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Archiv-Artikel

Mit Gummi is’ geiler

ROBUSTE LUFTNUMMER Pannensichere Reifen haben den Radleralltag fast unbemerkt revolutioniert: Zum Flickzeug muss man dank elastischer Schutzstreifen kaum noch greifen

Richtig Druck machen

■  Zu wenig Druck im Schlauch erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Reifenpanne.

■  Eine Untersuchung der Deutschen Sporthochschule Köln ergab, dass gut 40 Prozent der Radler mit zu wenig Luft unterwegs sind.

■  Der richtige Reifendruck ist oft auf der Reifenseite angegeben.

■  Generell gilt: Bei etwa 75 Kilo Körpergewicht rollen 30 Millimeter breite City- und Tourenreifen am besten mit etwa 5 Bar. Bei 40 Millimeter reichen 4 Bar.

■  Dickere Reifen können mit 3 oder gar nur 2 Bar noch schwächer aufgepumpt werden. Sie erhöhen mit der zusätzlichen Luftfederung im Reifen den Fahrkomfort.

■  Radrennprofis fahren auf speziellen Hochdruckreifen mit bis zu 10 Bar.

VON LARS KLAASSEN

„Zu schön, um wahr zu sein – und außerdem ’ne ordentliche Stange Geld.“ Das ging mir durch den Kopf, als ich im Laden zum ersten Mal vor einem „unplattbaren“ Fahrradmantel stand. Nach mehreren Einsätzen mit Flickzeug innerhalb weniger Wochen waren aber nicht nur die Fahrradschläuche mürbe. Auch die Geduld war am Ende. Und die Bereitschaft, in vage Hoffnungen zu investieren, siegte schließlich. „Unplattbar?! Na ja, vielleicht ist ja zumindest ein bisschen was dran an diesem verdächtig verlockenden Versprechen“, sagte eine innere Stimme. Nach der Investition in zwei der „unplattbaren“ Mäntel passierte – nichts! Das heißt: Bis heute rollen die Räder, ohne jemals wieder Opfer von Scherben, Reißzwecken oder ähnlichem geworden zu sein. Die Mäntel haben mittlerweile sogar ein Fahrrad überlebt. Sie spannen sich nun um die Felgen einer gebraucht erworbenen Anschaffung, die noch mit herkömmlichen Reifen ausgestattet war. Nach rund vier Jahren im täglichen Stadtverkehr – an Glascontainern vorbei und durch unzählige Flaschenreste auf Radwegen – hat sich noch keine Scherbe oder Heftzwecke gefunden, die den Reifen etwas anhaben konnte.

Das Erfolgsrezept dieser Abwehrkraft besteht aus einer Einlage hochelastischen Spezialkautschuks. Es können aber auch Kunststofffasern wie Kevlar zum Einsatz kommen (dieses findet sich etwa in schusssicheren Westen). Diese Materialien leisten auch eingefahrenen Fremdkörpern dauerhaft Widerstand. Solch ein Pannenschutzgürtel läuft unter den Protektoren (der Außenhülle) des Mantels einmal herum. Er ist – je nach Modell variierend – etwa fünf Millimeter stark. Inklusive Lauffläche und Karkasse (dem textilen Gewebe im Inneren) des Reifens kommt so fast ein Zentimeter Material zwischen Luftschlauch und Straße. Und die müssen erst einmal durchstoßen werden. Durch Vulkanisation wird der Schutzgürtel untrennbar mit Lauffläche und Karkasse verbunden. Gegenüber einem baugleichen Reifen ohne Pannenschutz bringt diese Konstruktion ein bisschen mehr Gewicht ans Velo. Auch hier variieren die Werte je nach Modell. Mit bis zu 200 Gramm extra sollte im Schnitt gerechnet werden.

Stiftung Warentest nahm im Jahr 2003 den „Schwalbe Marathon Plus Smart Guard“ unter die Lupe, mit dem die Ära der „Unplattbaren“ eingeläutet wurde. Das Urteil lautete: „Eine deutliche Verbesserung gegenüber herkömmlichen Reifen. Die Schutzwirkung hat sich bestätigt.“ Die Tester merkten aber auch an, dass die Neuentwicklung wohl lediglich etwas für Alltags- und Tourenradler sei: „Für ausgesprochen sportliches Fahren eignet sich der Reifen weniger.“ Seither haben die Räder sich weitergedreht: Der Rollwiderstand wurde im Laufe der Jahre immer weiter gesenkt und ist zum Teil mit herkömmlichen Reifen annähernd gleichgezogen. Pannensichere Mäntel haben mittlerweile viele Hersteller im Sortiment. Und auch die Palette ist breiter geworden. Unterschiedliche Profile, Reifenbreiten und Schutzschichten sollen nun auch Mountainbiker und Reiseradler beglücken. Schwalbe offeriert „unplattbar“ seit 2010 auch in „Grün“: Ehemalige Gummihandschuhe, Schläuche oder Gummibänder kommen in den Schutzgürtel „GreenGuard“. Schwalbe recycelt daraus den Anteil an echtem Latex und mischt ihn mit hochelastischem Naturkautschuk. Das Verhältnis beträgt 1:2. Für die Recycling-Konstruktion erhielt der Hersteller 2010 auf der weltgrößten Fahrradmesse Eurobike einen Award in Gold.

Rundum glücklich zeigen sich Radler auf diversen Online-Foren mit den „Unplattbaren“ allerdings auch heute bei weitem nicht immer. Irgendwann ist dann doch mal eine Scherbe oder ein Nagel zu groß. Ein häufiger, aber wenig bekannter Grund für platte Reifen ist jedoch ein anderer: Viele Radler fahren im Alltag mit zu niedrigem Luftdruck (siehe Kasten). Dadurch werden die Mäntel übermäßig strapaziert. Bei längerer Beanspruchung dieser Art bilden sich seitliche Risse – der Anfang vom Ende des prallen Reifens. Deshalb konstruierte Schwalbe auch die Seitenwand neu: Sie erträgt die typischen Überlastungen durch zu geringen Luftdruck jetzt deutlich länger, bevor sie hässliche Risse bekommt.

Auch künftig werden Radler hin und wieder wohl noch zum Flickzeug greifen müssen. Aber das geschieht schon jetzt immer seltener – weil die pannensicheren Mäntel an immer mehr Fahrrädern angebracht werden. Ob es dem positiven Fazit der Stiftung Warentest aus dem Jahr 2003 zu verdanken ist, dass die „Unplattbaren“ irgendwann aus der Nische herausgekommen sind? Oder doch vielleicht eher dem Dosenpfand, das im selben Jahr eingeführt wurde: mehr Scherben, mehr Ärger, mehr Gummi? So oder so: Der Radleralltag hat sich in den vergangenen Jahren revolutioniert. Ganz im Stillen. Wenn ein Ärgernis sang- und klanglos dahinschwindet, bemerkt man das halt meist lange Zeit überhaupt nicht.