: Mike Dehnert & Die Atzen
Der eine hält lieber die Schnauze, die anderen grölen begeistert. Der eine baut seine Beats aus handverlesenen Samples, die anderen werfen die Bumm-Paff-Maschine an. Der eine erforscht die Grenzen der Wahrnehmung, die anderen dehnen die Grenzen des guten Geschmacks. Der eine heißt Mike Dehnert und die anderen nennen sich Die Atzen, und es ist doch erstaunlich, dass beide Seiten behaupten, dasselbe zu wollen: nämlich Menschen in Bewegung zu setzen.
Mike Dehnert fertigt auf „Framework“ Tracks, die man früher unter „Intelligent Dance Music“ abgelegt hätte. Der sperrige Begriff galt aber zu lange als Stimmungstöter auf dem Tanzboden. Stattdessen beweist der Berliner DJ, der bislang eher mit verträumteren Arbeiten reüssierte, dass man heutzutage Techno programmieren kann, der auch ohne einschlägige Errungenschaften der chemischen Industrie gut hörbar ist. Denn Dehnert verzichtet auf seinem ersten Album zwar selten auf das tiefergelegte Pumpen, das die Menschen am Tanzen hält, aber er unterwirft sich nicht sklavisch dem Diktat der geraden Bassdrum. Seine Beats sind aus Samples gebaut, die mal aus höhlenartigen Hallräumen stammen, mal mit dem Skalpell aus der Arbeitswelt geschnitten scheinen. Aber die Ursprünge der Geräusche sind geschickt verschleiert, manchmal sind sogar menschliche Stimmen zu erahnen. So nimmt jeder Track eine andere Stimmung an, unterkühlt oder orgiastisch, dann wieder verspielt oder minimalistisch. Die Folge: Eine eindeutige persönliche Handschrift lässt Mike Dehnert auf „Framework“ vermissen, dafür ist jeder Track eine Abenteuerreise in unerhört aufregende Klanglandschaften.
Unerhört regen sich auch manche über Die Atzen auf. Den einen gelten sie als Tiefpunkt deutscher Kulturbemühungen. Der vermutlich größere Rest findet, Frauenarzt und Manny Marc sind gute Unterhaltung und Anspruch ist was für Langweiler. Dabei erschöpfen sich auf der neuen Doppel-CD „Party Chaos“ deren lyrische Bemühungen nicht nur in sinnfreien Wortspielen mit dem Wort „Atze“ (Beispiel: „Asta la vista“). Nein, Die Atzen haben durchaus auch eine, nennen wir sie einfach mal so, Philosophie. Die formulieren die beiden im Titelsong: „Bingo Bongo Partyzelt, wir machen das, was uns gefällt / Hundehütte, Miezekatze, das ist unsre Atzenwelt“. Ein paar prächtig billige Beats und dämliche Sexismen weiter wagen sich die beiden Prollpropheten sogar vor in den Fachbereich Lebensberatung: „Mach was du willst, wir leben nur einmal“, empfehlen sie in anarchischer Naivität.
Das wäre inhaltlich geeignet für den Lauti-Einsatz bei der nächsten Demo des schwarzen Blocks, ist aber eben kein Punkrock. Spannender als Textanalyse ist, wie selbstsicher das Duo alle Tricks aus dem Repertoire des professionellen Tanzbodenbefüllers anwendet: Von Beats, die stets dumpf auf die Eins zielen, über hochgepitchte Frauenstimmen im Refrain bis zu Break und Rewind. Das Konzept hat sogar Gastsängerin Nena überzeugt. Da wächst zusammen, was zusammengehört. THOMAS WINKLER
■ Mike Dehnert: „Framework“ (Delsin/Groove Attack), live am 1. 4. im Tresor
■ Die Atzen: „Party Chaos“ (Kontor/Edel), live am 7. 4. im Huxley’s