: Schwer zu bändigende Nahrung aus Fernost
EINWANDERER Wollhandkrabben gelten in China als Delikatesse. Unser Autor brachte sie nicht mal mit viel Reis und Sojasoße runter
Hinter meinem Kühlschrank sind zwei, eine ist unterm Bücherregal und drei laufen laut klappernd über den Flur. Mit ihren acht Beinen sind sie verdammt schnell. Kaum habe ich eine eingefangen, ist auch schon die nächste ausgebüxt. Bald habe ich den Überblick verloren. Überall in der Wohnung klappert es. Hätte ich mich bloß nicht dazu überreden lassen, an diesem Sonntag auf den Fischmarkt zu gehen!
Weich zeichnen sich im Morgenlicht die Konturen der Menschen an der Hafenkante ab. Es regnet. „Neozoon“, sagt der Fischer und deutet auf einen großen gelben Kanister, aus dem ein ununterbrochenes Klappern zu hören ist. Der Fischer steht auf dem Kutter „Cux 25 Elvstint“ unten am Fischmarktanleger und verkauft seine Ware direkt von Bord. In dem Kanister drängen sich große graue Krebse: Wollhandkrabben.
„Sie gehören hier nicht hin“, sagt der Fischer. Im Ballastwasser der Handelsschiffe seien sie im 19. Jahrhundert nach Europa gekommen und schnell zur Plage geworden. „Sie sind sehr robust“, sagt er. Rund eine Woche könnten sie überleben, nachdem er sie aus der Elbe gefischt habe.
„Shanghai-Krabben“, sind die Tiere für Madame Zhang, die zum Einkaufen an den Kutter gekommen ist. „Ihr nennt sie Wollhandkrabben“, sagt sie – wegen der Haare, die sie an den beiden Greifarmen haben. „Als ich ein Kind war“, berichtet Zhang, „gab es die Krabben immer nur zu ganz besonderen Anlässen.“ Die Flusskrebse gelten in China als Delikatesse. In den letzten Jahren sind sie dort jedoch immer rarer und teurer geworden.
Pur schmeckten sie am besten, versichert Zhang. „Man teile sie mit einem Beil oder scharfen Messer in der Mitte durch, werfe sie in kochendes Wasser und genieße sie ohne Beilage mit einem Glas gelben Reiswein.“
Ich kaufe ein Kilo. Der Fischer sticht mit einer Schaufel in die sich träge bewegende schwarzbraune Masse. Sofort wird das Klappern lauter, die Bewegung epileptisch. Rund 30 handgroße Krabben bekomme ich für drei Euro. Der Fischer drückt sie in ein Netz, bindet es fest zu und verabschiedet sich.
Am Abend öffne ich das Netz. Die Tiere entfliehen in alle Richtungen. Ich setze Wasser auf, warte bis es kocht und werfe einen Teil der Krabben hinein. Sie erstarren im ersten Augenblick. Nach einer Weile werden sie rot. Manche verlieren ihre beharrten Beine und Scherenhände.
Neben Chinesen und Betrunkenen würden auch ab und zu Feinschmecker und Restaurantköche die Krabben kaufen, hatte der Fischer erzählt. Als Beilage mache ich mir Reis und Chinagemüse. Mit einem Messer breche ich die erste Krabbe auf. Mir kommt eine unangenehm riechende, schmierig gelbe Flüssigkeit entgegen. Ich pule das glitschige Fleisch aus dem Panzer und probiere es. Aber ich bekomme es nicht runter. Auch mit Reis und extra viel Sojasoße nicht.
Um sie zu töten, koche ich auch die restlichen Krabben. Dann werfe ich sie in den Müll und gehe ins Bett. Beim Einschlafen höre ich ein lautes Klappern aus der Küche. Klappern aus dem Flur … JOHANN TISCHEWSKI