: Beim Aussterben zuschauen
China bezahlt sein rasantes Wirtschaftswachstum mit dem Aussterben von Arten. Suche nach dem weißen Delfin im verschmutzten Jangtse-Fluss blieb ohne Erfolg
BERLIN taz ■ Nach 1.750 Kilometern Sichtungsfahrt auf dem Jangtse kann keiner der 30 beteiligten Experten seinen Frust verhehlen. Trotz intensiver Vorbereitung und großem technischem Aufwand sichteten die Spezialisten keinen der knapp über zwei Meter langen Flussdelfine. Die als Baiji bekannten weißen Delfine zählen zu den seltensten Säugetiere der Welt und waren nur im Jangtse zu finden.
In 26 Tagen sind zwei Forschungsschiffe von Wuhan bis nach Schanghai gefahren. Dabei haben knapp ein Dutzend Beobachter die Wasseroberfläche abgesucht. Mit Hydrophonen wurden die Flussgeräusche eingefangen. Immer in der Hoffnung, dass der akustische Filter Alarm schlägt, wenn in dem Lärm von Bootsmotoren und Industrieanlagen das spezielle Pfeifen eines Chinesischen Flussdelfins wahrnehmbar ist. Der Flussdelfin-Experte Wang Ding vom Institut für Hydrobiologie der Chinesischen Akademie der Wissenschaften setzt nun alle Hoffnungen in den zweiten Teil der Sichtungsfahrt: „Wir hatten einige Tage mit sehr schlechtem Wetter, aber nun werden wir unsere Bemühungen verdoppeln“, so Wang. An der technischen Raffinesse und Ausrüstung scheitert diese Fahrt jedenfalls nicht.
Anführer der Unternehmung ist der Schweizer August Pfluger. Ihm fiel es schwer, zu verstehen, dass sich weder eine der großen Naturschutzorganisation noch China selbst beherzt für eine Zukunft des Baijis eingesetzt hat. So hat er 2004 die Stiftung baiji.org gegründet und Sponsoren für dieses Projekt gewonnen.
Der Baiji ist ein Opfer der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung in China. Erst 1917 ist er nach seiner wissenschaftlichen Beschreibung der westlichen Welt bekannt geworden. Mitte der 1950er-Jahre, so schätzt der Baiji-Experte Zhou Kaya von der Nanjing Normal University, gab es noch etwa 5.000 Baijis. Mit zunehmender Flussfischerei starben immer mehr Baijis als Beifang. 1989 wurden nur noch 300 Tiere gezählt, und seitdem haben sich die Bedingungen stetig verschlechtert. Der zunehmende Lärm in einer der wirtschaftlich bedeutendsten Wasserstraßen der Welt setzt einem Tier zu, dass sich im trüben Fluss nur akustisch orientieren kann. Stromveränderungen durch Dammbau und Eindeichungen vertrieben die Fische, von denen sich die Baijis ernährten. Im Jahre 2001 wurden nach Zhou 15 Milliarden Kubikmeter Abwasser, davon 80 Prozent ungeklärt, in den Jangtse geleitet. Im Jangtse hätte der Baiji keine Zukunft gehabt.
JAN HERRMANN