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Archiv-Artikel

Als Lore den DFB besiegte

TOR Wenn im Juni die WM 2011 beginnt, feiert sich Deutschland als Frauenfußball-Nation. Eine der ersten Stürmerinnen war in den Fünfzigern Lore Barnhusen. Ihr mächtigster Gegner: der Deutsche Fußballbund

Der DFB und die Frauen

 Das Verbot: Am 30. Juli 1955 verbietet der Deutsche Fußball-Bund (DFB) den Frauenfußball offiziell. Vereine dürfen keine Frauenabteilungen haben, keine Plätze anbieten und Schiedsrichter keine Frauenspiele pfeifen. Erst 1970 wird das Verbot aufgehoben. Heute zählt der DFB eine gute Million Fußballerinnen in Vereinen. Es sei das Segment, das am stärksten wachse.

 Die Weltmeisterschaft: Die Fußball-WM der Frauen 2011 beginnt am 26. Juni mit dem Eröffnungsspiel Deutschland gegen Kanada im Berliner Olympiastadion. Die ARD wird das Spiel übertragen. Das Finale findet am 17. Juli in Frankfurt am Main statt.

AUS DEM RUHRGEBIET KIRSTEN KÜPPERS

Als in der 89. Minute die Duisburger Stürmerin noch einmal den Ball ins Tor stößt zu einem grandiosen 6:0. Als das ganze Stadion aufspringt, die Diskomusik aus dem Lautsprecher dröhnt. Als die Stimme des Stadionsprechers sich überschlägt, schon die Champions League herbeijubelt, die Fußball-WM, die im Juni kommt. Als die Spielerinnen befreit über den Platz rennen, die Zuschauer sich in die Arme fallen, überhaupt alles an diesem Sonntagnachmittag im Ruhrgebiet aufgeht in einem rauschenden Bravo, und als selbst der Mann von Lore Barnhusen anerkennend raunzt: „Dat geht so schnell, da kommste nich’ ma’ mit’m Moped hinterher.“

Da ist schon eine Menge passiert.

Da kann man sagen, dass der Fußball in diesem Land endlich da angekommen ist, wo Lore Barnhusen aus Gladbeck ihn schon immer erwartet. Sie musste lange gegen den DFB kämpfen.

Lore Barnhusen, 71 Jahre alt, die auf der Duisburger Tribüne steht, die geahnt hat, dass es ein Fest werden würde, hat morgens den Blazer in Schlangenlederimitat angezogen, die hohen Schuhe, die grauen Haare zu einem Igel hochgebürstet. Jetzt wirft sie die Hände in die Luft, ruft: „Wahnsinn! Fußball ist doch dat Schönste, was es gibt!“

Den Spott, die Bevormundung, den die Sache mit dem Fußball ihr auch eingebracht hat, wird Barnhusen darüber nicht vergessen.

Das Verbot, das sie in den Wind geschlagen hat damals. Als sie angetreten ist für Deutschland, tausende Zuschauer im Stadion johlten und tanzten, nur wegen ihr.

Angst vor kaputten Füßen

Lore Barnhusen hieß da noch Lore Karlowski, ein kleines Mädchen mit dicken Zöpfen in einer Gelsenkirchener Zechensiedlung, Nachkriegszeit. Hagebuttenstraße 17, die Schlote der Kokerei ganz nah, der Vater war Bergmann, hinterm Haus stand der Verschlag mit den Hühnern. Nachmittags drängelten die Jungs vorm Fenster: „Kommt die Lore runter?“, weil Lore immer die Schnellste war mit dem Ball. Aber Fußball für Frauen und Mädchen war verboten. Die kleine Karlowski tat etwas, was nicht sein durfte, wenn sie über die Pflastersteine dribbelte, flankte und schoss, bis die Dämmerung sich über die Häuserzeilen und Gärten senkte, jeden Tag aufs Neue.

Es waren nicht nur die alten Leute, die auf den Fensterbrettern lehnten, die schimpften, dass ein Mädchen auf der Straße Fußball spielte, die Bälle flinker ins Tor knallte als alle anderen. Die Übriggebliebenen, die den Krieg noch in den Knochen trugen und gegen alles wetterten, was nach Leichtigkeit aussah. Es war nicht nur die Mutter, die mahnte: „Lore, mach dir die Füße nicht kaputt!“

Das Verbot kam von ganz oben.

Vom Deutschen Fußball-Bund, dem DFB, jener mächtigen Instanz, die in Deutschland alles regelt, was mit Fußball zusammenhängt. Auch nach Adolf Hitler hatte sich dieser Verband noch vorgenommen, das Kicken für die Männer zu bewahren.

Lore Karlowski aus Gelsenkirchen machte auf den Bolzplätzen der Umgebung die Dinger rein. Sie drückte sich mit ihren Kumpels am Schaufenster des Elektrogeschäfts die Nase platt, sah auf dem Fernseher die deutsche Elf in Bern siegen, die Sonne spiegelte sich in der Scheibe.

Deutschland war Weltmeister, das Land trat aus dem Schatten der Vergangenheit. Lore zog beim Bauern Runkeln aus dem Acker, trug der Nachbarin Kohleeimer aus dem Keller. Von dem Geld, das sie damit verdiente, kaufte sie Fußballschuhe. Die Schuhe waren schwarz und schwer, vorne mit einer Stahlkappe verstärkt. Lore Karlowski war ein Teenager mit Kurzhaarfrisur, sie lief nur noch in Hosen herum, beim Spielen holte sie sich blutige Knie.

Es half alles nichts.

Die Männer des DFB lehnten Frauenfußball „aus grundsätzlichen und ästhetischen Gründen“ ab. „Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut. Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zuschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand“, begründeten sie ihre Entscheidung. Am 30. Juli 1955 beschlossen sie laut DFB-Jahrbuch einstimmig, „unseren Vereinen nicht zu gestatten, Damenfußball-Abteilungen zu gründen oder Damenfußball-Abteilungen bei sich aufzunehmen“.

Die Männer fanden Ärzte, die halfen, das Verbot zu begründen. Im Jahr 1953 erklärte der Psychologe Fred J. J. Buytendijk in einer Studie: „Im Fußballspiel zeigt sich in spielender Form das Grundschema der männlichen Neigungen und der Wert der männlichen Welt.“ Der Psychologe überlegt: „Das Treten ist wohl spezifisch männlich, ob darum Getretenwerden weiblich ist, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls ist das Nicht-Treten weiblich.“ Schließlich befindet er: „Es ist noch nie gelungen, Frauen Fußball spielen zu lassen.“

Das Grundgesetz hatte nach 1945 die Gleichberechtigung von Mann und Frau festgeschrieben. Die Frauen hatten das Land nach dem Krieg wieder aufgebaut, geschleppt und geschuftet. Sie hatten eine Menge gemacht, was vorher Männern vorbehalten war. Warum sollten sie keinen Ball treten dürfen?

Hannelore Ratzeburg sitzt in der Lobby eines Hotels am Hamburger Messegelände. Eine kleine Frau, 59 Jahre alt, mit kurzem Hals, pinkfarbenem Pullover und praktischer Frisur. Ratzeburg ist die erste Frau, die es ins DFB-Präsidium geschafft hat. Wenn es eine Frau gibt, die sich auskennt mit Männern und Fußball, dann ist sie das. Ohne Ratzeburg gäbe es wohl keine Frauenfußball WM in Deutschland im Juni, keine Bundesliga des Frauenfußballs, keine Champions League. Ratzeburg hat das alles durchgekämpft. Anfang der Siebzigerjahre fing sie in Hamburg-Eimsbüttel an, mit ein paar Freundinnen Fußball zu spielen, sie lief als junge Sozialpädagogikstudentin in Jeans und selbst gestrickten Pullovern in Vereinsheime, setzte sich zu den Männern an die langen Tische, stellte Forderungen.

Zuerst ging es nur um Bälle, Plätze und Trainingszeiten – aber Ratzeburg wollte mehr. Sie war jetzt jeden Tag auf dem Fußballplatz, hörte weg, wenn am Rande von DFB-Versammlungen Sprüche kamen wie: „Geht der Trainer mit euch zum Duschen?“ Sie stellte sich vor volle Männersäle und verlangte Mädchenförderung, Trainerinnenausbildung, einen DFB-Pokal für Frauen, einen Länderpokal, eine Nationalmannschaft. Ratzeburg boxte sich durch die Gremien. Es hat Jahre gedauert. Es wäre auch übertrieben, heute von Gleichstand zu sprechen: Zu einem Champions-League-Spiel der Männer kommen Zehntausende, Millionen sitzen vor dem Fernsehern. Zu einem Champions-League-Spiel der Frauen trotten selten mehr als Tausend ins Stadion. Die Spiele werden nicht oft im Fernsehen übertragen. Trotzdem hat Ratzeburg das Bundesverdienstkreuz bekommen. Sie hat es geschafft.

Die WM ist jetzt fast da. Aber Hannelore Ratzeburg sitzt auf einem schwarzen Lederstuhl in einer kalten Hotellobby und lacht kaum. Wer sich so durchsetzen muss im Leben, hebt sich seine weiche Seite für andere Gelegenheiten auf.

Ratzeburg war noch ein Kind in den Fünfzigern, als der DFB das Fußballverbot für Frauen durchzusetzen versuchte. Die Funktionäre von damals sind alle tot. Aber Ratzeburg kann sich denken, wie es gewesen ist. Sie hat ja erlebt, wie es zuging beim DFB – ohne Frauen.

„Ich glaube, dass das sehr viel damit zu tun hatte, dass die deutschen Männer wie geschlagene Hunde aus dem Krieg zurückgekehrt sind. Mit dem Wirtschaftsaufschwung wollten sie am liebsten die vermeintlich heile Welt wieder aufbauen, wie sie sie vor dem Krieg kannten – zumindest im Privatleben“, so erklärt es sich Ratzeburg. „Dazu passte der Frauenfußball einfach nicht. Wenigstens den Fußball wollten die Männer als letzte Domäne für sich behalten.“

Dann sagt Ratzeburg: „Wenn etwas verboten ist, wird’s trotzdem gemacht. Das ist doch immer so.“ Ihr Gesicht ist ein einziger Vorwurf.

Tatsächlich kicken in der Nachkriegszeit vor allem im Ruhrgebiet immer mehr Frauen auf Äckern, Wiesen, Schulhöfen. Ihr Vorbild sind die benachbarten Niederlande. Mitte der Fünfzigerjahre haben sich dort schon dreizehn Damenfußball-Clubs gegründet.

Auch Lore Karlowski aus der Zechensiedlung in Gelsenkirchen landete mit ihren neuen Fußballschuhen bei einem Verein. Ihr Vetter hatte ihr vom FC Kickers in Essen erzählt. Jetzt warf sie sich zweimal die Woche ihre kleine weiße Tasche mit dem Fußballzeug über die Schulter. Der Weg war weit. Karlowski musste durch die Felder zur Straßenbahnstation laufen, dann dreimal umsteigen. Sie brauchte eine Stunde.

Und immer hagelte es Beschimpfungen. Sie wurden angespuckt. „Was macht ihr Weiber auf dem Sportplatz“, riefen die Zuschauer. „Geht zurück zum Kochtopf!“ „Ihr müsst Kinder gebären, nicht Fußballspielen.“ Aber der Fußball brachte Freiheit. Der FC Kickers hatten fast jedes Wochenende ein Spiel, oft fuhren sie über die Grenze in die Niederlande. Dort gab es nach den Partien Hähnchen und Pommes mit Mayonnaise zu essen. Es gab keine anderen Freizeitangebote, die interessanter gewesen wären.

Den Herren vom DFB passte dieser Wildwuchs nicht. Sie erinnerten ihre Vereine, dass es verboten war, den Frauen Plätze zur Verfügung zu stellen. Sie zogen ihre Fäden.

Jetzt konnte es passieren, dass Karlowski und die anderen mit dem Bus nach Krefeld fuhren. Aber der Fußballplatz war abgeriegelt: Polizei. „Wir hatten Tränen in den Augen“, erinnert sie sich. „Und dann hörten wir nur den Busfahrer: ‚Seid ruhig, wir fahren eine Runde.‘ Dann war die Polizei weg. Und wir stürmten aufs Spielfeld“, knattert sie. Es war auch ein großer Spaß.

„Die Gleichberechtigung schreitet auch in Fußballstiefeln voran“, rief der Radiokommentator

Karlowski arbeitete inzwischen als Näherin in einer Fabrik für Damenkonfektion in Gelsenkirchen. Als Mannequin lief sie auf Modeschauen in Kaufhäusern. Die Warnung ihrer Mutter, dass Fußballspielen die Beine kaputt macht, sollte sich nicht bewahrheiten.

Irgendwann zu dieser Zeit tauchte Willi Ruppert auf. Ruppert war ein hochgewachsener, dunkelhaariger Mann, der wusste wie man Anzüge trägt. Er war Versicherungsvertreter aus Essen. Ruppert kannte das Fußballverbot des DFB. Er bemerkte, dass es viele Frauen gab, die trotzdem Fußball spielten. Er hatte beobachtet, dass zu manchen dieser Frauenspiele tausend und mehr Schaulustige gekommen waren. Ruppert witterte ein Geschäft.

Und dann: Länderspiel!

Im Jahr 1956 gründete er in Essen einen Verein, den Westdeutschen Damen-Fußball-Verband.

Lore Barnhusen erinnert sich, dass einmal nach dem Training ein paar Männer am Spielfeldrand standen. Einer zeigte mit dem Finger auf einzelne Spielerinnen und wählte aus: „Du, du und du bist dabei.“ Der Mann zeigte auch auf Lore Karlowski. Sie war 16, die Jüngste.

Und dann schrien es die Plakate von allen Litfaßsäulen: „Länderspiel Deutschland gegen Holland“. Für das Spiel hatte Willi Ruppert das Mathias-Stinnes-Stadion in Essen-Karnap ausgesucht. Das Stadion gehörte der Zeche, der DFB konnte nicht über die Anlage verfügen.

Am 23. September 1953 hängte sich Lore Karlowski ihre weiße Tasche um, lief den Feldweg zum Stadion. Sie war 16, Fußballspielen war eine nette Beschäftigung, „wat für die Beine und wat für’n Kopp“, fand sie. Was aber an diesem Nachmittag auf sie zukommen würde, damit hatte Karlowski nicht gerechnet.

Im Stinnes-Stadion war die Hölle los. Alle waren gekommen: Männer im Sonntagsanzug, Frauen in Blumenkleidern, Kinder in kurzen Hosen.

Achtzehntausend Zuschauer.

Gesichter konnte Lore Karlowski nicht mehr erkennen, nur eine johlende Masse, die die Ränge flutete, in Trauben übers Geländer hing. Die Leute pfiffen auf zwei Fingern, auf Flaschenhälsen, einer hatte eine große Pauke dabei. Die Luft roch nach Volksfest, nach Bier und Bratwurst, im Stadioncasino standen die Bergwerksbosse mit Zigarre, die Zeche nebenan wie immer im Dauerbetrieb.

Eine große Nervosität kroch Lore Karlowski die Beine hinauf.

In der Umkleidekabine verteilte Willi Ruppert kurze schwarze Hosen und weiße Trikots, Bundesadler auf der Brust. Er selbst trug Anzug, Ruppert trug immer Anzug. Dann rannten sie raus auf den Rasen, sangen die Nationalhymne, schüttelten den Niederländerinnen die Hände. Das Publikum tobte. Sie weiß nicht mehr, wie das Spiel genau abgelaufen ist. In all dieser Aufregung hat sie sich wenig gemerkt. Es ist auch zu lange her. Sie weiß: Der Ball flog in die Kurve, sie hat ihn rübergeflankt zu Lotti, der Mittelstürmerin. Sie alle hatten noch nie zusammen gespielt, aber das war das 1:0, es lief gut. Halbzeitstand: 2:0.

„Die Gleichberechtigung schreitet auch in Fußballstiefeln voran“, jubelte der „Wochenschau“-Reporter. „Wie Herberger Schützlinge zu ihren besten Zeiten, so ziehen die jungen Damen elegant und zu allem entschlossen ihre Kreise.“ Die Niederländerinnen treffen nur einmal. „Mit diesem 2:1 Sieg kommt Deutschlands Fußball endlich wieder zu einem schönen Sieg.“

„Gute Kombinationen“, meldete die Neue Ruhr Zeitung, und „dass die Sportart, die in Deutschland bisher nur Männern vorbehalten war, auch für Frauen durchaus möglich ist.“ 2:1 für Deutschland. Die Angelegenheit war den Herren vom DFB aus den Fingern gerutscht.

Als alles vorbei war, drückte die Frau von Willi Ruppert in der Umkleide jeder Spielerin einen Fünfzigmarkschein in die Hand. Lore Karlowski hatte noch nie einen so großen Schein besessen. Es ist ein winziger Betrag gemessen an dem, was Willi Ruppert eingenommen haben muss.

Karlowski hat sich ihre Tasche geschnappt, ist nach Hause gelaufen. Dunkel legte sich über die Wiesen. Ein guter Tag. Vielleicht der größte in ihrem Leben.

Man kann heute mit Karlowski, die jetzt Barnhusen heißt, noch mal ins Stinnes-Stadion gehen. Der Zaun rostet, auf den Zuschauertreppen wächst Moos, das Sportlerheim ist abgerissen. Es ist trotzdem ein schönes Stadion, hinten ragen die Schornsteine in den Himmel. Es ist der Platz, wo Lore Barnhusen nationale, internationale Bedeutung erlangte. Wo sie wegen der Großartigkeit des Erlebnisses heute noch wächst. Hinauswächst auch über alles, was danach kam, die Ehe mit dem Installateur Ewald Barnhusen, das Leben als Hausfrau und Mutter von drei Söhnen. „Ich werd nervös, wenn ich nur hier stehe“, sagt sie.

Auf die Brüste gucken

Zwei Männer drücken sich auch auf dem Rasen herum. Ewald Barnhusen und ein kleiner Kerl mit kariertem Hemd und wässrigen Augen. Er ist vom Heimatverein Essen-Karnap, als Junge hat er damals das Spiel gesehen: „Alle Jungs waren doch verliebt in die Lore.“ Barnhusen steht wackelig, versinkt mit ihren hohen Schuhen im Gras, grinst schief, am Hals bekommt sie rote Flecken, sie sagt nichts. Ihr Mann, der sie mit seinem silbernen Mazda hierhergefahren hat, weil er derjenige ist, der bei ihnen Auto fährt, steht jetzt irgendwie unnütz an diesem Ort voller Geschichte, der nicht sein Ort ist. Er macht die Augen schmal und starrt in die Bäume. Dann schiebt sie hinterher: „Wahrscheinlich war es schon so, dass viele gekommen sind, um den Frauen auf die Brüste zu gucken.“

Ein kurzer Moment. Dann lacht sie diesen Satz weg mit einem sehr breiten Lachen, das auch das Beschämende dieser Erkenntnis verschluckt. Die beiden Männer lachen mit.

Die Frauen hatten das Land nach dem Krieg wieder aufgebaut, geschleppt, geschuftet. Warum sollten sie keinen Ball treten dürfen?

Barnhusen ist wieder geschrumpft.

Mit dem Fußballspielen war für sie nach dem Spiel im Stinnes-Stadion bald Schluss. Sie haben sich noch ein paar Mal getroffen. Ruppert erzählte von einem Spiel in England. Sie sollten mit dem Flugzeug fliegen. Ein Traum. Aber dann verschwand er. „Da kam einer, der sagte, der Ruppert hätte das ganze Geld genommen und wäre abgehauen“, erzählt Barnhusen. „Hätte seiner Frau ’nen Pelzmantel gekauft. Sei dann weg in den Osten. In die DDR. Dort hat er dann eine Wäscherei aufgemacht.“ Karlowski hörte auf. Ihre Mannschaft traf sich nicht mehr. Andere Vereine waren zu weit weg.

Wie die Sache mit Willi Ruppert sich wirklich abgespielt hat, lässt sich schwer rekonstruieren. Es gab in den Fünfzigerjahren in ganz Deutschland weitere Länderspiele. Einige hat Ruppert organisiert. Das Protokoll einer Vereinssitzung am 17. August 1957 in der Gaststätte Schneider in Essen belegt, dass der „ohne Entschuldigung“ fehlende Willi Ruppert als Vorsitzender des Westdeutschen Damen-Fußball-Verbands abgesetzt wurde. Unklarheit bestand laut Protokoll darüber, wo die etwa 164.000 Mark abgeblieben sind, die der Verband mit Frauenfußballspielen eingenommen hatte. Ruppert machte weiter. Er gründete einen neuen Verein, den Deutschen Damen-Fußball-Bund, und organisierte für den 2. und 3. November 1957 im Berliner Poststadion eine inoffizielle Fußball-Europameisterschaft der Damen. Der Titel „Europameisterschaft“ war ein bisschen übertrieben. Es spielten nur vier Teams: die Niederlande, Österreich, England und Deutschland. Die Herren vom DFB drohten daraufhin in der Berliner Morgenpost: „Die Funktionäre der männlichen Fußballwelt sind verärgert. Die Berliner können wählen – wenn sich der Frauenfußball dort stärker konzentriert, müssen sie eben auf unsere Großveranstaltungen verzichten.“

Ruppert rechnete dennoch mit hohen Zuschauerzahlen. Es kamen nur ein paar Tausend. Hotels und Busunternehmen blieben auf uneingelösten Buchungen sitzen, es gab eine Menge unbezahlter Rechnungen. Wegen „dringenden Verdachts auf Betrug“, berichtet der Tagesspiegel am 13. November 1957, wird gegen die Veranstalter Haftbefehl erlassen. Danach verliert sich Rupperts Spur.

Der DFB jedenfalls war in Sachen Frauenfußball angeschlagen.

„Das kategorische Nein des DFB zum Frauenfußball wäre besser nicht gesprochen worden“, findet der Tagesspiegel am 16. Oktober 1957. „Stattdessen hätte er seinen Vereinen raten sollen, bei Bedarf Frauenfußball-Abteilungen zuzulassen. Ihm wäre dieser Sport nicht entglitten.“

Die Kritik wuchs. Aber erst dreizehn Jahre später, erst im Jahr 1970, hebt der DFB das Verbot auf. In Hamburg beginnt eine langhaarige Sozialpädagogikstudentin namens Hannelore Ratzeburg zu kämpfen auf dem Platz und in den Gremien des DFB. Stürmerlegende Gerd Müller rät Frauen, lieber zu kochen statt zu kicken, der Berliner Hertha-Star Uwe Witt gibt über die Bild-Zeitung bekannt: „Wenn meine Frau spielt: Scheidung!“ Als die Frauennationalelf 1989 den Europameistertitel holt, schenkt der DFB den Spielerinnen ein Kaffeeservice. Heute hofiert DFB-Präsident Theo Zwanziger die deutschen Fußballspielerinnen. Es ist ja WM.

Lore Barnhusen sitzt in ihrer Doppelhaushälfte in Gladbeck: „Immer Küsschen hier, Küsschen da, der Zwanziger! Und wat ham sie uns damals dat Leben schwergemacht!“ Barnhusen hat ihren Mann bei einem Fußballspiel kennengelernt. Ihre drei Söhne haben Fußball gespielt. Sie hat den Ball den Männern überlassen, aber sie hat ihn nicht aus den Augen verloren.

Ihr Wohnzimmer hat sie mit Schalke-Fähnchen, mit Wimpeln und Kissen ausstaffiert. Im Hobbykeller hat sie die Fotos ihrer eigenen Fußballzeit aufgehängt. Wenn Bayern verliert, ist es ein guter Tag, sagt Barnhusen. Wenn Schalke gewinnt, braucht sie drei Jahre kein Weihnachtsgeschenk.

Gladbeck hat eine Mädchenmannschaft, die besucht sie öfter, eben hat sie sich im Stadion das Spiel Duisburg gegen Saarbrücken angeguckt, 1.021 Zuschauer. Ob sie zur Frauenfußball-WM geht?

Ihr Mann fährt dazwischen, er ruft: „Hingehn zu einem Spiel? Nee, das tun wir nicht.“ Er lacht ein bellendes Lachen. Als hätte jemand gerade einen besonders guten Witz gemacht.

 Kirsten Küppers, 38, sonntaz- Autorin, wird in diesem Jahr für ihre Ganze Geschichte „Das wiedergewonnene Gesicht“ mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet. Der prämierte Text: taz.de/gesicht