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Archiv-Artikel

Was vom Spieltag übrig bliebVom Alltag erschlagen

Am Samstag endet die Bundesliga-Saison. Was hat die Spielzeit gebracht? Was wird von ihr bleiben? Fünf Thesen und Analysen zum Spiel mit dem Ball, getragen von der Sorge um das Wohl der Liga und der Frage: Ist posttriumphale Depression heilbar?

Herzensweltmeister werden ist eine schöne Sache. Aber: anstrengend („Dieser Weg wird kein leichter sein“). Außer von Xavier Naidoo auch erschlagen durch die Dauerbeschallung ihres damaligen Chef-Motivators Klinsmann („Wir lassen uns das von niemandem nehmen, schon gar nicht von Polen“), sind die drittplatzierten Helden der WM 2006 in der Folgesaison in sich zusammengesunken. Posttriumphale Depression womöglich oder Ziellosigkeit angesichts der Kleinheit der Alltagsaufgaben. Bilanzieren wir einmal die Saison der Spieler, die im Viertelfinale gegen Argentinien aufliefen:

Jens Lehmann: Da kein Premier-League-Spiel ins Elfmeterschießen geht, muss er nun um seinen Stammplatz bei Arsenal kämpfen. Ohne Zettel.

Arne Friedrich: ist immer noch ein dolles Talent der Berliner Schule. Da erreicht man gern mal mit langem Anlauf erstaunlich wenig.

Per Mertesacker: sehr viel verletzt, und das in Bremen. Spaß ist was anderes.

Christoph Metzelder: auch viel verletzt, Formkurve aber steigend: gab als Dortmunder die entscheidende Flanke zur Torpedierung der Schalker Meisterschaft; künftig Real-Reservist in Madrid.

Philipp Lahm: Ja, wo lief er denn, der Duracell-Hase?

Bernd Schneider: Der lief und lief und lief wirklich – und schoss sogar Tore. Und wo endet das? Mit Bayer im Uefa-Cup. Komische Welt.

Torsten Frings: Die Haare wuchsen, er flirtete mit anderen alten Tanten, aber keine ist wie Bremen.

Michael Ballack: Chelsea sucht noch seine Größe, Bayern vermisst sie.

Bastian Schweinsteiger: eine Saison mit Zeckenbissen, Würstchen und Boutiqueneröffnungen – aber ohne Michi, ohne Freundin, ohne Titel. Voll blöd.

Miroslav Klose: Nichts Genaues weiß man nicht.

Lukas Podolski: Ist noch am Lernen, ein Rekordmeistervereinsspieler zu sein. Ausgang offen.

Fazit: Der Weg zurück in den Ligaalltag ist noch steiniger als der Weg zu Herzens- oder anderen Titeln. Was jetzt alle brauchen, ist ein fauler Sommerurlaub. Außer Schneider, der braucht nie Urlaub. Wenn er Urlaub hat, kickt er mit englischen Touristen auf der Wiese. Da er letztes Jahr nicht Weltmeister geworden ist, erkennen die ihn nach wie vor nicht. Glück gehabt. KATRIN WEBER-KLÜVER

Fehler im Sytem

Den besten Fußball in dieser Saison? Spielte Werder Bremen – aber nur ein halbes Jahr lang. Der VfB Stuttgart? Quälte sich in der Hinrunde zu oft. Bayern München? Ging gar nicht. Schalke 04? War mehr Arbeit als Vergnügen. Ergo: Das Nationalteam war bei seinen Auftritten das Vorbild an Konstanz und Klasse. Und das auch in taktischer Hinsicht.

Joachim Löw hat sein bevorzugtes 4:4:2-System dabei weiter verfeinert, mit zwei defensiven Mittelfeldspielern (Torsten Frings und Michael Ballack) als Schlüsselfiguren, die Abräumer und Antreiber in Personalunion bilden. Umschaltspieler heißt das im technokratischen Fußball-Deutsch. Davor sind zwei Spitzen für Löw Pflicht, um den Forderungen nach offensivem Fußball bei defensiver Stabilität Nachdruck zu verleihen. Dummerweise hat sich dies die Liga in den wenigsten Fällen zum Vorbild genommen. Aus der seligen WM wirkte vor allem das italienische oder französische Auftreten nach – gut sortierte Abwehr- und Mittelfeldreihen, extrem verdichtet, nur eine Spitze. Das sieht meist fürchterlich aus, bringt aber oft genug Erfolg. So etwa stümperte sich Eintracht Frankfurt durch die Liga – und wird nun mit dem Klassenerhalt belohnt. Die unattraktive Spielweise der Hessen war nur ein Beispiel von vielen. Und der Grund dafür, dass sich viele Mannschaften auswärts leichter tun als zu Hause. Wenn die Frankfurter das Spiel machen sollten, fiel ihnen so wenig ein, dass der Zuschauerschnitt von mehr als 47.000 Besuchern an allem liegen mag, nur nicht an der Qualität des Spiels.

Das Gros der Klubs war in einer erschreckenden Ideenarmut gefangen: ohne individuelle Momente, ohne Ideen und Inspirationen. Wozu das führte? Der Hamburger SV und Hannover 96 holten sogar in der Fremde mehr Punkte als im eigenen Stadion – eine befremdende Tatsache. Diese war aus technisch-taktischer Sicht ein Schritt – zurück.

FRANK HELLMANN

Jaaaanz ruhig

Der VfB Stuttgart steht vor der Meisterschaft. Das ist eine Sensation. Aber auch ganz einfach erklärlich – und zur Nachahmung für ambitionierte Kontrahenten empfohlen. Denn Stuttgart, das Außenseiter-Team, beging einen Fehler nicht, den alle anderen machten. Sie hatten Ruhe während mindestens 30 Spieltagen. Als die Diskussionen um Armin Veh und dessen Verweildauer zu Saisonbeginn abgeflaut waren, präsentiere sich Stuttgarts Team einträchtig wie Klosterschüler auf Pilgerfahrt. Es gab keine Personaldiskussionen, keine Zerwürfnisse und keinerlei Vertragspokereien.

Von alldem hatten Schalke und Bremen wahlweise reichlich. Und die Bayern sowieso. Schalke erlegte sich ein Schweigegelöbnis gegenüber den Medien auf, die bekanntlich an allem schuld waren, als es nicht gut lief. Bayern entließ Felix Magath und schlitterte prompt in die Krise, deren Vermeidung Magaths Rauswurf dienen sollte. Bremen ließ sich, als es brenzlig wurde, von den Störmanövern der Bayern irritieren, anstatt Miroslav Klose einfach ersatzlos aus dem Kader zu werfen und ihn gegen eine exorbitante Ablösesumme, die die Bayern bereit gewesen wären an Werder zu überweisen, ziehen zu lassen.

Das Erfolgsgeheimnis ist also nicht die taktische Revolution samt deren konsequenter Anwendung noch eine herausragende Transferpolitik oder schlicht und einfach der Triumph desjenigen, der das meiste Geld hat. Es liegt im Betriebsklima eines Spitzenteams, dass sich seine Fachkräfte gern aus dem eigenen Nachwuchs holt. Daraus könnte vielleicht die Erkenntnis resultieren, dass man sich einen Trainer suchen sollte, der einigermaßen zum Klub passt. Hannover hat es ganz ähnlich gemacht mit Dieter Hecking – und ist damit gut gefahren. Der mutmaßliche Meister der Saison 2006/2007, der nun zum Rollenmodell für den abgehängten Rest avancieren dürfte, ist keiner des überlegenen Fußballs. Er wäre schlicht einer, der seine Kraft aus der Ruhe schöpfte. Braucht eigentlich irgendjemand mehr Belege, dass der VfB alles andere als ein prickelnder Klub ist?

STEFAN OSTERHAUS

Alles wie gehabt

Am 15. Februar wurde er dann doch entlassen. Der Hamburger SV hatte in 19 Spielen magere 15 Punkte geholt. Thomas Doll musste gehen. Es war ein später Entschluss. Man glaube an Doll, haben die Verantwortlichen lange gesagt. Zum Ende der Hinrunde, der HSV dümpelte am Tabellenende herum, staunte manch Ligabeobachter nicht schlecht über eine neue Kultur im deutschen Fußball, die Kultur der Trainerweiterbeschäftigung trotz zwischenzeitlichem Misserfolg.

Am Ende der Saison spricht davon keiner mehr. Zehn Trainer sind im Laufe der Spielzeit ersetzt worden. Wolfsburgs Klaus Augenthaler wird wohl zum Ende der Saison auch gehen müssen. Von einer neuen Kultur ist rein gar nichts mehr zu spüren. Der HSV hat die Liga gehalten, Dortmund und Bielefeld, die gleich drei Trainer benötigt haben, ebenfalls. Sie können nun sagen: Es war richtig.

Und was hat sich nun verändert durch die Trainerwechsel? Haben sie eine neue Spielkultur in die Clubs gebracht? Haben die Trainer Ideen einbringen können? Haben sie überhaupt eine Idee vorgefunden? Ottmar Hitzfeld hat bei den Bayern von Felix Magath ein Team übernommen, das sicherlich gut besetzt war. Ein System Felix hat er nicht vorgefunden und sich überlegt, wie er die Spieler, die ihm zur Verfügung standen, am besten einsetzen kann. Einmal hatte er einen Gedankenblitz. Hasan Salihamidzic hat den alternden Roberto Carlos von Real Madrid derart irritiert, dass die Bayern plötzlich im Viertelfinale der Champions League standen. Aber das System Hitzfeld, das hat es bis dato nicht gegeben.

Die Bremer Raute war eine Erfindung von Thomas Schaaf. Hinter der Stuttgarter Raute steckt eine ähnliche Idee, und Nürnberg darf nächstes Jahr auch deshalb im Uefa-Cup spielen, weil Hans Meyer ein deutsches 4-3-3-System entwickelt hat. Viel mehr als Ansätze gibt es in den anderen Klubs meist nicht. Auch deshalb sind die Trainer so leicht ersetzbar.

ANDREAS RÜTTENAUER

Pott der Angst

Liegt ja auf der Hand: Die Bundesliga muss besser werden. Die Spanier, Engländer und Italiener machen die internationalen Titel unter sich aus. Der FC Sevilla hat sich am Mittwoch wieder mal den Uefa-Pokal gesichert. Im Champions-League-Finale stehen sich die Mannschaften des AC Mailand und FC Liverpool gegenüber – und freuen sich auf das Treffen wie alte Bekannte. Und die deutsche Liga? Wird von Sportskameraden aus Rumänien und Portugal in der Uefa-Wertung hart bedrängt. Es scheint nur noch um Besitzstandswahrung zu gehen, weniger um Pötte und Visionen.

Die Liga mag in dieser Saison so viele Fans angelockt haben wie selten, aber sie verspricht nur Attraktionen auf dem regionalen Rummelplatz. Die Binnenperspektive ist großartig, der Tunnelblick scharf wie nie. Wagen sich die Bundesligaklubs aber über die Grenze, verlassen sie die geschützte Spielstätte Bundesliga, dann erschrecken sie mitunter vorm Ausmaß europäischer Fußballdimensionen, dann ängstigen sie sich vor den Schnellspielern von der Insel und den Zauberfüßen vom Mittelmeer.

Der FC Bayern die Lösung. Der frisch gebackene Uefa-Cup-Aspirant liebäugelt mit einem Ausscheren aus dem deutschen Solidarsystem, um so zu werden wie die Präzeptoren jenseits der Alpen. Am liebsten würden die Bayern jegliche Fernsehrechte selbst verkaufen und nicht im Paket. Anderswo ist das längst üblich. Real Madrid hat die Rechte an bewegten Bildern für 1,1 Milliarden Euro verkauft; der Vertrag ist gültig bis 2013. Der FC Bayern erblasst vor Neid angesichts solcher Zahlen. Anderswo stecken Milliardäre Millionen in die Klubs ihrer Wahl. Doch hier sind keine Abramowitschs in Sicht. Verzerrt das Gebaren der Geldsäcke nicht den Wettbewerb? Natürlich. Im Fußball funktioniert viel übers Geld, aber beileibe nicht alles. Einiges kann über clevere Transferpolitik, ein gutes Vereinsklima und Mannschaftsgeist ausgeglichen werden. Klingt altmodisch, aber hier liegt die Chance der Bundesliga.

MARKUS VÖLKER