: Pionier des wissenschaftlichen Rassismus
Eine fragwürdige Ausstellung an der Uni Hamburg widmet sich dem Nachlass des Kriminalbiologen Franz Exner. Der habe sich von der NS-Ideologie fern gehalten, betonen nun Fachkollegen. Das Hauptwerk des Antisemiten lassen sie dabei außer Acht
In der Staatsbibliothek Carl-von-Ossietzky in Hamburg wird noch bis Sonntag ein deutscher Kriminologe mit einer Ausstellung gewürdigt. Neben Lesetischen für grübelnde Studenten, inmitten des regen Bibliotheksverkehrs stehen Glasvitrinen, hängen Fotos und Texttafeln, die der Öffentlichkeit Franz Exner vorstellen. „Franz Exner (1881–1947) – Ein Pionier der Kriminologie in seinem Umfeld und seiner Zeit“ heißt die Schau. Skizziert wird ein Mensch und ein Gelehrter, der aus einer bekannten österreichischen Akademikerfamilie stammte, der liebevoll „Studentenvater“ genannt wurde, der „leidenschaftlich“ sang und seinen Enkeln „Exnereien“ schrieb. Zeugnisse, Briefe, Orden und Familienfotos sind zu sehen und kommentiert.
Initiatorin der Ausstellung ist die Hamburger Kriminologin Doris Lorenz. Sie entdeckte während des Studiums den Nachlass des international bekannten Fachkollegen. Ihr Diplom hatte natürlich ihn zum Thema. Sie bekam die Note eins. Seit 2004 arbeitet sie am Institut für Kriminologische Sozialforschung an der Erschließung von Exners Nachlass, bezeichnet diese Arbeit mittlerweile als „exnern“. Nur das Hauptwerk des Mannes, das hat sie bis heute nicht gelesen. „Dazu bin ich noch nicht gekommen“, sagt sie der taz.
Alle wissenschaftliche Seriosität gerät ins Wanken, wenn bei einer historisch-biografischen Studie das Leben vom Wirken der Person abgeschnitten wird. Zumal wenn es sich um einen Kriminalbiologen handelt, der zwischen 1933 und 1945 in Deutschland „zu den prominentesten Wissenschaftlern seines Fachs zählte“, wie Milos Vec vom Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte sagt. Für alle, die Exners Hauptwerk gelesen haben, muss seine Darstellung durch die Hamburger Kriminologen erschreckend harmlos wirken. In „Kriminalbiologie in ihren Grundzügen“, herausgegeben 1939, 1944 und 1949, versucht Franz Exner die Vererbung von Kriminalität zu beweisen. Als Beispiele dienen ihm Juden, „Zigeunertum“ und einige „Feststellungen bezüglich der Neger“. Exner schreibt nicht mit Schaum vor dem Mund über Untermenschen und Vernichtung. Ganz österreichischer Aristokrat, unternimmt er das auf akademische Weise.
Sebastian Scheerer, Direktor des Kriminologischen Instituts, nennt es eine „Pionierleistung“, dass Exner „als erster Kriminologe soziologische Untersuchungen durchführte“. Seine Sachlichkeit weise Exner als einen Reformer der Kriminologie in der Weimarer Republik aus. Über die Ausstellungsmacherin sagt Scheerer: „Die Arbeit von Doris bewundere ich.“
Gleich in der ersten Vitrine der Hamburger Schau heißt es, Franz Exner habe in der NS-Zeit Kritik geübt und „im Gegensatz zu gelegentlichen Pauschalurteilen ist bei Exner allerdings der kontinuierliche Versuch einer gewissen Distanzwahrung zum Hitler-Regime zu konstatieren“. Dass Exner – nie Mitglied der NSDAP – mit dem Chef des Reichsgesundheitsamtes, Hans Reiter, seit 1936 eine Zeitschrift publizierte, bleibt unerwähnt. Dafür wird gesagt, dass er in Berlin bei dem bedeutenden Strafrechtler Franz von Liszt studierte. So wird eine fragwürdige liberale Tendenz behauptet.
Exners Hauptwerk, in der dritten Auflage von 1949, ist hinter Glas zu sehen: „Kriminologie“ – allein den Titel hatte der Autor um das biologistische Element entschärft. Auf Juden, Jenische, Hitlerjugend und Wehrmacht musste verzichtet werden, es blieben die Untersuchungen über „die rassebedingte Negerkriminalität“ – wie auch die Kernthese vom „prädisponierten Verbrechertum“. Im Ausstellungsprospekt wird angemerkt, dass dieses Lehrbuch „ihm eine herausgehobene Stellung in der deutschen Kriminologie verschaffte“. Mit diesen Formulierungen definieren die Hamburger Kriminologen Exner auch im Internetlexikon Wikipedia.
Andrew D’Arcangelis, Sozialökonom und Experte für die Geschichte der Eugenik, ist entsetzt über den entstehenden Eindruck. Er stieß zufällig auf die Ausstellung. Exner könne „keinesfalls derart positiv als wissenschaftlicher Pionier dargestellt werden. Der führende NS-Rassenhygieniker Robert Ritter hat sich explizit auf ihn berufen.“ Ebenfalls bei Franz von Liszt studierte damals Kurt Tucholsky, der wohl wie kein zweiter das Strafrecht und die Justiz der Weimarer Republik unter die Lupe nahm. Er hat den „Reformer“ Exner nie erwähnt. MART-JAN KNOCHE