: Keine Angst haben vor
ODYSSEE Zwei eritreische Deserteure bitten 2008 in der BRD um Asyl. Sie werden abgeschoben. Jetzt sind sie zurück
■ Eritrea: Der italienisch kolonialisierte, afrikanische Staat mit fünf Millionen Menschen liegt am Roten Meer und gehörte zeitweise zu Äthiopien. Die eritreische Befreiungsarmee kämpfte zusammen mit den äthiopischen Befreiungsarmeen gegen den äthiopischen Staatschef Mengistu, der das Land kommunistisch umbaute und die Bevölkerung vor allem durch seine landwirtschaftlichen Umsiedlungen gegen sich aufbrachte. 1991 wurde Mengistu vertrieben. Zwei Jahre später erklärte sich Eritrea für unabhängig. Demokratische Reformen wurden vom ehemaligen Rebellenführer und heutigen Staatschef Isaias Afewerki versprochen, aber nie umgesetzt.
■ Unterstützung: Wer Yonas Haile Mehari und Petros Aforki Mulugeta schulisch, beruflich oder anderweitig unterstützen möchte, wende sich an den Verein Connection: www.connection-ev.de.
VON WALTRAUD SCHWAB
Frankfurt, Hasengasse, unweit der Konstablerwache, ein schmuckloses Haus. In einem Klassenzimmer im fünften Stock findet ein Integrationskurs statt. Sechshundert Stunden Deutsch – so soll das Ankommen hier leichter fallen. Fünfzehn Erwachsene sitzen um die weißen Tische und lernen Verben mit Präpositionen: sich freuen über, denken an. Worüber freuen Sie sich? „Ich freue mich über den Frühling“, sagt eine Frau im Sari. An was denken Sie? „Ich denke an den Sommer“, antwortet ein Mann mit Rastalocken. „Ich denke an mein Land“, sagt eine rumänische Frau.
Zwei Männer aus Eritrea, Yonas Haile Mehari und Petros Aforki Mulugeta, sitzen in der Runde. Mein Land? Dazu können sie nur schweigen. Der Ausdruck in ihren Augen verändert sich beim Gedanken an ihr Land – als schauten sie nach innen, als blickten sie zum eigenen Herz. Näher an Heimat kommen sie nicht. Für sie gibt es nur noch ein Hier. Ein Jetzt. An was denken Sie? „An nichts.“
Mulugeta, der Jüngere, mit seinen geschmeidigen, klar konturierten Gesichtszügen, in denen sich Afrikanisches, Arabisches und Europäisches verdichten, sieht weich aus, sanft und zurückhaltend. Dreiundzwanzig ist er. Seinen kahl rasierten Schädel versteckt er unter einer Jockeymütze. Seit dem Gefängnis wüchsen die Haare nicht mehr richtig, sagt er. Der sechs Jahre ältere Mehari mit abstehenden Ohren und Grübchen, die sich beim Lachen tief in seine vernarbten Wangen graben, ist verschmitzt und charmant.
Schon vor zwei Jahren waren die beiden Afrikaner in Frankfurt. Hätten sie bleiben dürfen, wäre ihr Deutsch inzwischen viel besser. Aber sie wurden in ein Flugzeug gesetzt und abgeschoben. Jetzt sind sie zurück am Main. Bei Mehari, dem Älteren, jährt sich die Rückkehr an Ostern. Für den Jüngeren ist es im Sommer ein Jahr. Der Moment, als sie die Ausweiskontrollen, die Zollkontrollen, Polizei und Männer in Uniform am Flughafen endlich passierten, ohne aufgehalten zu werden, hat sich in ihnen eingebrannt als ein Glück, für das sie keine Sätze, keine Grammatik, keine Präpositionen haben. Nur: „glücklich“.
Bistro Ethiopia
Später, nach der Schule, sitzen die beiden in Korbsesseln im Keller des Bistros Ethiopia im Frankfurter Bahnhofsviertel, einer bescheidenen Kneipe, die sich erst nachts mit lebhaft debattierenden Menschen füllt. Dass die Sprache der beiden Männer nicht ausreicht, um die Leere, die Erschöpfung, die Irritation, den Mut und die Angst zu beschreiben, die dem einen Wort – „glücklich“ – vorausging, kommt ihnen zugute. Solange sie für das, was war, keine Worte finden, lässt es sich leichter verdrängen.
Über ihre neue Gegenwart hingegen können sie reden. Erinnern Sie sich an das, was Sie zuerst sahen, als Sie endlich in die Ankunftshalle am Flughafen treten durften? Sich erinnern an. „Ich habe Yonas gesehen“, sagt Petros Aforki Mulugeta. Er strahlt, selbst jetzt, ein Dreivierteljahr nach der Ankunft spürt er die Freude von damals. Yonas war schon zehn Wochen früher zurück. Yonas ist jetzt seine Familie. Der Passfälscher hat die beiden zu Blutsbrüdern gemacht.
Mulugeta, der Jüngere, der von klassischer Schönheit, und Mehari, der Ältere voll lächelnden Charmes, drücken sich gegen die Lehnen der Sessel, als wollten sie – obwohl sie Ja sagen zum Gespräch – doch einen Schritt zurücktreten und so die Entfernung vergrößern zwischen denen, die Fragen stellen, und ihnen, die antworten. Über ihre Rückkehr nach Frankfurt wollen die beiden eritreischen Deserteure reden. Nur wie redet man darüber, wenn das, was zwischen dem ersten Mal, als sie am Flughafen in Frankfurt waren, und dem zweiten Mal, als sie zurückkamen, tabu ist? Die Stimme würde versagen. Reden über.
Damit Sprechen überhaupt möglich ist, hat Rudi Friedrich das Treffen im Bistro organisiert. Friedrich, ein ruhiger, zurückhaltender Mann, Maurer und Soziologe, Sohn eines Offiziers und Leiter des Verein Connection, der Deserteure weltweit unterstützt. Er hat einen Dolmetscher mitgebracht und ein eritreisches Essen spendiert. Essen verbindet. Essen löst die Zunge. „Ja, wir lieben es scharf“, sagt Mehari, der Ältere. Dass jemand es nicht so scharf mag, darüber kann er lachen. Lachen über. Auf einem riesigen Tablett sind Spinat, Bohnen-, Linsen- und Fleischsoßen angerichtet. Gegessen wird alles mit saurem Fladenbrot, das aus Teff, einer Hirseart, gemacht wird. „Injera“ heißt das Fladenbrot. „Injera“, das sei Heimat, übersetzt der Dolmetscher. „Und Teff auch.“ Sie wiederholen es. „Teff.“ Oder: „Taff.“ Taff heiße es auch manchmal. Taff, das Liebesgras. Alle reißen Stücke vom Brot ab und greifen damit in die Soßen.
Militärlager
Drei Jahre, bevor Mehari und Mulugeta den Kontrollbereich des Flughafens in Frankfurt endlich verlassen dürfen, sind sie aus der eritreischen Armee desertiert. Dass der eritreische Militärdienst für junge Leute zur Falle wird, aus der es kaum ein Entkommen gibt, das muss man wissen, wenn man verstehen will, warum die beiden abgehauen sind. Alle in Eritrea müssen zum Militärdienst. Obwohl er formal nur achtzehn Monate dauern soll, kann der Dienst für Männer anhalten, bis sie 54 Jahre sind. Sie werden einfach nicht entlassen. Frauen bleiben beim Militär, bis sie 47 Jahre alt sind oder schwanger werden.
Eritrea ist ein durch und durch militarisierter Staat. Viele Unternehmen im zivilen Bereich gehören zur Armee. Wer dort zur Arbeit verpflichtet ist und flüchtet, gilt ebenfalls als Deserteur. Werden Desertierende gefunden, drohen ihnen drakonische Strafen. Eritreer dürfen so gut wie nie ins Ausland reisen, Pressefreiheit gibt es nicht. Wahlen ebenso wenig. Menschenrechte zählen nicht. „Das Militär herrscht über das Land“, übersetzt der Dolmetscher Meharis Worte. Herrschen über. Viele, vor allem junge Eritreer fliehen. Manche schaffen es nach Europa. Manche ertrinken auf der Flucht im Mittelmeer. Die Einschätzung des Auswärtigen Amts: „Die Bewegungsfreiheit in Eritrea ist extrem eingeschränkt für alle, auch für die Botschaftsangehörigen“, sagt die Pressesprecherin. Von Reisen ins Land wird abgeraten.
Jugendliche, die auf Bildung hoffen, wie Mulugeta, wie Mehari, stecken in einem besonderen Dilemma. Denn das zwölfte Schuljahr können Eritreer nur bei der Armee machen. Ein halbes Jahr Schule, ein halbes Jahr Wehrpflicht – im Idealfall. Sowohl dem UN-Flüchtlingshochkommissariat als auch Pro Asyl liegen jedoch Berichte vor, dass das zwölfte Schuljahr mitunter auch nur aus Militärdienst oder aus Arbeitsdienst besteht. „Die Militärzeit hat nur einen Anfang, aber kein Ende. Einmal beim Militär, immer beim Militär“, sagt Mehari, der Ältere. Er musste sieben Jahre als Wachsoldat arbeiten und sollte, das geht aus einer Befragung hervor, die der Verein Connection veröffentlichte, auch Gefangene bei Strafmaßnahmen malträtieren. Er musste sie zwingen, sich nackt in mit Dornen und spitzen Steinen gemischtem Sand zu wälzen. Weil er das nicht zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten tat, kam er selbst ins Gefängnis. Als er nach einem Monat wieder draußen war, floh er und schlug sich in den Sudan durch.
Zur selben Zeit hat sich auch Mulugeta, der Jüngere, vom Militär abgesetzt. Anstatt in der Schule fand er sich bei bewachten Ernteeinsätzen wieder. Noch nicht mal mit anderen reden soll erlaubt gewesen sein. Reden mit. Er hat es trotzdem gemacht, wurde strafversetzt, musste Frondienst leisten, Gräben ausheben, Tomaten ernten, Mauern bauen. „Du wirst zum Sklaven der Regierung“, sagt Mulugeta. Zusammen mit drei anderen haut er ab. Auch sie schaffen es bis in ein Flüchtlingslager im Sudan. Dort treffen Mulugeta und Mehari auf denselben Schlepper, der ihnen falsche Pässe mit richtigen Visa und Tickets nach Frankfurt besorgt. Am 22. November 2007 landen sie in Deutschland. Zum ersten Mal. Raus aus dem Flughafen kommen sie jedoch nicht. Ihr Asylantrag wird noch im „Flughafenverfahren“, einem Eilverfahren, in dem ein einzelner Richter ohne Verhandlung entscheidet, abgelehnt. Die Pässe seien richtig, aber die Visa seien falsch, argumentiert der Richter. Die beiden seien Lügner.
Zwei Versuche, Mulugeta und Mehari abzuschieben, scheitern an ihrem Widerstand. Scheitern an. Die Piloten weigern sich, sie gegen ihren Willen auszufliegen. Aber im Mai 2008 chartert das hessische Innenministerium extra ein Flugzeug für die beiden und fliegt sie an Händen und Füßen gefesselt in die eritreische Hauptstadt Asmara. Berichte von Pro Asyl und Human Rights Watch, denen zufolge Deserteure in Eritrea mit schlimmster Folter zu rechnen hätten, wurden ignoriert. Auch Rudi Friedrich vom Verein Connection erfährt viel zu spät von den zwei Männern. „Unsere schlimmsten Befürchtungen wurden wahr“, sagt er, während er sich ein Stück Injera abreißt und damit Bohnen nimmt.
Gefängnis
Aber zwei Jahre später sind die beiden doch wieder in Frankfurt. Jetzt können sie bleiben. Sie wollen sich die Stadt aneignen. Und sie wollen sie zeigen. Sie, selbst noch halb fremd, wollen die Fremdenführer sein. In ihrem Frankfurt, in dem der Frühling gerade erst beginnt, braucht Mehari nicht zu fürchten, dass er wieder in ein Gefängnisverlies in der Wüste gestoßen wird. Der Trakt hieß „Under“. Ein Raum, etwa hundertfünfzig Quadratmeter groß, in den vierhundert Leute in nahezu völliger Dunkelheit gepfercht sind. Kein Platz zum Liegen, keine Luft zum Atmen. Durch die Hitze, den Schweiß schält sich die Haut. Zweimal am Tag dürfen sie raus zur Toilette. „Es ist schrecklich, aus der Dunkelheit ins Licht zu gehen, von der Wärme mit Blasen am Körper ins brennende Licht“, steht im Protokoll, das er Rudi Friedrich vom Verein Connection gab. Krankheiten werden nicht behandelt, manche werden verrückt, manche sterben, manche versuchen zu fliehen und werden erschossen, steht da. Ein halbes Jahr verbringt Yonas Haile Mehari in diesem Verlies. Dann holt man ihn raus ins oberirdische Gefängnis. Ein umzäuntes Areal ohne Schutz vor Sonne, vor Regen. Er weiß nicht, dass seine Anwältin, Antje Becker, seinen Fall und den von Mulugeta derweil erfolgreich weiterbetreibt. „Ich hielt die Entscheidung für falsch und für unrecht. Das konnte ich nicht stehen lassen“, sagt sie mit ihrer verrauchten Stimme am Telefon. „Asylanwälte sind so.“ Während Mehari im Gefängnis in Eritrea sitzt, was das eritreische Außenministerium bestätigte, wird er als Asylbewerber in Deutschland anerkannt. Es nützt ihm nicht viel.
Was ist Ihnen aufgefallen, als Sie wieder in Frankfurt waren und den Flughafen endlich verlassen konnten? „Dass alle Gebäude Keller haben“, sagt Mehari. Gute Keller. Und: „Dass die Menschen sich frei bewegen.“ Er ringt um Worte, um zu beschreiben, wie es aussieht, wenn man sich frei bewegt. Ringen um. Aber er findet keine Worte für Leute, die, wenn sie gehen, meist nach vorne schauen und, nur wenn es ihnen beliebt, aber selten aus Angst, auch nach rechts, nach links und zurück. „Es gibt keine Polizeikontrollen in der Stadt“, sagt Mehari endlich.
Auch Mulugeta hat es nichts genützt, dass sein Asylantrag anerkannt wurde. Er ist in einem eritreischen Gefängnis unter der Sonne. Ihn stopft man in einen etwa vier mal vier Meter großen Container aus Zink, „Singo“ heißt er, der sich in der Hitze noch zusätzlich aufheizt und in den ungefähr vierzig Menschen gepfercht sind. „Nach ein paar Tagen bist du völlig am Ende.“ Einen Monat lang kocht man ihn dort. Dann lässt man ihn, übersät von Blasen und Geschwüren, im oberirdischen Gefängnis vegetieren. Dass es „Singo“ und „Under“ gibt, bestätigen Berichte von Menschenrechtsgruppen und der UNO.
Etwa Mitte des Jahres 2009 werden Mulugeta und Mehari in Militärkrankenhäuser verlegt. „Warum?“ „Vielleicht dachten sie, wir sind fertig.“ Vom Militärhospital gelingt Mulugeta erneut die Flucht in den Sudan, und Mehari schafft es nach Äthiopien. Erst in den UNO-Flüchtlingslagern erfahren sie, dass ihre Asylanträge in Deutschland bewilligt wurden. Trotzdem dauert es noch Monate, bis sie zurück sind in Frankfurt. „Für mich waren die Deutschen strenge Leute“, sagt Mulugeta. Vor ihnen fürchtete er sich. Sich fürchten vor. „Plötzlich sind die Leute nett“, sagt er. „Die Leute von der Botschaft. Sie helfen mir. Ich muss nicht warten.“
Museum Dialog
Mehari kommt als Erster in Frankfurt an. Die Rechtsanwältin, die sein Asylverfahren in Abwesenheit weiterbetrieb, und Rudi Friedrich holen ihn ab. Was er zuerst gemacht hat? Gemeinsam sind sie essen gegangen und dann zum Sozialamt, erzählt er. Danach beginnt Mehari tagelang durch die Stadt zu laufen. Langstreckenläufer er. Schon nach einer Woche braucht er keinen Stadtplan mehr. Er eignet sich die Stadt an wie eine Wüste. Zäsuren im Gleichen erkennt er schnell.
Jetzt zeigen Mulugeta und Mehari also Frankfurt, das schon ein wenig zu ihrer Stadt geworden ist. Am liebsten sind sie auf der Zeil, der Einkaufsstraße. Weil sie sich nicht sattsehen können an Menschen, die sich frei bewegen. Sich nicht sattsehen können an. Das Einkaufszentrum MyZeil hat es ihnen angetan. Ganz aus Glas schält es sich organisch aus der Häuserfront heraus. Der Trichter, durch den man den Himmel sehen kann, saugt den Blick an. Sprachlos stehen die beiden davor und zeigen das Gebäude. Dann führen sie zur Rolltreppe. Die finden sie schön. „Warum?“ „Weil sie so lang ist.“ Bis in die vierte Etage läuft sie ohne Halt. Wer hochfährt, verharrt für eine Minute in einem dynamischen Sog, als schwebe er durch Licht. Oben führen die beiden Männer zur Glaswand. Nicht wegen der Skyline, sondern um hinunterzuschauen auf die Leute. „Die vielen Menschen. Sie sind frei“, sagt Mehari noch einmal. Wieder auf der Straße, mischen sie sich unter die Passanten, als wären sie das Holz auf einem Fluss, der sie zum Platz vor der Alten Oper treibt. Ganz am äußersten Rand bleiben sie stehen und zeigen auf das Gebäude. „Auch das ist schön.“ „Warum?“ „Weil es alt ist.“ Drin waren sie noch nie. So weit ist es noch nicht. Die Aneignung geschieht vom Rand aus.
Auch den Träumen auf Zukunft nähern sie sich von außen. Die Sprache, die Schule, der Abschluss. Eine Ausbildung. Hoffentlich. Vielleicht. Was für ein Kraftakt, das alles zu schaffen. Leute, die mit ihnen lernen, sie brauchen sie. Auch dass Mulugeta jetzt Fußball spielen kann in einem Club, helfe ihm. „Da lerne ich“, sagt er. „Schieß hierher, ich steh frei!“ Mechatroniker würde Mehari gern werden. Und Mulugeta eigentlich Informatiker. Aber selbst der Hauptschulabschluss wird ihnen nicht anerkannt.
Deshalb ist am schönsten für die beiden, sich in Menschenmengen einzureihen und mit ihnen zu gehen. Ohne Angst. Beim Gehen verschmelzen sie mit den anderen. Die Freiheit, die Chancen der anderen – so werden sie zu ihren. Stunden geht das. Vorbei an der Hauptwache, den Rossmarkt überqueren, an der Paulskirche vorbei zum Römer, zum Dom zum Eisernen Steg am Main und zurück. Solange Menschen da sind, sind sie eingereiht in das Fließende. Aus sicherer Entfernung zeigen sie auf die Sehenswürdigkeiten – scheu, aber schon ein klein wenig stolz. „Auch wenn die Eintracht Frankfurt spielt“, sagt der Fußballfan Mulugeta, „dann bin ich immer für die.“ Sind die nicht schlecht? „Egal.“
Nur drin waren sie noch in kaum einem der Gebäude. Sie würden gern, wenn jemand sie führte. Ein Museum vielleicht? Ja, ein Museum. Welches? Eins der Erfahrung, der Zukunft. Keins der Vergangenheit. So kommt es, das soll noch erzählt werden, dass sie von allen Orten Frankfurts im Museum Dialog landen. Zu spät wird klar, hier geschieht Erfahrung in vollkommener Dunkelheit. „Es wird Ihnen gefallen“, sagt der Mann an der Kasse. Sie werden Boot fahren im Dunkeln.
Drinnen im Museum werden Hände zu Augen. Was sie sehen, dafür haben Mulugeta und Mehari schon die Wörter gelernt: „Das sind Bäume. Das ist ein Wald.“ „Das ist ein Haus, ein Fenster, eine Tür.“ „Das sind Stille, Lärm, Entfernungen, Straßen, Bordsteine, Unsicherheiten.“ Nicht Mulugeta und auch nicht Mehari zögern und zaudern in der Dunkelheit. Ein anderer aus der Gruppe, die geführt wird, Christian heißt er, fragt immer wieder mit zittriger Stimme: „Wie lange dauert es noch bis zum Ausgang?“
Wieder draußen im Licht – „whow!“ – Mulugeta, der Jüngere, sagt: „Jetzt weiß ich, wie Blinde fühlen.“ Und er sagt noch, dass Yonas ihm zugeflüstert habe, dass es wie im Gefängnis gewesen sei.
Mehari aber ist aufgekratzt, als er das Museum verlässt. Und er spricht. „Manchmal ist es gut, ins Dunkle zu schauen“, sagt er, und es wirkt, als hätte er im Museum die Sprache gefunden. „Ich erinnerte mich an das Gefängnis, wo ich war. Die Erinnerung tut weh. Es war sehr gut, dass Petros da war. Sein Körper. Seine Hand. Ich werde diesen Besuch im Museum niemals vergessen. Ich fühle mich jetzt stark.“
Dann auf dem Weg zur Tram noch einmal: „Whow, ich fühle mich jetzt stark. Ich werde diesen Tag niemals vergessen.“ Die Worte, um die er vorher ringen musste, findet er plötzlich ganz leicht. „Es sind die Menschen, die den Menschen schaden. Ich habe keine Angst vor der Natur, vor der Dunkelheit. Ich habe nur Angst vor manchen Menschen.“ Keine Angst haben vor.
■ Waltraud Schwab ist sonntaz- Reporterin und fremd in Frankfurt