: Die Fee, die Blumen lecker macht
NASCHWERK Die Lübeckerin Angela Evers kandiert Blüten, um die Menschen zur Besinnung zu bringen. Eine besondere Tinktur ist ihr Geheimrezept. Ihre Erzeugnisse liefert sie mittlerweile bis in die Schweiz und Sterneköche begrüßen sie wie eine Kollegin
VON LEA ZIEROTT
Nie hätte sie gedacht, welche wichtige Rolle das Wetter in ihrem Leben einmal spielen würde. Wenn Angela Evers morgens um sechs aufsteht, schaut sie zuerst aus dem Fenster, ob es nach Regen aussieht. Wenn es schnell gehen muss, rennt sie auch schon mal im Bademantel in ihren Garten, um ihr Arbeitsmaterial für den Tag unversehrt ins Trockene zu bringen.
Angela Evers kandiert Blüten. Mit einer selbst erfundenen Tinktur bepinselt sie Blättchen für Blättchen, bestreut sie mit Zucker und trocknet sie im Ofen. Ein Rezept, mit dem es ihr gelingt Aussehen, Geruch und Geschmack über ein Jahr zu konservieren. Mittlerweile verkaufen Feinkostläden in der Schweiz ihre Blüten und Sterneköche begrüßen sie wie eine Kollegin.
„Es ging mir darum, die Menschen aus dem Wahnsinn da draußen zu holen, damit sie sich auf die Schätze, die ja da sind besinnen“, sagt die Lübeckerin. „Sie sollen verzaubert werden.“ Die Schätze – das sind je nach Jahreszeit Hornveilchen, Flieder, Gänseblümchen und – besonders beliebt – Rosenblätter.
Nachdem ihre Tochter begonnen hatte, Modedesign zu studieren und damit in ihre Fußstapfen trat, entschied sich Evers vor vier Jahren, einen Schnitt zu machen und etwas Neues zu beginnen. Sie wollte etwas schaffen, das sich jeder leisten könnte und das Herz und Sinne öffnen würde. Als sie sich nach ihren Fertigkeiten befragte, kam sie auf ihren Garten, ihre Genussfreude und ihre Fingerfertigkeit. Sie nahm ein bisschen Zeitgeist hinzu und verließ ihr Haus erst wieder, als sie nach einem halben Jahr die Tinktur für ihren Blütenzauber gefunden hatte.
Auf dem Glastisch vor ihr liegt ihr Handwerkszeug: die Tinktur – eine bräunlich trübe Flüssigkeit – daneben eine Schale mit Zucker, ein langer Pinsel und frische Blüten. Ihre Erzeugnisse fanden nicht sofort Anklang: „Am Anfang ging alles sehr zögerlich, da hat mir mein Alter wirklich geholfen, denn man braucht unendliche Geduld“ sagt die 53-Jährige und stellt die kleinen Vasen mit den Hornveilchen aus der Sonne. Jetzt hat sie einen 16 Stunden-Tag und muss sogar Angebote ablehnen. – Hilfe will sie aber auch keine, ihre Waren sollen das Persönliche, ihre Handschrift nicht verlieren. Sie nennt das „die Schwierigkeit klein zu bleiben“.
Ihr weißes Büro liegt in einem kleinen Stadthaus im Herzen der Lübecker Altstadt. Die liebevollen Verzierungen der Fassade geben einen Vorgeschmack von Evers‘ Arbeit. Die kleine Manufaktur hat etwas von einer großzügigen Dachkammer und ist auf den ersten Blick spärlich eingerichtet. In Regalen warten fertig präparierte Blüten darauf, verschickt zu werden, in den zwei Räumen steht jeweils ein Glastisch. Auf dem einem liegen die fertigen Blüten noch unverpackt, auf dem anderen warten die frischen. Ein Duft, als würde man sich im Garten befinden, durchströmt die Räume. Was fehlt, ist das kreative Chaos, das man von einer Manufaktur erwartet. Beim genaueren Hinschauen aber passt die schlichte Klarheit der Einrichtung sehr gut zur Zartheit der Blüten, die sonst Gefahr liefen unterzugehen.
Lässt man sich eine von Angela Evers Blüten langsam im Mund zergehen, versteht man, was sie meint, wenn sie davon spricht, dass das Große das Kleine sei. Zuerst ist es nur die Zuckerhülle, die knackend im Mund zerfällt, dann entfaltet sich nach und nach der Geschmack in einer Intensität, die überrascht.
Obwohl Angela Evers die Schöpferin in ihrem kleinen Reich ist, bezeichnet sie ihre Manufaktur „Evers und Tochter“ als Familienunternehmen, zu dem jeder seinen Teil beitrage. Ihre Tochter liefert die verlässliche „Manöverkritik“ und ihr Vater überwacht den Wetterbericht und die Raumtemperatur.
Wenn Evers an ihrem Schreibtisch sitzt, Symphonien hört und ihre Blüten bepinselt, hat sie ihren Garten stets im Blick. Hier macht sie sich Gedanken über neue Projekte, wie eine Schokoladenreihe mit Blütengeschmack, die es seit Anfang des Jahres gibt. Für die Blütenmeisterin ist ihre Arbeit ein Hochgenuss: „Ich will hier noch sitzen und pinseln wenn ich alt bin“, sagt sie.