Riesenspielzeug für Riesengeld

KUNSTMARKT Die Frieze Art Fair und Frieze Masters in London zeigen, wie man Geld stilvoll ausgibt

VON BRIGITTE WERNEBURG

Eine leere Wand für 120.000 Euro. Das gibt’s nur auf der Frieze Art Fair in London. Wer hat noch nicht? Wer will noch mehr? Selbstverständlich wird die Wand den eigenen Wohnverhältnissen entsprechend größer oder kleiner angepasst! Ganz leer ist die Wand nämlich nicht, mit der die Berliner Galerie Eigen + Art in der britischen Hauptstadt ihre Messekoje bestückt hat. Im grellen Messelicht sind die zarten Umrisslinien nur nicht gleich zu erkennen, die wie leere Bilderrahmen seltsam dicht aneinander und übereinander angebracht wurden.

Olaf Nicolai hat sie den Fenstern abgenommen, die der griechische Komponist Iannis Xenakis in den 1950er Jahren für die Kirche Sainte-Marie de la Tourette von Le Corbusier entworfen hat. Er schrieb zu dieser Zeit „Metastaesis“, sein erstes Musikstück, das auf einem stochastischen mathematischen Verfahren beruhte. Analog folgten auch die Form und die Anordnung seiner Fenster einem mathematischen Prinzip, dem Corbusiers Modulor, sein spezielles Proportionssystem, zugrunde lag.

Xenakis betonte immer die Bedeutung des Modulors für seine Musik und definierte Architektur denn auch als Stein gewordene Musik. Olaf Nicolai dreht diese Idee nun um. In seinen „Probestücken“ 1 bis 3 singen die Sopranistin Truike van der Poel und die Countertenöre Tobias Schlierf und Daniel Gloger die Fenster von Sainte-Marie de la Tourette, deren Anordnung sie wie eine Notenschrift begreifen. Wie wahrscheinlich ist es, dass die Wandbemalung samt iPad mit der zugehörigen Musik, dass also Olaf Nicolais komplexes, reizvolles Konzeptkunstwerk schnell erste begeisterte Käufer findet?

Und wie wahrscheinlich ist es, dass auch nur einer der vielen Schätze der 1950er und 1960er Jahre, mit denen die New Yorker Galerie Helly Nahmad Wand und Boden vollgepackt hat, einen Käufer findet? Ihre als romantisches Gesamtkunstwerks gestaltete Koje zeichnet in der Abfolge von Schlaf- und Wohnzimmer, Küche und Bad ein ideales Bild des Sammlers als besonders liebenswürdigen Messies. Schließlich findet sich bei ihm der 1951er Guss von Giacomettis „Trois hommes qui marchent I“ (1948/49) irgendwo zwischen den Zeitschriftenstapeln von Life und L’oeil verkruschtelt. „The Collector“ ist der am sorgfältigsten durchdachte und am präzisesten, wenn auch nicht konsumfreundlichsten gestaltete Messestand der Frieze Masters. Diesen Messeableger mit älterer und alter Kunst wie etwa – passend zur großen Retrospektive in der National Gallery – Rembrandts „Porträt eines Mannes“ für 48 Millionen Dollar hat sich die Frieze Art Fair vor zwei Jahren zugelegt. Sie will damit nicht nur diesen Markt auch noch bedienen, sie will sein Feuer neuerlich entfachen – mithilfe des Schwungs und Elans der nur 15 Gehminuten entfernten zeitgenössischen Kunst.

Erneut wachsender Umsatz

Man muss sich die Frieze leisten können, als Verkäufer nicht weniger denn als Käufer. Von Letzteren können es immer mehr. Als die Frieze 2003 ins Leben gerufen wurden, setzten Christie’s und Sotheby’s, die zeitgleich ihre großen Abendauktionen veranstalten, gemeinsam rund zehn Millionen Pfund um. Dieses Jahr geht man davon aus, dass allein Christie’s bei vier Aufrufen Kunst im Wert von bis zu 150 Millionen Pfund verauktionieren wird. Auch bei der zwölften Ausgabe der Frieze werden die Umsätze noch einmal zulegen. Allerdings gibt die Messe grundsätzliche keine Zahlen bekannt, da die Galerien sich weigern, über ihrer Verkäufe Auskunft zu geben.

Aus Gründen der Risikominimierung sind auf der Masters dann auch viel zu viele Heilige und viel zu wenig Frauen zu sehen. Die paar immerhin, die es in der von Adriano Pedrosa kuratierten Sonderschau „Spotlight“ zu sehen gibt, sind wenigstens ganz und gar unheilig wie die feministischen Künstlerinnen Hannah Wilke, Jo Spence und Sue William. Oder sie sind echte Entdeckungen wie die frühe Minimalistin Rosemarie Castoro, deren 1962 begonnene Werkserie „Inventory“ – Zeichnungen und Malereien, die auf einem numerischen System beruhen – die Galerie Broadway 1602 aus New York nun in London vorstellt. Ähnlich erfährt die 1928 in Havanna geborene Zilia Sánchez mit ihren skulpturalen Gemälden, die geradezu organisch aus der Wand herauszuwachsen scheinen, späte Wertschätzung. Die kubanische Künstlerin wird von der Galerie Lelong, New York, vertreten.

Bei den Zeitgenossen kann verständlicherweise von Heiligen nicht die Rede sein. Weniger oder gar nicht verständlich ist, dass hier aber auch von Künstlerinnen kaum die Rede ist. Deswegen müssen die Männer nun die Kinderzimmer einrichten wie Carsten Höller bei Gagosian. Kaum vorstellbar, dass man die armen Kleinen mit langweiligerem Zeug beglücken kann als mit seinem Riesenwürfel, Riesenoktopus und Riesenfliegenpilz. Es ist eben nur Riesenspielzeug für Riesengeld.

Wenig aufregend, weil doch stark mit dem bereits Bekannten und Durchgesetzten bestückt, geht es auch bei den anderen Galerien zu: ein Eindruck freilich, der über die Dokumentation der Messe nicht nachvollziehbar ist. Da der Katalog nicht die Galerien, sondern die gezeigten Künstler alphabetisch auflistet und vorstellt, werden sie auf eine Weise als gleichrangig präsentiert, die die Wirklichkeit Lügen straft. Gleichzeitig beeindruckt die Frieze doch mit einer ganzen Reihe kuratierter und beauftragter Projekte, bei denen die kommerzielle Messe mit den Kunstinstitutionen des Landes wie dem National Trust oder dem Northern Ballet aus Leeds zusammenarbeitet. Aber auch mit einem Unternehmen wie BMW, das gerade seine langjährige Zusammenarbeit mit der Frieze London, der Frieze Masters und der Frieze New York um drei Jahre verlängert hat.

In den vom München Autobauer gestellten VIP-Shuttles wird Frieze Sounds präsentiert. Cecilia Alemani verantwortet das Programm, das Klanginstallationen der drei Künstlerinnen Keren Cytter, Cally Spooner und Hannah Weinberger online streamt. Auch die von BMW gesponserten „Performance Rooms“ der Tate Modern sind Aufführungen, die ausschließlich für Liveübertragungen im Internet erarbeitet werden. Catherine Wood, die als Kuratorin bei der Tate Modern für Performance zuständig ist, diskutiert auf der Frieze dann mit Jérôme Bel, der von der Messe mit seinem Disabled Theater nach London eingeladen wurde. Er arbeitet mit dem Theater Hora aus Zürich zusammen, einem Kollektiv geistig behinderter Schauspieler, die bei ihm sich selbst darstellen, in aller katastrophalen bis wundersam berückenden Konsequenz.

Leitmotiv Performance

Dass die Performance als Frieze Live nun ein eigenes, von Nicola Lees kuratiertes Messeprogramm ist, bedeutet auch, dass das Genre die längste Zeit als experimentell gelten durfte und jetzt Teil des kommerziellen Geschehens ist. Das pinkfarbene Ausrufezeichen hinter diese Behauptung der Frieze London setzen die jungen, durch ihre grellfarbene Kopfbedeckung miteinander verbundenen Leute, die herumstreunen. Sie führen James Lee Byars’ Performance von 1969 „Ten in a Hat“ wieder auf. Der lange Seidenschal, der zehnmal zu einem Hut gewickelt wurde, ist eine Replik. Für 300.000 Pfund gibt es den Originalhut, die Kopie und die Aufführungsrechte bei der Galerie VeneKlasen/Werner, New York.