: Grüne Einöde
PARKS Eigentlich ist der Tiergarten schön. Und trotzdem ziemlich leer. Und ein bisschen langweilig. Warum eigentlich?
VON CLAUDIUS PRÖSSER
Das Wasser im Goldfischteich steht still. Kein Lüftchen regt sich, Wasservögel sind nicht zu sehen. Nur wenige Bänke rund um das Bassin sind besetzt, hier liest einer Zeitung, dort studieren zwei den Stadtplan. Zwischen den Bäumen steht einer mit runtergelassener Hose. Viel mehr passiert hier nicht, an einem ganz normalen Herbstnachmittag im Tiergarten.
Theoretisch sind die Hauptstädter stolz auf das große Grün in ihrer Mitte. „Was dem New Yorker der Central Park und dem Londoner der Hyde Park, ist dem Berliner der Tiergarten“, verkündet die landeseigene Tourismusagentur Visitberlin auf ihrer Website. Und ansehnlich ist er ja – mit seinem dichten Baumbestand, seinen Wiesen, Wasserläufen, Denkmälern.
Aber wer Hyde und Central Park kennt, kennt den Unterschied: Es sind nicht nur grüne, sondern auch sehr lebendige Orte. Orte, an denen die Stadt zu sich selbst findet, an denen man sich verabredet. Im Vergleich dazu ist der Tiergarten eher ein Transitraum. Jogger drehen ihre Runden, Radfahrer flitzen durch. Von den sechs- und achtspurigen Verkehrsachsen, die den Park zerschneiden, ganz zu schweigen.
Ist das vielleicht ein Grund dafür, dass die Wiesen und Wege so leer sind? Das Gefühl, immer irgendwie auf eine Straße zuzulaufen, herauszugehen, obwohl man doch gerade hineingegangen ist? Manche beklagen, dass der Lärm der Stadt hier nie richtig verstummt. Andere vermissen Strukturen: Der Tiergarten mag Berlins grüne Lunge sein, aber: Wo schlägt sein Herz? Wo sind die Cafés, die Bouleplätze? Und wo ist, bitteschön, der Haupteingang?
Andere Berliner Grünanlagen leiden nicht unter fehlender Aufmerksamkeit. Im Gegenteil: Görlitzer Park und Mauerpark ächzen unter den Massen. Der neue Park auf dem Gleisdreieck hatte schon kurz nach der Eröffnung viele Fans. Und das Tempelhofer Feld ist zum neuen „Korso“ geworden, über den die Metropolenbewohner flanieren, wie ein Autor unlängst schrieb.
Sie alle haben ein Image, wenn auch manche ein schwieriges. Der Tiergarten hat vor allem Tradition. Die Berliner haben ihn sehr geliebt: Seine Zerstörung sei „die schmerzlichste Wunde, die der Krieg dem Angesicht unserer Stadt zugefügt hat“, sagte Ernst Reuter 1949, bevor es an die Wiederaufforstung ging. Eine Liebesbeziehung, die eingeschlafen zu sein scheint. Die Berliner sind keine Traditionsmenschen mehr. Sie wollen etwas erleben. Aber im Tiergarten gibt es nicht viel zu erleben, vom Fanmeilen- und Silvester-Rummel auf dem 17. Juni einmal abgesehen. Mit dem Park hat der wenig zu tun.
Was also bräuchte der Tiergarten: Mehr Stille? Mehr Blumen? Mehr Bistros? Mehr Skaterbahnen? Besseres Wetter kann niemand herbeizaubern, dicht besiedelte, lebendige Kieze in der Nachbarschaft auch nicht. Aber ist dieser Park nicht groß genug, um seine eigene Schwerkraft zu entwickeln?
Auch im Rosengarten ist man fast allein. Zwei Frauen schieben ihre Fahrräder. Hat der Tiergarten für sie eine besondere Bedeutung? Schulterzucken. Und warum kommen die beiden ausgerechnet hierher? „Meine Freundin wohnt im Norden und ich im Süden“, sagt die eine und lacht. „Da treffen wir uns eben in der Mitte.“
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