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Archiv-Artikel

Mexiko-Stadt erlaubt Abtreibungen

Gegen den Widerstand der Konservativen und des Vatikans liberalisiert das Parlament der mexikanischen Hauptstadt das Abtreibungsrecht. Abbrüche bis zur 12. Woche sind künftig straffrei. Regelungen nur in Kuba und Guyana weitgehender

AUS MEXIKO-STADT WOLF-DIETER VOGEL

Weder Morddrohungen noch Fernsehspots und eine Eilintervention aus dem Vatikan konnten die Entscheidung verhindern: Am Dienstag beschloss das Parlament von Mexiko-Stadt, das Abtreibungsrecht weitgehend zu liberalisieren. Bis zur 12. Schwangerschaftswoche können Frauen in der mexikanischen Hauptstadt künftig straffrei abtreiben. Wenn die Betroffenen vergewaltigt wurden, der Fötus Missbildungen aufzeigt oder das Leben der Frau in Gefahr ist, darf auch danach noch eine Schwangerschaft abgebrochen werden. Für diese Gesetzesreform stimmten 46 Abgeordnete, 17 Parlamentarier der Rechten sowie zwei grüne Abgeordnete votierten dagegen.

Der Abstimmung gingen monatelange Auseinandersetzungen voraus. Vor allem die katholische Kirchenhierarchie sowie die rechtskonservative Partei der Nationalen Aktion (PAN) hatten gegen den Vorschlag mobil gemacht, der von der in der Stadt regierenden linksliberalen Partei der Demokratischen Revolution (PRD) eingebracht worden war. Am Sonntag hatten die Abtreibungsgegner einen „Pilgermarsch für das Leben“ durchgeführt, kurz zuvor hatte Papst Benedikt XVI dazu aufgerufen, das „Recht auf Leben“ gegen alle Angriffe der „Todeskultur“ zu verteidigen. Am Tag der Abstimmung schützten mehrere Hundertschaften der Polizei das Parlamentsgebäude vor aufgebrachten Abtreibungsgegnern. Frauenorganisationen und andere Befürworter der Initiative verfolgten auf Großleinwänden die Debatte und feierten die Liberalisierung des Gesetzes.

Experten gehen davon aus, dass auf jeden der bisher etwa 7.000 jährlich legal durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche mindestens vier illegale kommen. Die Regierung spricht von 100.000 Abtreibungen, die in ganz Mexiko jährlich durchgeführt werden, unabhängige Organisationen rechnen mit dem Fünffachen. Die Kriminalisierung der Abtreibung trifft vor allem die Unterschichten, erklären Vertreterinnen feministischer Gruppen und verweisen auf die hohen Kosten, die mit dem illegalen Eingriff verbunden sind. Zwischen 2.500 und 5.000 Pesos (170 bis 340 Euro) müssen die Frauen für den Eingriff bezahlen, oft mehr als ein monatliches Familieneinkommen.

Die Entscheidung wird weit über die Hauptstadt hinaus Signalwirkung haben. Mexiko ist mit 90 Prozent Katholiken nach Brasilien das Land mit der weltweit zweitgrößten katholischen Gemeinde. In allen Bundesstaaten gelten bislang strengere Regelungen für die Abtreibung, als sie nun in Mexiko-Stadt verabschiedet wurden. Doch auch auf bundesweiter Ebene liegt ein Reformentwurf vor. Allerdings hat der rechtskonservative Präsident Felipe Calderón (PAN) bereits Widerstand angekündigt.

In Lateinamerika ist das neue Abtreibungsrecht der mexikanischen Hauptstadt beinahe einmalig: Nur in Kuba und Guyana sind Schwangerschaftsabbrüche straffrei. In Chile, Honduras, El Salvador und seit einen halben Jahr auch in Nicaragua ist der Eingriff strikt verboten.