piwik no script img

■ VorschlagIndischer Paillettenpop auf Acid – Apna Sangeet im Tempodrom

Das Wetter, der Bauschutt, die Kräne: verschüchtert liegt das Tempodrom zwischen Erdhaufen, Baggern und gelben Rohren für die kommende Bundestagsjauche versteckt. Seltsam im Nebel zu wandeln... Um halb zehn ist es noch befremdlich leer bei den Heimatklängen, gerade drei Reihen mit stämmigen Männern haben sich vor der Bühne versammelt. Sie schwärmen im Vier-Minuten-Takt zu den Bierständen aus, bringen ihren Freunden Getränke vorbei und reden mit ausgreifenden Gesten in Hindi aufeinander ein. Sie wissen, was auf sie zukommt. Der schläfrige Conférencier, der Apna Sangeet als zweiten Act in der „Sindbad“-Reihe ankündigt, scheinbar nicht: „Banghra, das ist ein ländliches Tanzvergnügen aus Nordindien, das sich in den letzten 15 Jahren zum Pop entwickelt hat.“

Was er mit Pop meint, ist die Hölle. Denn Banghra ist vom Land längst in die britischen Einwandererstädte getragen worden. Birmingham hat eine enorme indische Clubszene, in London werden Raves gefeiert. Inzwischen benutzen auch europäische Bands den seltsam schnurrenden und quäkenden Sound. Bei Massive Attack hört man Sitars, Nicolette summt auf ihren Platten Filmmelodien Marke Bollywood. Der ganze TripHop rappelt solcherart dahin.

Mit sechs Platin-Alben sind Apna Sangeet allerdings die Chefs auf ihrem Gebiet. Drei Mann arbeiten sich an Tablas und elektrischen Trommeln ab, ein anderer fichtelt auf seiner gitarrengroße Mandoline, während der fünfte Musiker überschnell auf einem Import/Export-Keyboard herumwirbelt. Soweit der Hintergrund: Vorne nämlich spielen sich zwei paillettengespickte Sänger durch allerlei Rollen, von denen man nach einer Weile versteht, daß sie die Dinge des täglichen Liebens in trickreiche Tanzschritte verwandeln. Bald klingt es nach Märchenplatte, dann wieder wie eine orientalische Hardcoreband auf Acid, die Folk mit Techno zusammenwirft.

Nach einer halben Stunde ist die Männerhorde völlig ineinander verkeilt. Aufgelöst zappeln einige hundert Hände in der Luft; manchmal wird auch eine einzelne Figur im Getöse hoch über die Köpfe geschwappt. Irgendein Begeisterter stürmt den Lichtmast und baumelt plötzlich ekstatisch in der Luft. Die Security staunt, dann wird die Band ermahnt, nicht mehr ganz so wild zu spielen. Ein Fehler: Nun singen sie Iman-artige Klagelieder, die Menschen weinen, Geldscheine werden heraufgereicht. Solche dermaßen überdrehten Konzerte sind selten. Harald Fricke

Bis Samstag, ab 21.30; Sonntag ab 16 Uhr; als Zugabe gibt es am Samstag parallel zur Love Parade ein DJ-Programm, Tempodrom

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen