteiligten selbst ab Mitte der Siebziger zunehmend auf den juristischen Wahrheitsbegriff zurück – über die Reise-Versicherungen. Das fing mit dem perfekt gefinkelten Verlust des Reisegepäcks an und besteht mittlerweile aus videodokumentierten Mängel-Reportagen mit aufbereiteten Exponaten für den Gerichtsprozeß – Kakerlaken in halbvollen Wodkaflaschen, überwürztes Hammelfleisch in luftdicht verschlossenen Reagenzgläsern, versiegelte Laborproben von Dusch- und Swimingpool-Wasser und so weiter.
Es ist klar, daß damit die über 40 Jahre getrennte deutsche Reiseberichterstattung völlig entgegengesetzte Auslands-Bilder produziert hat, die sich jetzt aber – beim chronischen Drang der Ostler zur Überversicherung – zügig wieder angleichen. Das heißt jedoch nur, daß der unmoralische Doppelcharakter der Erinnerungen, wie er sich in Täter-Urlaubsgrüßen und Opfer-Versicherungsrapporten zugleich niederschlägt, bald gesamtdeutsch gültig ist.
Daran haben auch Kampagnen für sanften Tourismus nichts geändert, sie engen den Dualismus nur ein – schon gar nicht die offizielle Reiseberichterstattung, die meist bloß zwischen weiteren Einladungen von Reiseveranstaltern und Objektivität (den angelesenen Geschichten von Sehenswürdigkeiten) ausbalanciert. Auch die TV-Auslandsjournale arbeiten der doppelten Reise- Buchführung noch zu – Italien: alles Diebe, Rußland: Miliz und Mafia, Thailand: Kinderprostitution, Brasilien: Samba satt, die Karibik: Traumstrände.
Auf der Internationalen Tourismus-Börse wiederholt sich diese Ärmlichkeit, der schnelleren Orientierung willen, noch einmal in den Selbstdarstellungen der Regionen und Länder mit ihren Messeständen: Das thüringische Eichsfeld wirbt nicht etwa mit dem in Arbeitskämpfen 1993 berühmt gewordenen Kaliwerk Bischofferode, sondern mit einer Frau in einheimischer Tracht am Spinnrad. Das gilt auch in etwa für Turkmenistan und Jordanien. Katar, Aquitanien und Berlin werben dagegen absurderweise mit Golfplätzen. Nur die modernen standardisierten Stände Spaniens sehen wirklich auch so aus, wie ich mir Spanien in seiner ganzen rauhen, aber komplexen Liebenswürdigkeit immer vorgestellt habe.
Und wie komplex sie ist, das zeigt sich am test-Fall „Gran Canaria“, wo die Stiftung Warentest gerade die großen Preisunterschiede bei nahezu identischen Vollpensions-Angeboten bemängelte: Die Reiseveranstalter kritisieren daran einhellig, daß dabei „Äpfel mit Birnen“ verglichen würden. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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