Kampf gegen UN und Establishment

Die Bewegung „Selbstbestimmung“ macht im Kosovo für die Unabhängigkeit der Provinz von Serbien mobil und lehnt jeden Kompromiss mit Belgrad ab. Örtliche Polizei und Ordnungskräfte der UNO gehen massiv gegen die meist jungen Aktivisten vor

AUS PRIŠTINA ERICH RATHFELDER

Das Büro der Bewegung „Selbstbestimmung“ in einem kleinen Reihenhaus in Priština ist eng und hat kaum Platz für die drei Computer. Seit Samstagnachmittag jedoch drängen sich hier dutzende von Aktivisten. Sie sind aufgeregt. Drei ihrer Mitstreiter wurden an diesem Nachmittag von der Kosovopolizei verhaftet, der Chef der Bewegung, Albin Kurti, ist abgetaucht.

Die Bewegung „Selbstbestimmung“ ist seit der Demonstration vom vergangenen Dienstag vor dem UN-Hauptquartier zu einem Politikum geworden. Denn sie konnte zehntausende junger Menschen mobilisieren. Sie stellt sich gegen alle Autoritäten, gegen die UN-Mission im Lande, gegen die politische Establishment der kosovo-albanischen Parteien, denen sie Korruption und Nachgiebigkeit gegenüber der Politik der UN vorwirft.

Albin Kurti, 1998 von der serbischen Polizei verhaftet, saß fünf Jahre in serbischen Gefängnissen und wurde dort gefoltert. 2003 kehrte er nach Priština zurück und legte sich sogleich mit allen möglichen Mächten an. Er wirft vor allem den nach wie vor mächtigen Kommandeuren der ehemaligen Befreiungsorganisation UÇK, Hashim Thaci und Ramush Haradinaj, vor, korrupt und deshalb von der UN erpressbar zu sein. „Haradinaj wurde vom Kriegsverbrechertribunal in Den Haag nach Hause geschickt. Deshalb macht er alles, was die UN will, und verkauft so unsere Interessen,“ erklärte er vor kurzem gegenüber der taz. Das Establishment schlug zurück. Seit Monaten steht Albin Kurti im Fadenkreuz der kosovarischen Polizei. Mehrmals wurde er in den letzten Monaten verhaftet und misshandelt.

Die Bewegung ist zu einem Störfaktor für die UN geworden, die einen Schiedsspruch über den künftigen Status des Kosovo fällen soll. Soll das Land weiter zu Serbien gehören oder sieben Jahre nach dem Einmarsch der Nato-Truppen in die Unabhängigkeit entlassen werden? Die im Februar unter der Schirmherrschaft der UN begonnenen Verhandlungen zwischen Belgrad und der Kosovo-Regierung sind im Oktober endgültig gescheitert. Jetzt soll die UN allein entscheiden. Doch im Weltsicherheitsrat gibt es unterschiedliche Meinungen. China und Russland sind gegen die Unabhängigkeit des Kosovo, die USA und ein großer Teil europäischer Staaten dafür. Gerade jetzt, wo um eine Entscheidung gerungen wird, kann die UN keine Unruhe im Kosovo gebrauchen. Das erklären einige Mitarbeiter, insgeheim geben sie zu, ohne die Einwilligung der UN könnte die Kosovopolizei nicht gegen die Bewegung „Selbstbestimmung“ vorgehen.

Doch selbst die Verhaftungen fechten die Aktivisten der Bewegung nicht an. Albin Kurti ist zwar untergetaucht, aber über das Internet weiter präsent. „Wir werden nicht aufgeben“, sagen die Aktivisten. Dass die UN kürzlich die Entscheidung über den Status des Kosovo auf einen Zeitpunkt nach den Wahlen in Serbien am 21. Januar 2007 verschoben hat, sei Motivation genug. Die UN habe nur wieder Rücksicht auf Serbien genommen.

„Doch es geht schließlich um unsere Zukunft, 60 Prozent unserer Bevölkerung sind unter 25 Jahre alt. Wir brauchen keine faulen Kompromisse, sondern Klarheit. Hier wird angesichts der ungelösten Statusfrage nichts investiert. Wir sind Außenseiter in Europa“, sagt eine junge Aktivistin. „Wir sind die Generation, die auf den Leiterwagen saß, als wir mit unseren Eltern von den Serben vertrieben wurden.“ Die junge Frau ist eine von den 30.000 Studenten der Universität Priština, die nach dem Studium keine Aussichten auf Arbeit haben.

Die Botschaft Kurtis erreicht die Menschen. Zwar sind die Meinungen in der Öffentlichkeit geteilt. So fürchten die einen die Radikalität des Oppositionellen. Kurti sei ein „neuer Fidel Castro“, sagen sie, der eine Revolution wolle und Kosovo in einen neuen Krieg führe. Umfragen zufolge stimmen jedoch die meisten Kurti in der Sache zu. Deshalb ist es fraglich, ob die Repression die Bewegung in die Schranken weisen kann. Für Bujar Bukoshi, Premierminister des kosovarischen Untergrundstaats, gibt es nach dem Tod des Expräsidenten des Kosovo, Ibrahim Rugova, keine führende Person, die über eine ähnliche politische Autorität verfügt. Die Wahlbeteiligung habe bei den letzten Wahlen gerade um die 50 Prozent gelegen. Die Legitimationskrise der politischen Führung eröffne Spielräume für die neue Bewegung.