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Archiv-Artikel

Futter für den Dialog

FILMFESTIVAL Heute startet die 9. Türkische Filmwoche. Aus Anlass des 50. Jahrestags des Anwerbeabkommens zwischen der Bundesrepublik und der Türkei gilt ein Schwerpunkt dem deutsch-türkischen Kino

Auf klamottiges Konsensgekuschel sollte das Festvial verzichten

VON EKKEHARD KNÖRER

Sinyora Enrica erinnert sich, wie sie vor Jahrzehnten die atemberaubendste Schönheit Riminis war und allen Männern des Ortes den Kopf verdrehte. „Und weißt du was“, sagt sie zu Ekin: „Meine Brüste waren besser als die der Cardinale.“ Das ist dann doch ein sehr schöner Scherz im sonst etwas betulichen Film „Signora Enrica“ („Sinyora Enrica ile Italyan Olmak“) von Ali Ilhan: Gespielt nämlich wird diese rund siebzigjährige Dame von keiner anderen als Claudia Cardinale, der Filmgöttin selbst. Der vernachlässigbare Rest der Geschichte geht so: Ekin kommt frisch und naiv aus der Türkei, spricht erst mal kein Wort Italienisch, verguckt sich in die feurige, wenngleich ein bisschen hohlköpfige sizilianische Mitbewohnerin Valentina und wird von Sinyora Enrica in ein paar Geheimnisse nicht nur ihrer persönlichen Geschichte, sondern auch des Lebens als solchen eingeführt.

„Signora Enrica“ von 2010 ist ein Film, der mancherlei Menschliches auf dem Herzen hat, sich vergeblich an einer Fellini-Hommage versucht und im Programm der 9. Türkischen Filmwoche zu sehen ist. Bei der Filmwoche handelt es sich unter den vielen im Überangebot um Beachtung und Fördergeldfetzen kämpfenden Festivals in Berlin immerhin um eines, das durch das türkische Kultur- und Tourismusministerium gefördert und vom beschirmherrenden Regierenden, vom türkischen Generalkonsul sowie dem Grünen-Abgeordnetenhaus-Mitglied Özcan Mutlu mit sagenhaft drögen Grußworten bedacht wird: „Das ist spannend, befruchtet den interkulturellen Dialog, gibt Gesprächsstoff und gewiss manche Anregung zum Nachdenken.“ (Wowereit)

Gewiss. Unter Umständen schläft man aber auch ein. Etwa über dem Debütfilm „Weiß wie Schnee – Kar Beyaz“) des bislang als Fotografen bekannten Selim Günes. Der begibt sich für sein Werk, in dem auf pittoreske Weise die Wölfe einem erfrierenden Neunjährigen gute Nacht sagen, an die Schwarzmeerküste. Der Junge will Ayran verkaufen, im Winter, ums Überleben der zwei kleinen Geschwister zu sichern. Was sentimental wäre, erfröre nicht ohnehin jedes Gefühl im Willen zum beeindruckenden Bild. Man weiß gar nicht, was man unerträglicher finden soll: die Elendspoesie in stillstehenden Postkartenszenerien oder die offensiv darübergesetzte stimmungsmalerische Musik, die den Szenen keine Sekunde lang die Möglichkeit zum Durchatmen gibt.

Deutlich angenehmer ist da schon Seyfi Teomans im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale gezeigte Männerfreundschaftskomödie „Unsere große Verzweiflung – Bizim Büyük Caresizligimiz“. Eine schöne junge Frau gerät nach dem Tod ihrer Eltern zwischen die doppelt so alten Freunde Ender und Cetin, die sich prompt in sie verlieben und nun ihre Gefühle für das Mädchen und für einander in etwas umständlicher, immer sympathischer und doch arg harmloser Weise ver- und entwirren. Teoman immerhin ist mit seinem inszenatorischen Können eines der großen Nachwuchstalente des derzeit ja sehr lebendigen und auch an den heimischen Kassen erfolgreichen türkischen Films.

Abgesehen von Zeki Demikubuz und seinem Historiendrama „Neid – Kiskanmak“ (2009) ist in diesem Jahr keiner der renommierten Autorenfilmer wie Nuri Bilge Ceylan oder Semih Kaplanoglu vertreten. Dafür gibt es die neue Komödie „Vavien“ der Brüder Durul und Yagmur Taylan und mit „Geschichten aus Kars“ einen Episodenfilm, in dem sich neben dem bekannten Filmemacher Özcan Alper drei Debütanten vorstellen. Ein besonderer Schwerpunkt gilt aus Anlass des 50. Jubiläums des Anwerbeabkommen dem deutsch-türkischen Kino. Da ist dann der neue Film „Luks Glück“ der Hamburger Regisseurin Ayse Polat ebenso zu sehen wie – als historischer Hintergrund – die Klassiker „Geschwister“ von Thomas Arslan (von 1996) und „Lola und Bilidikid“ von Kutlug Ataman (von 1999). Wiederzuentdecken gibt es Sinan Cetins Gastarbeiterkomödie „Berlin in Berlin“ von 1993. Da auch sein jüngstes Werk „Papier – Kagit“ läuft, ist Cetin als einziger Regisseur gleich mit zwei Filmen vertreten.

Wohl unvermeidlich, aber trotzdem ein Armutszeugnis, ist es, dass auch das jüngste deutsch-türkische Erfolgsprodukt „Almanya. Willkommen in Deutschland“ – derzeit regulär in vielen Kinos – ins Programm geraten ist. Ein Festival, das politisch und ästhetisch was auf sich hält, sollte doch die Kraft haben, auf klamottiges Konsensgekuschel diesen Kalibers zu verzichten.

■  7. bis 16. April, www.tuerkischefilmwoche-berlin.de