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Archiv-Artikel

„Wir sind Durchhalter“

HAUSBESUCH Sie lässt sich nicht aus ihrem Kiez vertreiben. Bei Sabrina Kluwe in Prenzlauer Berg in Berlin

VON SIMONE SCHMOLLACK (TEXT) UND AMÉLIE LOSIER (FOTOS)

Prenzlauer Berg, Berlin. Der Kiez ist mittlerweile verschrien wegen der vielen zugezogenen Westdeutschen, vor allem aus Schwaben, die als biedere, übereifrige Eltern die ostdeutschen Underdogs von einst verdrängt haben sollen. Eine bleibt hartnäckig hier wohnen: Sabrina Kluwe, 47.

Draußen: Ein gelbes Haus mit adrett bepflanzten Balkonen. Rechts zwei Gymnasien, links ein Tischtennisplatz. Vor dem Haus gelbe Sonnenschirme, Bierbänke und Lehnstühle mit Kissen. Die gehören zu zwei Kneipen, eine davon heißt „Kleine Kneipe“.

Drin: Ein Tresen aus dunklem Holz mit Zapfhahn, dahinter das fast wandhohe Flaschenregal: Cognacs, Whiskeys, Rum, Liköre. Oben drauf ein Schifferklavier. Aschenbecher, eine Raucherkneipe. An der Wand hängen Bilder und schon halb blind gewordene Spiegel mit Schnapswerbung. Dazu ein Emailleschild mit zwei Zeichnungen und dem Satz „Bier bewirkt Wunder“. Auf dem oberen Bild ist eine dicke, biestige Frau zu sehen, auf dem unteren eine junge, schlanke, die sich nackt räkelt.

Was macht sie? Sabrina Kluwe arbeitet stundenweise in der „Kleinen Kneipe“: Bier zapfen, Schnäpse austeilen, manchmal ein Wasser. Aber vor allem: mit den Leuten reden. Mit „Fussel“ zum Beispiel. Der Mann wohnt im Nebenhaus und ist Stammgast. Ist wie Sabrina Kluwe hier geboren und groß geworden. Da gibt es viel zu quatschen. Von früher, vom Fleischer und vom Bäcker von schräg gegenüber. Gibt es beide schon lange nicht mehr. In dem Bäckerladen ist jetzt eines dieser modernen Kaffeehäuser drin. „Ich kenne hier jedes Haus und jeden Baum.“ Von damals ist nur das Kino Colosseum geblieben. Aber das ist jetzt ein Multiplex-Kino, also auch anders. Sabrina Kluwe hat ihr ganzes Leben lang in Prenzlauer Berg gewohnt und gearbeitet, als Verkäuferin, in der Gastronomie, als Altenpflegerin. „Ich bin bequem zur Arbeit gekommen, entweder zu Fuß oder mit dem Fahrrad.“

Was denkt sie? „Es ist immer noch schön, hier zu wohnen.“ Obwohl es jetzt viel versnobter ist als früher und die „Ureinwohner“ die Mieten für die sanierten Wohnungen nicht mehr bezahlen können. Sie kennt die Geschichten von den „Besichtigungsterminen“, bei denen „Fremde, die nach Geld aussehen, durch dein Privatleben latschen und die Wohnung kaufen wollen“. Deswegen sind die Leute ja weggezogen aus Prenzlauer Berg.

Nostalgie? Schon. Dass Sabrina Kluwe noch hier ist, hat viel mit Glück zu tun. Sie kannte immer jemanden, der jemanden kannte, der etwas wusste von einer Wohnung. Ihre Mutter ist hier gestorben, zwei ihrer drei Brüder wohnen auch noch hier. „Wir sind Durchhalter.“

Sabrina Kluwe: Sie ist um die Ecke geboren und immer im Kiez geblieben. „Das ist Heimat.“Wenn sie durch eine der Straßen läuft, in der sie mal gewohnt hat, schaut sie automatisch rauf zu ihren alten Fenstern. Dann erinnert sie sich an früher: Wie sie als Kind auf der Straße Gummihopse gespielt hat. Oder an die Duschkabine „Ahlbeck“. Die Dinger waren rar, und wer eine ergatterte, baute sie in die Speisekammer ein.

Erwachsen werden: Mit 18 zog Sabrina Kluwe von zu Hause aus, zu ihrem Freund. Nach einem Jahr wurde sie schwanger, trennte sich aber bald und zog in eine Hinterhauswohnung mit einem Dauerbrenner. Das war ein Ofen, in den man ständig Kohlen nachlegen musste, sonst wurde er kalt. „Im Winter haben wir gefroren wie die Schneider.“ Sie war alleinerziehend, und als die Tochter größer wurde, bekam die Kleinfamilie eine dunkle Zweiraumwohnung mit Außenklo auf halber Treppe. „Wir haben uns abgewöhnt, nachts aufs Klo zu gehen.“

Noch ein Umzug: Später zogen Mutter und Tochter um in eine Wohnung mit Gasetagenheizung und Schimmel an den Wänden. „War doof“, aber irgendwie egal. Denn nachmittags trafen sie sich mit anderen Müttern und Kindern auf dem „Helmi“, dem Spielplatz. Abends ging Sabrina Kluwe tanzen, ins „Café Nord“. Oder in den „Prater“, wo damals viele Bands spielten. Heute gibt es die Kulturbrauerei. Aber mit den „Hipstern“, die sich dort rumtreiben, kann Sabrina Kluwe nicht viel anfangen. „Ist nicht mehr meine Zielgruppe.“

Ostalgie? „Nö.“ Sie wollte zwar nie in den Westen und als die Mauer fiel, war das „kein Schock“. „Heute haben wir viele Freiheiten. Und wer Geld hat, hat es definitiv gut.“ Aber man muss auch an die denken, die sich nichts leisten können, an die Arbeitslosen und an die Hartz-IV-Empfänger. „Als Kind konnte ich alles machen, Ballett, Schwimmtraining, Sport. War kostenlos. Heute bleiben arme Kinder auf der Strecke.“ Wenn sie Filme von früher sieht, ist sie oft erschrocken. „So haben wir gelebt? Die Häuser waren grau und zerfallen.“ Andererseits nerven sie heute die vielen Ämter und der ganze Papierkram. „Was man allein für eine Krankenversicherung braucht – meine Güte.“

Wann sind Sie glücklich? „Wenn ich zu Hause bin und meine Ruhe habe. Und wenn ich am Wochenende mit meinen Freunden über die Dörfer ziehen kann. Dort macht Tanzen mittlerweile mehr Spaß als in Berlin.“

Nächstes Mal treffen wir Siegfried Schilinski und Felix Schöber in Heidelberg. Sie möchten auch einmal besucht werden? Schreiben Sie eine Mail an hausbesuch@taz.de