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Archiv-Artikel

Bundesregierung will kleine Gewerkschaften entmachten

ARBEITSRECHT Pro Betrieb soll nur ein Tarifvertrag gelten. Spartengewerkschaften wären ausgebootet

Das Projekt Tarifeinheit wird vermutlich letztlich scheitern

FREIBURG taz | Die Bundesregierung plant ein Gesetz, mit dem Kleingewerkschaften entmachtet werden sollen. Noch in diesem Herbst will Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) einen entsprechenden Gesetzentwurf zur sogenannten Tarifeinheit vorlegen. Möglicherweise wird das Gesetz aber nie zustandekommen, weil die Widerstände und die damit verbundenen Probleme zu groß sind.

Tarifeinheit bedeutet, dass pro Betrieb nur ein Tarifvertrag gilt. Das soll den Personalabteilungen die Arbeit erleichtern. Vor allem aber soll es verhindern, dass ständig eine andere Gewerkschaft für „ihren“ Tarifvertrag streikt und das Unternehmen dadurch nicht zur Ruhe kommt. Das Gesetz zielt auf Spartengewerkschaften wie die GDL (Lokomotivführer), Cockpit (Piloten) und den Marburger Bund (Krankenhausärzte) ab.

Geplant ist eine Regelung, nach der stets der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft gilt, die die meisten Mitglieder im jeweiligen Betrieb hat. Im Einzelfall könne das auch eine Kleingewerkschaft sein. Auf die Details des Gesetzes wird mit Spannung gewartet.

Die Tarifeinheit ist kein neuer Vorschlag. In Deutschland galt sie seit einer Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts im Jahr 1957. Sie war unter Rechtswissenschaftlern aber immer umstritten. Viele halten sie für verfassungswidrig, weil sie die im Grundgesetz garantierte Freiheit, sich in Gewerkschaften zu organisieren und Tarifverträge anzustreben, verletze. Andere Experten fanden, dass ein derart massiver Einschnitt jedenfalls nicht per Richterrecht, sondern nur per Gesetz legitimiert werden kann. Dieser Position schloss sich 2010 das Bundesarbeitsgericht (BAG) an. Seither gilt in Deutschland das Prinzip der Tarifeinheit nicht mehr.

DGB und Arbeitgeber forderten allerdings nach dem BAG-Urteil eine gesetzliche Einführung der Tarifeinheit. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition ist die Tarifeinheit als Projekt enthalten, weshalb Ministerin Nahles bald liefern muss.

Das Projekt Tarifeinheit wird aber vermutlich letztlich scheitern. So hat sich der DGB auf Druck der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di bereits aus dem Bündnis für die Tarifeinheit verabschiedet. Ver.di lehnt staatliche Eingriffe ins Streikrecht generell ab. Die CDU-Fraktion verhinderte im April eine Befassung von Eckpunkten im Kabinett. Immerhin ist der Chef des Marburger Bundes CDU-Abgeordneter.

Alle Beteiligten fürchten, dass ein Gesetz vom Bundesverfassungsgericht gestoppt werden könnte. Jedenfalls würden die betroffenen Spartengewerkschaften, die um ihre Existenz fürchten, gegen ein entsprechendes Gesetz klagen und es bestünde eine jahrelange Rechtsunsicherheit. In dieser Zeit würden alle Gewerkschaften versuchen, ihre Position gegenüber der Konkurrenz zu verbessern, was erst recht zu einem Überbietungswettbewerb führen könnte.

Trotz des GDL-Konflikts ist der Handlungsdruck nicht allzu groß. So ist die Zahl der Streiktage seit 2010 sogar deutlich niedriger als in den Jahrzehnten mit Tarifeinheit. Auch arbeitgebernahe Juristen empfehlen inzwischen, das Projekt Tarifeinheit aufzugeben und stattdessen das Streikrecht generell zu beschränken, insbesondere in Unternehmen der „Daseinsvorsorge“ wie bei der Bahn. CHRISTIAN RATH