„Comedy ist in Wahrheit total rechts“

In Österreich kommt keiner an der Satire des Duos Stermann & Grissemann vorbei – in Deutschland kennt sie kaum jemand. Liegt es am Humor? Warum die beiden deutsche Comedy abschreckt und sie lieber auf den Nachwuchs hoffen

Geboren: 7. Dezember 1965 in Duisburg/Nordrhein-Westfalen, lebt seit 1987 in Wien Familienstand: Verheiratet, eine Tochter Ausbildung: Abgebrochenes Studium der Geschichte und Theaterwissenschaften Beruf: Radiomoderator, Kabarettist und Autor Karriere: Arbeitet seit 1988 für den ORF und ist seit 1990 die deutsche Hälfte des Duos Stermann & Grissemann, mit dem er die Radiosatiresendung „Salon Helga“ moderiert Big in Germany: Dank der Radiosendung „Show Royale“ auf Radio Eins, dem RBB-Sender für „Erwachsene“ (30 plus), hat er auch in Deutschland eine Fan-Gemeinde

VON ROMAN SCHMIDSEDER
UND MARTIN REICHERT

taz: Herr Stermann, Herr Grissemann, Österreich wird gerade von Deutschen „überschwemmt“ – weil es keinen Numerus clausus gibt, kommen immer mehr Studenten aus Deutschland. Ist das okay für Sie?

Dirk Stermann: Da kann man nichts machen. Man muss mit ihnen leben lernen. Das fällt schwer, aber man kann denen ja nicht verbieten, herzukommen.

taz: Müssen sie sich anpassen?

Ja – unauffällig leben – und hassen lernen.

Hassen lernen? Man muss also aggressiv auftreten?

Nein, man muss freundlich auftreten, aber aggressiv sein.

Herr Grissemann, ist das etwas, was Wien ausmacht?

Christoph Grissemann: Ja, das stimmt schon: Auf den ersten Blick zwar relativ höflich wirken, aber innen drinnen brodelt der Hass.

Wo kommt der her?

Grissemann: Ich weiß auch nicht, aber man kann wirklich konstatieren, dass es kein Klischee ist. Man wird auch viel öfter belogen von Österreichern. Sie lächeln zwar, aber wenn du ihnen den Rücken zudrehst, zeigen sie dir den Vogel.

Stermann: Du glaubst, eine klare Antwort zu bekommen – das ist sie aber nicht. Sie bedeutet genau das Gegenteil, als du dachtest. Seit Metternich ist es in Österreich so, dass du eine andere Sprache hast, weil du dich nicht trautest, etwas klar zu sagen. Es gibt eine 200-jährige Tradition im Verklausulieren.

Ist auch der österreichische Humor anders?

Stermann: Er ist viel selbstzerfleischender als der deutsche. Man selbst wird der Hauptteil des Humors, man macht sich über sich selbst lustig. Ich habe mir mal eine Mario-Barth-Sendung angeschaut …

ein deutscher Comedian, der auf RTL unter anderem die Show macht „Typisch Mann – Typisch Frau“…

… als ich ihn sah, hat er sich immer über Leute lustig gemacht hat, die sehr dick sind. Wie einfach für ihn, weil er erzählt, wie grauslich der andere ist. In Österreich bist du Teil des Grauslichen.

Grissemann: Da mag sich der Österreicher einfach auch weniger. Der österreichische Komiker hält sich selbst nicht aus, während der deutsche Comedian mit seiner schiefen Kappe am Kopf es geil findet, Witze darüber zu machen, dass sich Frauen gerne Schuhe kaufen.

Also der österreichische Humor ist autoaggressiv?

Grissemann: Sie ruinieren sich zuerst selbst, bevor sie andere ruinieren. Deswegen kann man ihnen nicht wirklich böse sein, es hat etwas Pathologisches. Patienten machen hier die Komik.

Ihre „Show-Royale“ im deutschen Radio besteht eigentlich darin, aus dem Nichts etwas Komisches zu machen. Eine Art Nihilismus-Performance?

Grissemann: Im besten Fall ja. Aber bei den Radiosendungen sind wir oft überfordert. Wir haben in Österreich schon genug zu tun. Andere Leute haben ihre Gagschreiber, wir haben seit 15 Jahren keinen. Da sind auch wahnsinnig viele Leerläufe dabei.

Haben Sie dennoch ein Anliegen, womöglich sogar ein politisches?

Stermann: Ja, aber das hat mit unserer Arbeit nichts zu tun. Wir geraten in politische Dinge, die wir gar nicht politisch meinten. Wir meinen das eher menschelnd.

Wie weit darf denn Satire im Zeitalter des „Karikaturenstreits“ gehen?

Grissemann: Man muss über alles Witze machen dürfen – außer wenn großes persönliches Leid dahintersteht. Das ist die einzige Schranke.

Haben Sie Helge Schneiders Hitlerfilm gesehen?

Stermann: Ich trau mich nicht, weil ich nur Schlechtes davon höre und Helge Schneider so mag.

Grissemann: Helge Schneider ist in diesem Film auch grandios. Die Körpersprache ist großartig. Der Film selbst ist sehr brav, so wie Dani Levy halt ist. Irgendwie sympathisch, lieb, nett.

Wie fanden Sie die Debatte über die Frage: Darf man über Hitler lachen?

Grissemann: Adolf Hitler ist ja wohl die Figur, die seit 60 Jahren im Zentrum von Witzen steht. Ich kenn keinen anderen, über den so viel gelacht wird und der so ironisiert wird – Gott sei Dank. Man muss über ihn lachen.

Nazi-Parodien gehören zum festen Bestandteil Ihrer Programme.

Stermann: Am meisten ärgert diese Rechten, wenn man sich über sie lustig macht. Skinheads wollen, dass du Angst hast. Wenn man über sie lacht, fallen sie in sich zusammen.

Grissemann: Mir stellt sich immer wieder die Frage, warum es keine rechten Komiker gibt – wenn die rechte Szene so groß ist. Das ist ein Phänomen.

Stermann: Obwohl, nehmen wir Jörg Haider und Heinz-Christian Strache bei ihren Reden – die Leute lachen in einer Tour. Die haben Gagschreiber, das ist eine Art rechtes Kabarett. Sie sind auch ganz gut – wenn man da Namen austauscht, könnten die Witze als Comedy durchgehen.

Grissemann: Aber dennoch gibt es keinen ausgewiesenen rechten Kabarettisten.

Stermann: Ich behaupte ja, dass es das in Deutschland längst gibt. Comedy ist in Wahrheit total rechts. Mario Barth ist – wenn überhaupt politisch – dann rechts. So etwas hat nichts mit Aufklärung zu tun oder Solidarität. Da geht es um Ausgrenzung, darum, sich selbst zu überhöhen und andere niederzumachen. Die Comedians nehmen selbst für sich in Anspruch, „Normalität“ zu repräsentieren, und „Normalität“ ist immer rechts. Männer sind so, Frauen können nicht Auto fahren – so haben unsere Eltern geredet.

Hat Humor vielleicht mehr mit Ohnmacht als mit Macht zu tun?

Grissemann: Das könnte eine Erklärung sein. Es wundert mich einfach.

Stermann: Eigentlich müsste es ja auch eine Berlinale oder Documenta der Nazis geben. Gibt es aber nicht.

Sie sind dafür Mitorganisatoren des eher linken Wiener Protest-Song-Festivals. Ist die „Jugend von heute“ wieder politischer – Irony is over?

Grissemann: Wir haben festgestellt, dass die Zahl der ironischen Beiträge deutlich nachgelassen hat. Die sind jetzt wieder ernsthafter, und das finde ich gut. Es ist auf jeden Fall sinnvoller, einen zugegeben nicht lustigen Protestsong gegen Studiengebühren zu verfassen, als sich wie Stefan Raab zu gerieren.

Stermann: In den letzten Jahren haben auch nur ernsthafte Lieder gewonnen. Das war ja mal ein aussterbendes Genre, es gibt die alten Platten der Vätergeneration und dazwischen gar nichts. Das Genre muss erst wieder gehen lernen.

Verändert sich auch der Humor?

Stermann: Ja, es gibt verstärkt „selbstgemachten Humor“, etwa bei YouTube. Er ist demokratischer: Jeder darf einen Witz machen, der Witzmacher selbst wird unwichtiger. Es gibt auch verstärkt humoristische Bücher.

Grissemann: Das hat sich schon richtig inflationiert. Mann kann keine seriöse Nachrichtensendung mehr sehen, ohne von den Moderatoren angezwinkert zu werden. Aber neue Entwicklungen? Ich kann das nicht richtig beurteilen.

Ihr neuer Film, „Immer nie am Meer“, geht zum Beispiel so: Sie sitzen zu dritt im Auto und reden.

Geboren: 17. Mai 1966 in Innsbruck/Tirol Familienstand: Ledig, keine Kinder Ausbildung: Abgebrochenes Studium der Germanistik und Publizistik Beruf: Radiomoderator und Kabarettist Karriere: Arbeitet seit 1988 für den ORF und ist seit 1990 die österreichische Hälfte des Duos Stermann & Grissemann, mit dem er die Radiosatiresendung „Salon Helga“ moderiert Big in Germany: Dank der Radiosendung „Show Royale“ auf Radio Eins, dem RBB-Sender für „Erwachsene“ (30 plus), hat er auch in Deutschland eine Fan-Gemeinde

Grissemann: So kann man das gut zusammenfassen, ja. Es ging darum, eine tragische Ausgangssituaton zu schaffen, die ohne Helden bleibt. Und das hat auch wunderbar geklappt. Wir haben kein einziges Mal gelacht.

Haben Sie improvisiert?

Stermann: Es war alles, aber auch wirklich alles geschrieben. Der Regisseur hat vorher den schönen Satz gesagt: Überlegt euch mal, wie ihr der Nachwelt erhalten bleiben wollt. Jeder hat also versucht, so wenig wie möglich zu sagen. Bloß nichts Blödes vor allem …

Ob der Film auch in Deutschland funktioniert?

Stermann: In Rotterdam lief er auf dem Festival – die Holländer haben ja einen ganz anderen Humor, aber der Film hat funktioniert.

Humor ist nur gut, wenn er mit einem lachenden und einem weinenden Auge vorgetragen wird. Stimmt das?

Grissemann: Es ist auf jeden Fall besser, wenn man weint.

Unter Ihrem Humor liegt ja schon so eine Art Grunddepression

Grissemann: Die Themen, die wir in unserem Gesamtwerk behandeln, sind: Krankheit, Tod, Depression, mangelndes Talent, Selbstzerfleischung. Ich finde es immer interessanter, wenn Menschen über ihren möglichen Tod reden als über ihre mögliche Karriere. Ich kaufe mir lieber einen Roman, der von einem Menschen handelt, der in einem Monat sterben wird, viel lieber als von einem, der gerade geboren wird. Ich finde Defizite viel interessanter als Talent.

Wie schlägt sich diese Grundhaltung auf Ihr Verhältnis zueinander? Freunde oder Kollegen?

Grissemann: Wir haben uns beim Radio kennengelernt und sind Freunde. Wir trafen uns in den Hallen des österreichischen Rundfunks …

Ist eine Männerfreundschaft etwas Besonderes, vielleicht sogar Seltenes?

Stermann: Schon, der Christoph kann das auch viel besser als ich, für ihn ist das fast notwendig.

Grissemann: Ich bin in der glücklichen Lage, drei dicke Freunde zu haben. Das gehört für mich zum Alltag und es ist für mich total wichtig. Ich kann mit Männern genauso gut reden wie mit Frauen, vielleicht sogar besser.

Am Ende Ihrer Sendung sagen Sie immer ironisch: Ich liebe dich. Stimmt es vielleicht sogar?

Grissemann: Auf eine grundsätzliche Art: ja.