: Die Umverteilung von unten nach ganz unten
Zwei Jahre nach der Einführung der Hartz-IV-Reformen zieht das Berliner Sozialforum mit einer Konferenz Bilanz
Hartz IV verteilt Einkommen um – und zwar unter den ärmsten Haushalten: Rund 60 Prozent verlieren, 40 Prozent gewinnen. Das ist das Ergebnis einer Studie, der Hans-Böckler-Stiftung. Der Verlierergruppe steht nach den Hartz-IV-Reformen ein Fünftel weniger Geld zur Verfügung. Dabei wirkt sich vor allem negativ aus, dass Partnereinkommen verschärft angerechnet werden.
„Hartz IV ist eine Verteilung von unten nach ganz unten“, sagt Rudolf Martens vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband (DPWV). Er sitzt auf dem Podium der Konferenz „Hartz IV – eine Bilanz. Zwei Jahre Entrechtung, Entmündigung und Prekarisierung“, die das Berliner Sozialforum heute in Kreuzberg veranstaltet. Gemeinsam mit Erwerbslosengruppen, Attac und dem Aktionsbündnis Sozialproteste wollen die InitiatorInnen die Folgen des gesellschaftlichen Umbaus verdeutlichen, der mit der Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 begann. Wie 1-Euro-Jobs den Arbeitsmarkt beeinflussen. Wie die Kürzungen von Regelleistungen Kinderarmut bedingen. Wie die sich öffnende soziale Schere eine Entsolidarisierung in der Gesellschaft bewirkt.
„Etwa 30 Prozent der Berliner Haushalte lebten 2005 von Hartz-IV-Leistungen“, erläutert Martens. Für 2006 erwartet der Paritätische Wohlfahrtsverband eine Steigerung auf 33 Prozent. Die Zahlen verweisen vor allem auf das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit. Wer nach einem Jahr Arbeitslosengeld I, das sich am letzten Verdienst errechnet, nicht wieder eine Arbeit gefunden hat, muss hinfort auf Sozialhilfeniveau leben.
Noch liegen keine Mikrodaten des Statistischen Bundesamtes über die Haushaltseinkommen im Jahr 2005 vor. Sie werden zeigen, ob die Szenarien der Sozialverbände auch in der offiziellen Datenerhebung Niederschlag finden. 2004 jedenfalls war jeder Achte in Deutschland arm oder lebte an der Grenze zur Armut. Darunter waren rund 1,7 Millionen Kinder unter 16 Jahren.
Auswirkungen hat der Sozialumbau nicht nur auf den Mikrokosmos der Familien. Armut wird in die Gesellschaft getragen. An den Schulen müssen LehrerInnen immer stärker die Rolle von ErzieherInnen übernehmen. Ganze Stadtteile geraten durch Hartz IV in Bewegung, wie der Sozialwissenschaftler Andrej Holm auf der Konferenz ausführen wird: Bezirke wie Prenzlauer Berg und Friedrichshain mit viel renoviertem Altbaubestand sind für Hartz-IV-Empfänger nicht mehr verfügbar, da die Mieten inzwischen fast immer über dem Regelsatz für Mietzuschüsse liegen. Die Mieten im ehemaligen sozialen Wohnungsbau liegen laut Holm noch unter den Regelsätzen. Das könne sich aber schnell ändern, wenn eintritt, worauf die Immobilieneigentümer spekulieren: dass der Mietspiegel steigt.
Der Regelsatz von 345 Euro für erwachsene Hartz-IV-Empfänger liegt nach Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes etwa 20 Prozent unter dem durchschnittlichen Bedarf. Wer nach Strategien gegen zunehmende Armut sucht, komme nicht umhin, einen angemessenen Satz zu fordern, sagt Rudolf Martens. WALTRAUD SCHWAB
Samstag, 3. März, von 11.55 bis 18 Uhr in der Heilig-Kreuz-Kirche, Zossener Str. 65, Kreuzberg. Informationen unter www.sozialforum-berlin.de