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Archiv-Artikel

Die Melonenrepublik

USBEKISTAN Seidenstraße, Moscheen, Minarette und Wodka, die Wüste Kysylkum, und über alldem steht ein Diktator – ein längst untergegangenes Märchenland aus 1001 Nacht

Reisetipps

■ Veranstalter: SKR Reisen bietet eine 10-tägige Rundreise durch Usbekistan an, www.skr.de. Bildungsreisen nach Usbekistan gibt es auch bei: Studiosos, Advantour, Schulz Aktiv Reisen

■ Flug: Dreimal wöchentlich Direktflug von Frankfurt nach Taschkent mit Uzbekistan Airways.

■ Essen: Nationalgericht Plov: Reisgericht mit Hammelfleisch und Gemüse. Wer keinen Koriander mag, hat ein Problem. In nahezu jedem Gericht befindet sich das moschusartige, seifige Aroma jenes Gewürzes.

■ Trinken: Sogar Zähneputzen nur mit gekauften Wasserflaschen, ansonsten gibt es heftige Magen-Darm-Probleme. Ebenso hilft Wodka gegen Verdauungsschwierigkeiten. Der Wodka in Usbekistan ist gut und billig.

■ U-Bahn: Ein Ticket kostet nur 1.000 Sum, umgerechnet 30 Cent. Die Fahrt in der Taschkenter Metro ist ein Erlebnis: Jede Station wurde nach dem Vorbild der Moskauer Metro individuell gestaltet.

   ■ Diese Reise wurde durch SKR Reisen unterstützt.

VON ALEM GRABOVAC

Der Antrag auf das Visum ist ausgefüllt, die Gebühren von 70 Euro sind überwiesen. Ich stehe in der Warteschlange der usbekischen Botschaft. Die Mitwartenden – zumeist Usbeken – schweigen, reden leise, wippen nervös mit den Beinen. Es herrscht, wie in fast allen Ämtern in autoritären Staaten, ein Klima der Angst und Einschüchterung. Nach einer halben Stunde stehe ich vor dem Beamten und schiebe ihm meine Unterlagen zu. Er schaut sich alles an und fragt: „Sie sind also Journalist und wollen nach Usbekistan, um eine Reisereportage über das Land zu schreiben?“ „Richtig,“ sage ich. „Gut“, antwortet er: „Dann habe ich hier einen kleinen Text für Sie. In dem Text sind Rechtschreibfehler. Ich will, dass Sie die Fehler finden und mir sagen, ob Sie den Text verstanden haben.“

Ich stutze, bin überrascht, frage nach: „Ich soll jetzt in diesem Text die Fehler ankreuzen?“ Er antwortet: „Ja, machen Sie das“, und gibt mir mit einer Handbewegung zu verstehen, dass ich auf die Seite gehen soll.

Ich kreuze die Rechtschreibfehler an. Der Text ist ein einziger langer Bandwurmsatz, hundsmiserabel geschrieben. Er handelt von einem tschechischen Botschafter, der sich in Taschkent, der Hauptstadt Usbekistans, ungebührlich verhalten hat und deswegen des Landes verwiesen wurde. Ich bin verwirrt, gehe mit dem korrigierten Text wieder zu dem Beamten. Er sagt: „Wie ich sehe, haben Sie die Fehler gefunden. Wie fanden Sie den Text?“ Ich sage: „Unglaublich schlecht geschrieben. Er fragt: „Wie meinen Sie das?“ Ich sage: „Dieser Text braucht mehr Hauptsätze.“ Er scheint not amused zu sein und sagt verärgert: „Das meine ich nicht. Wie fanden Sie den Text, haben Sie ihn verstanden?“ Ich antworte: „Na klar habe ich ihn verstanden: Ein tschechischer Diplomat hat sich in ihrem Land ungebührlich verhalten und wurde deshalb ausgewiesen.“

Der Beamte scheint mit meiner Antwort zufrieden zu sein. Er lächelt selbstherrlich vor sich hin und sagt: „Na, dann ist ja alles gut.“ Er fordert mich zum Gehen auf. Eine Woche später bekomme ich ohne weitere Komplikationen mein Visum zugeschickt.

Diese kafkaeske Aktion in der Botschaft war ein ziemlich erbärmlicher Versuch der Einschüchterung. Usbekistan ist eine Diktatur, scheindemokratisch regiert von Islam Karimow, der seit Erklärung der Unabhängigkeit von der Sowjetunion im Jahre 1991 als Alleinherrscher an der Spitze des Staates steht. Bei der letzten Wahl erhielt er 90 Prozent der Stimmen, eine Opposition gibt es nicht.

Einen „islamistischen Aufstand“ im Ferghanatal im Jahre 2005 beendete er durch den Einsatz des Militärs – 500 Demonstranten wurden erschossen. Laut Human Rights Watch sitzen zurzeit 7.000 Menschen wegen politischer oder religiöser Vergehen im Gefängnis. In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Usbekistan auf Platz 160 von 175 Staaten. Amnesty International bezeichnet das Land wegen notorischer Verletzung der Menschenrechte als „eines der repressivsten der Welt“.

Ein paar Tage später stehe ich bei 40 Grad im Schatten in Taschkent. Die Hauptstadt Usbekistans ist mit ihren 2,6 Millionen Einwohnern das industrielle Ballungszentrum des Landes und dürfte jeden Orientliebhaber maßlos enttäuschen. 1966 wurden weite Teile der Stadt durch ein Erdbeben zerstört und danach im Geiste einer sowjetsozialistischen Stadtarchitektur wieder aufgebaut. Breite, mehrspurige Straßen werden von kilometerlangen Plattenbausiedlungen gesäumt, und auf dem Unabhängigkeitsplatz, im Zentrum der Hauptstadt, stehen die neu erbauten monumentalen Regierungsgebäude der Karimow-Regierung.

Pflichtbesuch in Taschkent

Es gibt eine Tram, ein gut funktionierendes Omnibusnetz und die einzige U-Bahn Zentralasiens. Wären da nicht die Hitze und die zentralasiatischen Gesichter der Passanten, könnte man sich in einer x-beliebigen Stadt des ehemaligen Ostblocks wähnen. Gut, hier und da findet sich noch eine blau schimmernde Moschee aus dem 16. Jahrhundert oder ein Basar mit bunten Gewürzen und Schaschlikgeruch –mit orientalischem Flair hat das alles aber nichts zu tun.

Unseren Aufenthalt in Taschkent verdanken wir dem Präsidenten Karimow. Er hat angeordnet, dass jeder Tourist in der Hauptstadt landen und von dort auch wieder abfliegen muss. Die Modernität des Landes soll und muss gesehen werden. Gar nicht so schlecht, diese Anweisung des Präsidenten, denke ich – denn Taschkent mit seinem rauen, urbanen, sozialistischen Charme passt so ganz und gar nicht in die Imagekampagne Usbekistans als das Seidenstraßenmärchenland aus 1001 Nacht. Am Abend schon fliegen wir nach Chiwa.

Chiwa ist über 2.500 Jahre alt, liegt am Rande der Kysylkumwüste und war seinerzeit ein wichtiges Handelszentrum der historischen Seidenstraße. Die Moscheen, Medresen (Koranschulen) und Minarette der Stadt, die von einer mächtigen Befestigungsanlage umrahmt werden, flimmern mit ihren türkisblauen Keramikmustern und orientalischen Ornamenten in der Mittagssonne. Alte Männer in breiten Gewändern und weißgrauen Bärten flanieren die Altstadtgassen entlang. Aus den Innenhöfen der Häuser hört man das Blöken der Ziegen und Schafe. Lebhaft kann man sich vorstellen, wie einst die Karawanen mit ihren Handelswaren aus China und Indien durch die engen Gassen Chiwas zogen.

Kurz nach Chiwa, auf dem Weg ins 450 Kilometer entfernte Buchara, werden wir jedoch von der usbekischen Realität schnell wieder eingeholt. Man winkt uns an einem der unzähligen Straßenkontrollpunkte der Polizei an die Seite. Offiziell legitimiert man diese Checkpoints mit dem Kampf gegen des islamistischen Terror. Ebenso sollen sie den Drogenhandel, der aus dem benachbarten Afghanistan über die Grenze schwappt, verhindern.

Praktisch nur, dass man so auch die Bewegungen der eigenen Bevölkerung minutiös kontrollieren kann. Und die grimmig dreinblickenden, schlecht bezahlten Polizisten haben auch etwas davon. Rashid, unser Fahrer, verschwindet für fünf Minuten und kommt dann gut gelaunt wieder. „Nur ein kleines Bakschisch“, sagt er. Keine Probleme.

Wir durchqueren die Kysylkum-Wüste. 80 Prozent Usbekistans bestehen aus Wüsten-und Steppenlandschaften. Hunderte von Kilometern sehen wir nichts als Sand und eingestaubtes grünes Gestrüpp. Es ist eine sehr monotone Landschaft ohne Erhebungen und Sanddünen. Die Straßen sind in einem miserablen Zustand. Nach acht Stunden Fahrt erreichen wir Buchara.

Im Zentrum der Stadt befindet sich das große Wasserbecken Labi Hovuz. Früher diente das Wasserbecken der Bevölkerung zur Trinkwasserversorgung, als Waschplatz oder als Tränke für die Tiere der Seidenstraßenkarawanen. Heute ist es mit seinen vielen Restaurants und Läden ein beliebter Treffpunkt für Jung und Alt. Um das Wasserbecken herum gruppieren sich die mittelalterlichen Gebäude und Basare der Stadt. Allerorts sieht man prachtvolle Moscheen und Koranschulen mit Blumenornamenten, arabischen Kalligrafien und den allgegenwärtigen azurblauen Kuppeln.

Es ist Freitag. Die Menschen versammeln sich zum Gebet. 89 Prozent der Usbeken sind sunnitische Muslime. Teppiche werden vor den Moscheen ausgelegt. 200 Männer knien nieder. Der Imam hält seine Predigt. Feriz, unser Reiseleiter, erklärt uns, dass in Usbekistan der Muezzin nicht vom Minarett aus zum Gebet aufrufen darf. In gleicher Weise ist es dem Imam untersagt, von der Kanzel herabzupredigen. Eine Anweisung von Islam Karimow – denn in Usbekistan soll niemand, auch nicht die Religion, über dem Alleinherrscher stehen.

Am Abend spreche ich einen jungen Mann vor einer Disco an. Ich frage ihn auf Englisch, ob da drin noch etwas los sei. Er fragt zurück, ob ich auch Deutsch könne. Es stellt sich heraus, dass Jafar, so der Name des jungen Mannes, in Taschkent Germanistik studiert hat. Schnell freunden wir uns an, gehen gemeinsam ein Bier trinken. Sein Deutsch ist ausgezeichnet. Ich frage Jafar, wie er Karimow einschätzt. Er weicht aus, möchte nicht darüber sprechen, sagt, dass es immerhin ruhig in Usbekistan sei und die Islamisten hier keine Chance hätten.

Zum Heiraten gedrängt

Er wechselt das Thema, spricht lieber über die Liebe. Seine Eltern drängen ihn, obschon er erst 23 ist, zur Heirat. Er sagt: „Sie stellen mir die ganze Zeit Mädchen vor, mit denen ich dann spazieren gehen muss. Nach dem Spaziergang fragen sie mich: Und? Wie war sie? Aber ich fühle nichts, möchte aber meine Eltern nicht enttäuschen.“

Er unterscheidet zwischen dem „freien europäischen und dem traditionell usbekischen Blick“ auf die Liebe. Seine Eltern sagen immer wieder, dass es zuallererst darauf ankomme, ein anständiges Mädchen aus gutem Hause zu heiraten. Das mit der Liebe würde sich mit der Zeit schon ergeben. Jafar scheint mit der traditionellen Einstellung seiner Eltern nicht glücklich zu sein.

Wir bestellen uns noch ein Bier und einen Wodka. Dank der Sowjets bekommt man in Usbekistan überall guten und billigen Wodka. Mit dem Alkoholverbot scheinen es die Usbeken nicht so genau zu nehmen. Jafar erzählt mir, dass viele Usbeken mit ihren Gläsern unter dem Tisch anstoßen – dort schaue Allah nicht so genau hin. Später spricht er noch über seine Zeit in Deutschland. Für drei Monate war er als Austauschstudent in Köln.

Wir fahren weiter nach Samarkand, sehen endlose Baumwollfelder, die der Wüste durch künstliche Bewässerung abgetrotzt wurden. Usbekistan ist der drittgrößte Baumwollexporteur der Welt. 80 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche dienen dem Anbau der Baumwolle. Die übermäßige Wasserentnahme aus den Flüssen hat jedoch zu schweren ökologischen Schäden und einer starken Bodenversalzung geführt. Der Aralsee im Nordwesten Usbekistans, einst eines der größten Binnengewässer der Welt, steht kurz vor der Austrocknung.

Wir halten an einem der Felder an. Einige Knospen haben sich bereits geöffnet, zeigen ihr flaumiges Weiß. Feriz, unser Reiseleiter, sagt, dass die Baumwollernte bald beginne. Und dann müssten alle mit anpacken – so werde zum Beispiel jeder Student des Landes auf Anweisung von Karimow zur Baumwollernte abkommandiert. Auch er selbst habe früher während seiner Studienzeit Baumwolle gepflückt.

Hinter den Baumwollfeldern liegt das sagenumwobene Samarkand. Im Herzen der 2.750 Jahre alten Seidenstraßenmetropole, die Goethe bereits in seinem „West-östlichen Divan“ pries, liegt der Registanplatz mit seinen monumental in den Himmel ragenden Medresen. Man flaniert durch atemberaubende Spitz-und Rundbögen, die Fassaden sind mit kunstvollen orientalischen Ornamenten verziert, und die grün-azurblauen Kuppeln glitzern im sanften Licht der untergehenden Abendsonne.

Unweit des Registanplatzes steht das nicht minder beeindruckende Gur-Emir-Mausoleum, die Grabstätte von Timur Lenk, einem zentralasiatischen Eroberer vom Ende des 14. Jahrhunderts, dessen Reich sich auf dem Höhepunkt seiner Macht von Indien bis in die Türkei hinein ausdehnte. Er gilt als einer der brutalsten Herrscher der Weltgeschichte – Hunderttausende Menschen ließ er ermorden oder im Elend verrecken. Karimow inszeniert diesen grausamen Herrscher als Ahnen aller Usbeken – statt Marx und Engels ein Denkmal zu setzen, ließ er in nahezu jeder Stadt eine Timur-Lenk-Statue errichten.

Usbekistan ist das Land der Melonen. Überall gibt es sie zu kaufen, in den Geschäften, auf Basaren, in Restaurants und am Straßenrand. Die usbekische Melone ist berühmt: Bereits im Mittelalter soll sie in eigens dafür angefertigten Eiskübeln nach Bagdad an den Hof des Kalifen geliefert worden sein. Der Kauf einer Melone gleicht in Usbekistan einer komplizierten wissenschaftlichen Recherche. 800 verschiedene Sorten soll es geben, und bevor ein Usbeke eine Melone erwirbt, riecht, klopft und schüttelt er sie so lange, bis er glaubt, das perfekte Stück gefunden zu haben. Usbekistan ist keine Bananenrepublik, nein, Usbekistan ist zu 100 Prozent eine Melonenrepublik.

Wir fahren zurück nach Taschkent. Sie wissen schon – Anweisung von Karimow: Jeder Tourist muss in Taschkent landen und von dort auch wieder abfliegen.

Am Taschkenter Flughafen wird Gertrude, eine unserer Mitreisenden, von der Polizei verhört. Ihre Vorfahren waren Wolgadeutsche, die von Stalin nach dem Zweiten Weltkrieg nach Sibirien deportiert wurden. 1956, nach einem Besuch Adenauers, wurden sie nach Usbekistan umgesiedelt. Unsere Mitreisende verbrachte ihre ersten 14. Lebensjahre in Taschkent. Später zog sie in die DDR. Heute ist sie 58 Jahre alt. Es ist ihr erster Besuch in Usbekistan seit ihrer Ausreise.

Am letzten Tag fuhr sie mit einem Taxi in den Stadtteil ihrer Kindheit. Sie besuchte ihre alte Kirche und Schule. Am Flughafen fragt sie der Polizist, was sie dort gemacht habe und weshalb sie in Usbekistan gewesen sei. Wir wurden auf dieser Reise auf Schritt und Tritt von Karimows Geheimdienst überwacht. Überrascht hat das niemanden.