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Ost-West-Polarität

■ betr.: Debatte auf der Meinungs seite v. 8.8., 9.8., 10.8. 96 und fol gende

Wolf Wagners Beitrag besticht durch seine Schlichtheit. Bezogen auf die Interpretation des Geschlechterverhältnisses sind seine Äußerungen geradezu naiv und zugleich erheiternd. Natürlich kriegen westdeutsche Feministinnen erst mal wieder ihr Fett ab, weil sie die einfachen Wahrheiten des Lebens unnötig verkomplizieren. Der Ostmensch braucht derlei Firlefanz nicht. Wolf Wagner anerkennt, daß in Ostdeutschland beide Geschlechter „ihren Mann“ stehen. Seine Beobachtung, daß sich Männer und Frauen „unbefangen in einer harmlosen, auf die gemeinsame Sache ausgerichteten Beziehung“ begegnen, hat etwas Idealistisches und ist lustig formuliert. Freilich sind „sexistische Sprüche spaßig gemeint“. Selbst westdeutschen Frauen gelingt es manchmal noch, äußerlich mitzulachen. Wenn nicht, dann ist das ihr Problem. Die gesamte feministische Debatte der vergangenen 25 Jahre scheint keine Spuren bei Wolf Wagner hinterlassen zu haben. Oder sind die Spuren in Thürigen, wo er seit 1993 lebt, allesamt getilgt worden? Carolina Brauckmann, Köln

Westdeutsche (Frauen oder Männer?) folgen laut Wagner „feministisch geprägten Wahrnehmungsmustern“ (schön wär's!), d.h. die „Beziehung zum anderen Geschlecht kommt ihnen (wem?) meist als eines voller Fallen und Widersprüche vor“. Aber in Ostdeutschland herrscht für den Macho das Paradies: „Sexistische Sprüche sind kein Problem, weil sie spaßig gemeint und verstanden werden.“ Das sagt weitaus mehr über Herrn Wagner aus als über die Unterschiede von West- und Ostdeutschen. [...]

Ich bezweifle erstens, daß „die“ Westdeutschen „feministisch geprägt“ sind und zweitens „die“ Ostdeutschen Spaß am Sexismus haben. Es ist entscheidend, inwieweit eine Auseinandersetzung über das Geschlechterverhältnis stattgefunden hat und wie die realen Möglichkeiten der Geschlechter und die Machtverteilung zwischen Frauen und Männern aussehen. Das Geschlechterverhältnis im Osten war ein anderes als im Westen: Die realen Bedingungen für Frauen und die Anerkennung von Leistung unabhängig vom Geschlecht waren ausgeprägter bzw. besser als im Westen. Gelöst war die sogenannte Frauenfrage jedoch nicht, wie öffentlich verkündet wurde – höchstens verdrängt. Heute, nach sechs Jahren real existierender BRD, sind Ost-Frauen und Ost-Männer leider dort angekommen, wo West-Frauen und West-Männer schon lange waren.

Ich schlage vor, „sexistisch“ mit „rassistisch“ auszutauschen, um zu verdeutlichen, was Wagner hier behauptet hat. Weder sexistische noch rassistische Sprüche sind spaßig. Sie sind eine Herabsetzung und Verunglimpfung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihres Geschlechtes.

Als in der „Diaspora von Ossis“ Arbeitende kann ich dem Beitrag in den anderen Punkten durchaus zustimmen, aber die „sexistischen Sprüche“ haben mein Lesevergnügen arg beeinträchtigt. Susanne Ahlers, Bonn

Ach sooo, möchte frau ausrufen ob der ungeheuer präzisen und differenzierten Analyse der Geschlechterverhältnisse in Ostdeutschland, so ist das also, wenn beide Geschlechter mannhaft über sexistische Sprüche lachen, spaßig gemeinte natürlich, da kann die humorlose West-Emanze nur bescheiden zurückstecken, um nicht als übergriffig oder gar amerikanisch zu gelten.

Mit ist das Lachen in den letzten Monaten, die ich größtenteils in Mecklenburg-Vorpommern verbracht habe, oft genug im Halse steckengeblieben, wenn „Ossis“ – im trügerischen Gefühl, ich sei „eine von ihnen“ – mal so richtig über den Westen und die Wessis hergezogen haben.

Ein bißchen mehr Reflexion darüber, ob es nicht doch einen Zusammenhang gibt zwischen einem ungebrochenen Männlichkeitsideal (fast hätte ich den guten alten Ausdruck „Chauvinismus“ gebraucht) und den gewalttätigen Übergriffen männlicher Jugendlicher in den letzten Monaten im Osten würden auch Wolf Wagner gut zu Gesicht stehen, findet ganz unbescheiden Bettina Naumann, Berlin

Sehr schön schreibt W. E., 40 Jahre im Prenzlauer Berg lebender Soziologe, über die Ost- und Westdeutschen. Sehr schön und mit Ahnung. Was aber sollten sie und wo gibt es, über eventuell feschere ZootechnikerInnen hinaus, „bewahrenswerte DDR-Traditionen“ in der Landwirtschaft, im Gesundheits- und Bildungswesen. Exakt bilanziert! Geben tun tut es bewahrenswerte „Prenzlauer Berg Tradition“. Möge diese wachsen, blühen und gedeihen und sich fortpflanzen in ganz Deutschland. Dieter Haker, Bäk

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