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Archiv-Artikel

Tausendundzwei Versionen der Nordsee

REGIONALKUNST Das Museum der Westküste in Alkersum auf Föhr präsentiert in seinem fünften Jahr Stimmungslandschaften von Meer und Küste, die zwischen 1880 und 1930 entstanden. Sehnsüchtige Gedichte gibt’s in diesem Herbst gratis dazu

Das Neben- als Miteinander zu behaupten, gehört zum Vermittlungskonzept

VON JENS FISCHER

Wer der säuselnden Brandung der sanften Schwester im Osten erliegt, muss sich mit maritimen Wellness-Events zufriedengeben. Gegenüber, an der Nordseeküste, am plattdeutschen Strand, werden hingegen wilde Gezeitenpartys gefeiert. Für die Muffel ist das Gewässer zwar nur eine braunblaue Brühe.

Für die Fans aber glitzert die Nordsee tiefblaugrün, bietet als erfrischend schäumende Salzflut ein faszinierendes Schauspiel: Lichtspiele, Wolkenmalerei, Sternenbilder, den evolutionären Nährboden Watt, sommerfrische Strandkorbtage, kerliges Fischerhandwerk, zerstörerische Sturmflutkräfte. Alles Inspirationsquellen vom Feinsten.

In ihren Nordsee-Oden lassen es Komponisten daher mächtig krachen, Lyriker und Maler schwärmen gern eine idyllische Naturnähe herbei oder wollen Urängste bannen. Solch sehnsuchtsvolle Stimmungskunst ist seit August 2009 im Museum „Kunst der Westküste“ auf der Insel Föhr zu erleben. Museumsstifter Friedrich Paulsen war ein Nordseefan, 88-jährig starb er 1997 auf Föhr, der Heimat seiner Eltern. 1935 war er vor den Nazis nach Schweden geflohen und hatte dort einen Pharmakonzern gegründet.

Paulsens Kunstsammlung zum Generalthema „Meer und Küste“ umfasst 550 Werke, vor allem zwischen 1830 und 1930 entstandene Malerei, und wird von einer Stiftung stetig erweitert, auch um Fotografie und Grafik.

Ab 28. September werden in dem Föhrer Museum 50 Gemälde unter dem Motto „Zwischen Licht und Dunkelheit“ präsentiert: Kunst, die aus dem Gesellschaftlichen hinaus- und in die Landschaft hineinsteuert, den Grundton zivilisationsskeptischer Romantik nicht leugnet und zwischen Im- und Expressionismus angesiedelt ist. So wird auf einer idyllischen Insel ein idyllisches Museum mit idyllischer Kunst geschmückt?

„Ja, das soll so sein, die Seele darf einfach mal baumeln“, betont Museumsdirektorin Ulrike Wolff-Thomsen. An dunkelblauen Wänden sollen Bilder von Mittsommernacht, Nordlichtern, mondbeschienener Nordsee hängen, auf rosa Grund die wechselnden Dämmerungsphänomene.

Lyrik kommt als Stimmungsverstärker hinzu: Neben der Studie eines Skagener Sommerabends des Norwegers Peder Severin Krøyer sind etwa folgende Theodor-Storm-Zeilen zu lesen. „Wie liegt in Mondenlichte / Begraben nun die Welt; / Wie selig ist der Friede, / Der sie umfangen hält! / Die Winde müssen schweigen, / So sanft ist dieser Schein; / Sie säuseln nur und weben, / Und schlafen endlich ein.“

Beides zusammen soll, so Wolff-Thomsen, „in seiner Empfindsamkeit anrühren“. Es gehe um „nordische Seelentiefe“. Was nichts mit Arierkult, germanischen Mythen und ihrer politisch verirrten Ausbeutung durch die Nazis zu tun habe.

Das Licht der Nordsee erzeuge eine andere Farbpalette als das des Mittelmeers, sagt die Direktorin. „Der Blick auf die nordische, flache Landschaft spricht unsere Empathiefähigkeit intensiver an, man kann dabei tiefer in sich selbst eintauchen, als es beim Blick auf Mittelmeerlandschaften möglich wäre“, so Wolff-Thomsen, die die Erfolgsgeschichte des Museums seit gut einem Jahr fortschreibt.

Im Juni dieses Jahres, kurz vorm fünften Geburtstag der Institution, konnte der 200.000. Besucher begrüßt werden. 19 Vollzeitstellen wurden geschaffen, die sich 34 Mitarbeiter teilen. Aufgrund des vielfältigen Idyllenangebots soll dort demnächst auch eine Niederlassung des Standesamtes eingerichtet werden.

Andererseits soll die Identität des Ortes lebendig gehalten und die Auseinandersetzung mit ihr gefördert werden – durch Ausstellungen mit einst und jetzt auf Föhr tätigen Künstlern. Artists in residence sollen für kritische Interventionen sorgen.

„Es gilt auch, die Versyltung Föhrs zu verhindern und die Folgen der Erwärmung für die Küste zu thematisieren“, sagt Wolff-Thomsen. Daher haben sich die Präsentationsformen gewandelt. Vor Jahren zeigte man noch möglichst viele Bilder der eigenen Sammlung gleichzeitig. Jetzt werden stets vier kleinere Ausstellungen parallel präsentiert, um den eigenen Bestand mit Gegenwartskunst und Leihgaben zu kontrastieren.

Wer sich also im Herbst der Schau „Licht und Dunkelheit“ aussetzt, kann zusätzlich drei Video- und zwei aktuelle skulpturale Arbeiten unter dem Titel „Tiefseewelten“ sehen.

Drei weitere Säle stehen unter dem Motto „Kunst und Küste“. Zu betrachten ist, was Männer auf dem Wasser tun, während die Frauen auf dem Festland malochen – ergänzt um Eindrücke von den tausendundzwei Möglichkeiten, die Nordsee zu sehen. Genrebilder, Heimatmalerei, Kostbarkeiten von Lieber- und Beckmann, Munch und Nolde vereint die Schau. Dieses Neben- als Miteinander zu behaupten, gehört ebenfalls zum Kunstvermittlungskonzept des Westküstenmuseums.

„Zwischen Licht und Dunkelheit. Stimmungslandschaften aus dem Norden“: ab 28. 9., Föhr, Museum der Westküste. bis 11. 1. 2015