: Die Welt als Text, der Text als Leben
Thesentheater auf der Höhe französischer Diskurse und zugleich ziemlich Hollywood: In Marc Forsters Film „Stranger than Fiction“ kämpft der Komiker Will Ferrell dagegen an, zu einer Figur in einem Roman zu werden – ein Glücksfall
Manchmal ist sich das US-Kino selbst im Weg. Vor lauter Action geht die Geschichte verloren, und die intellektuelle Auseinandersetzung mit Figuren oder Themen leidet häufig unter zu viel Handlung. Gleichwohl gilt für den Rest: Wer sein Publikum mit philosophischen Fragen anfüttert, braucht bei aller Lust auf Reflexion und Metaerzählungen ein Drehbuch, das noch in den kleinsten alltäglichen Beobachtungen funktioniert – und dazu disziplinierte Schauspieler.
„Stranger than Fiction“ ist ein solcher Glücksfall. Dabei liest sich die Story wie eine Fallstudie fürs Literaturwissenschaftsseminar: Der Steuerbeamte Harold Crick hört eine Stimme in seinem Kopf, die sich als Schriftstellerin Karen Eiffel ausweist und die ihm erklärt, dass er bald sterben wird, weil er ohnehin nur die Figur in einem Buch ist, das sie endlich zum Abschluss bringen will. Etwas anderes als der Tod ihres Hauptdarstellers kommt für sie nicht in Frage, das war schon immer die besondere Handschrift der Autorin.
Die Welt als Text, der Text als Leben, das Leben als Allegorie des Lesens – wie soll aus dieser dekonstruktivistischen Formel ein unterhaltsamer Film werden? Hier kommen Marc Forster und Zach Helm ins Spiel. Forster, weil er seit dem Rassismus-Drama „Monster’s Ball“ als Regisseur geschätzt wird, der sein Personal mit genauem Blick für vertrackte psychologische Konstellationen in Szene setzen kann. Sein 2005 auf der Berlinale gezeigter Film „Stay“ war ein bad trip durch die Fantasien eines selbstmordgefährdeten jungen Mannes.
Und Helm? Ist ein 26-jähriges Nachwuchstalent, das vor kurzem den Abschluss an der Chicago Theatre School of DePaul University gemacht hat. Sein Drehbuch für „Stranger than Fiction“ schiebt mit dadaistischem Schwung in den Dialogen das Geschehen rasant voran und nimmt sich dennoch Zeit für die Entwicklung der Protagonisten. Der Steuerbeamte ist dann eben nicht nur eine Lachnummer im Getriebe, sondern ein slapstickhaft selbst in den unauffälligsten Gesten revoltierender Charakter. Einerseits tappt er arglos durchs Geschehen, andererseits geraten durch sein Unbeteiligtsein überhaupt erst die Details in Bewegung: Häuser werden abgerissen, eine punkrockende Ökobäckerin verliebt sich in ihn und zuletzt liefert er der Schriftstellerin noch einen versöhnlichen Ausgang für ihre Geschichte.
Mit anderen Worten: An den bislang stets als Hampelmann gebuchten Will Ferrell hätte man bei der Hauptrolle wohl kaum gedacht. Ein Fehler, wie sich schon nach wenigen Minuten herausstellt, als Ferrell morgens aufgebracht mit seiner Zahnbürste spricht, weil er in ihr die Frauenstimme vermutet. Der aufrichtige Soliditätsirrsinn und die stocksteife Hilflosigkeit des Aktenmolchs, der auch privat ein Leben nach Zahlen lebt, diese Verbindung gelingt dem ehemaligen Saturday-Night-Live-Komiker mit großartig dahinstolpernder Leichtigkeit – als wäre er ein später Neffe von Jacques Tati, dessen „Playtime“ überhaupt Vorbild für den Film war.
Unterstützt wird Ferrell von extrem mannschaftsdienlich agierenden Schauspielern und Schauspielerinnen. Emma Thompson wechselt als Schriftstellerin mit Writer’s Block blitzschnell von passive zu aggressive. Und Dustin Hoffman ist als Literaturprofessor sehr einfühlsam, wenn er Crick überzeugt, dass sich die anbahnende Tragödie von dessen Ableben doch noch umbiegen lässt. So führen Forster und Helm quasi en passant die eigentlichen Kräfte ein, die in „Stranger than Fiction“ einander widerstreiten: die Romanautorin, die gegen die künstlerisch fruchtlose Wirklichkeit anarbeitet; und den eifrigen Akademiker, der sich an ihrer Auslegung aufreibt. Das klingt nach einem Thesentheater auf der Höhe französischer Diskurse und ist in seiner verschwenderischen Bildökonomie trotzdem ziemlich Hollywood. HARALD FRICKE
„Stranger than Fiction“. Regie: Marc Forster. Mit Will Ferrell, Emma Thompson, Dustin Hoffman, USA 2006, 113 Min.