: Vor der großen Kälte zieht Vernunft ein
ENERGIE Russland und die Ukraine stehen vor einer Einigung auf ein „Winterpaket“. Die Vereinbarung soll Europas Gasversorgung in den kalten Monaten sichern. Ungarn stoppt Lieferungen Richtung Kiew
EU-KOMMISSAR GÜNTHER OETTINGER
BERLIN taz/afp | Im Streit zwischen Russland und der Ukraine um Gaslieferungen zeichnet sich eine Lösung ab, mit der in den kommenden Monaten die Gasversorgung in Europa gesichert werden soll. „Wir haben einen tragfähigen Entwurf für ein Winterpaket erarbeitet“, sagte der EU-Energiekommissar Günther Oettinger, der die Verhandlungen leitete, am gestrigen Freitag in Berlin.
Er sei zuversichtlich, dass dieser Entwurf die Zustimmung der Regierungen in Kiew und Moskau sowie der beiden staatlichen Gasfirmen erhalten könne. Die Eckpunkte des Winterpakets sehen vor, dass die Ukraine bis Jahresende 3,1 Milliarden Dollar an Russland zahlt, davon zwei Milliarden bis Ende Oktober.
Die EU-Kommission werde dafür eine entsprechende Garantie beim Internationalen Währungsfonds (IWF) für die mit Finanzproblemen kämpfende Ukraine erwirken, sagte Oettinger. Im Gegenzug verpflichtet sich Russland, nach Eingang der ersten zwei Milliarden Dollar und gegen Vorkasse in den kommenden Monaten zu einem festgelegten Preis mindestens fünf Milliarden Kubikmeter Gas an die Ukraine zu liefern. Oettinger hofft auf eine Unterzeichnung des Abkommens bis Ende kommender Woche bei einem weiteren Treffen in Berlin.
Russland hatte Mitte Juni seine Gaslieferungen an die Ukraine eingestellt. Vorausgegangen war eine Weigerung Kiews, höhere Preise zu akzeptieren. Der Streit könnte auch Folgen für die Gaslieferungen nach Europa haben, weil ein Großteil der russischen Energie für EU-Staaten über die Ukraine geleitet wird. Noch am Freitag hatte Russlands Energieminister Alexander Nowak im Handelsblatt gedroht, er hoffe, „dass vor der großen Kälte die Vernunft Einzug hält“. Konkret: Russland drohte der Ukraine vor der neunten Verhandlungsrunde um ausstehende Zahlungen in Berlin schlicht, das Gas abzudrehen.
Laut dem Vertrag von 2009, der noch bis 2019 gilt, hat Russland Anspruch auf 485 US-Dollar (380 Euro) je 1.000 Kubikmeter. Zahlen will die auf internationale Hilfen angewiesene Ukraine aber nur 268,5 Dollar. Kiew hält den Vertragspreis für übertrieben und angesichts der Krise zwischen beiden Staaten für politisch motiviert. Die Russen fordern, dass die Ukrainer ihre Schulden bezahlen. Diese belaufen sich auf insgesamt 5,3 Milliarden Dollar.
Wegen der gekappten Leitungen aus Russland sind bereits Millionen Menschen – auch in Kiew – seit Wochen ohne warmes Wasser. Der Hauptstadt-Bürgermeister und frühere Boxweltmeister Vitali Klitschko schwor die Bürger bereits auf harte Zeiten ein. Die Heiztemperatur in den Wohnungen werde in diesem Jahr um 2 auf 16 Grad Celsius sinken. Das ist etwa so viel wie 2009, als Russland bereits für drei Wochen kein Gas lieferte.
Am späten Donnerstag hatte das EU-Mitgliedsland Ungarn den Druck auf die Ukraine erhöht: Der Gasversorger FGSZ setzte seine Gaslieferungen an die Ukraine aus. Wie das Unternehmen am späten Donnerstag mitteilte, gilt die Lieferunterbrechung „auf unbestimmte Zeit“. Die Regierung in Budapest begründete den Schritt am Freitag damit, dass die ungarischen Gasreserven aufgestockt werden sollten. Den Konservativen wird von Kritikern vorgehalten, im Ukrainekonflikt zu Moskau zu halten.
KAI SCHÖNEBERG