piwik no script img

Archiv-Artikel

Zockertempel als Startkapital

duisburger Spielbank

Ein wuchtiger Komplex aus Glas und Sandstein ziert neuerdings die Duisburger City. Neben Einkaufspassage, Restaurants und Bars birgt das City Palais ein Casino: eine Spielhölle für alle im Herzen der Stadt. Und der Bau ist erst der Anfang einer groß angelegten Stadterneuerung

AUS DUISBURG BORIS R. ROSENKRANZ

Schon möglich, dass dieser Abend ein schlechtes Ende nehmen wird für die brünette Frau an Tisch 15. Nervös ist sie, führt fortwährend Selbstgespräche, die aber hoffentlich jeder hört, und vor allem: Sie hat gerade wieder im Roulette verloren. Während der Croupier die Jetons vom Tisch kehrt, kramt die Frau Augen rollend eine Zigarette aus ihrer Handtasche. Vielleicht sollte sie jetzt lieber gehen. Vielleicht all das Geld, das sie hier verpulvert, in die Riester-Rente stecken oder sinnvoll anlegen. Macht sie aber nicht. Sie spielt weiter, ist ja noch früh, gerade halb zwei. Das Casino Duisburg schließt erst um vier Uhr morgens.

Drei Spielbanken gab es bislang in Nordrhein-Westfalen: in Dortmund, Aachen und Bad Oeynhausen. Das hier ist jetzt die vierte und damit letzte, die genehmigt wurde. Wir befinden uns gerade im Obergeschoss, beim so genannten Klassischen Spiel, also American Roulette, Poker, Black Jack. Das Auffälligste hier sind die Lampen: weiße Scheiben, die sich an den Rändern nach oben wölben wie Aufschnitt, der zu lange in der Sonne gelegen hat. Außerdem: Sterne an der Decke, Spiegelsäulen, schwarz glänzende Wände, gewissermaßen der Spielhimmel. Eine Etage tiefer klimpern und blinkern dagegen 325 Daddelautomaten Nerv tötend vor sich hin. Alles bunt und computergesteuert. Das ist die Spielhölle.

An diesem Samstagabend sind Himmel und Hölle gut besucht: viele Asiaten, ernst dreinblickende Südländer, Männer mit Kassenbrille und rheinischem Dialekt, eine grauhaarige Frau im Rollstuhl, kurzum: Es ist voll, was auch daran liegen mag, dass man hier nicht zwingend im Kleid oder Zweireiher zu erscheinen hat, sondern lediglich „stilvoll“ und „modern“. Das wiederum sind angesichts vieler Anwesender zwei äußerst dehnbare Begriffe. Einige hier hätten vermutlich schon Probleme, in eine mittelschicke Dorfdisse zu kommen. Einerlei: Von den Croupiers werden sie trotzdem mit Monsieur und Madame angeredet.

Ansonsten ist Deutsch die Dienst- und Spielsprache. Kein Schnickschnack, kein großspuriges Getue. Eine Spielbank für alle quasi, sozusagen barrierefrei, was der kriselnden Casino-Branche nur Recht sein kann. Im Gegensatz zu den Suchtexperten. Als das Casino im Februar eröffnete, schlugen die sofort Alarm. Ein neues Casino, warnten sie, schaffe auch neue Suchtkranke. Die Frau an Tisch 15 würde vermutlich bereits als gefährdet eingestuft, als legitime Nachfolgerin von Alexej, dem Suchtzocker in Dostojevskis Roman „Der Spieler“. Dabei zockt sie nicht wie andere hier, die alle fünf Minuten einen Hunderter eintauschen.

Trotzdem gibt es Leute, die sich freuen können, dass die Frau wenigstens etwas ihrer Barschaft hier lässt, etwa NRW-Finanzminister Helmut Linssen (CDU). 80 Prozent der Einnahmen, die von der landeseigenen Westspiel-Gruppe erwirtschaftet werden, muss die größte Casino-Betreiberin Deutschlands an gemeinnützige Organisationen und die öffentliche Hand auszahlen. Das ist so Gesetz. Und brachte allein 2005 148 Millionen Euro ein.

Untergebracht ist das laut Eigenwerbung „modernste Casino Deutschlands“ in einem wuchtigen Multifunktionstempel namens City Palais, der schon vor seiner Entstehung in Duisburg für Ärger sorgte. Früher nämlich stand an diesem Ort, zwischen Theater und Einkaufsmeile, die Mercatorhalle. Der Sechzigerjahre-Bau gehörte nicht eben zu den schönsten seiner Zeit. Doch da der Mensch oft nostalgisch veranlagt ist, kämpfte eine Bürgerinitiative für den Erhalt – bis der damalige grüne Bauminister Michael Vesper den Abriss Ende 2002 genehmigte, geknüpft an die schwammige Bedingung, dass bitteschön „mit hoher Qualität neu gebaut“ werde.

Wenn Qualität bedeutet, dass es ziemlich teuer wird, ist so weit alles glatt gelaufen. Insgesamt soll der Komplex aus Glas und Sandstein, aus dessen Seitenfront eine Art Schiffsbug ragt, rund 150 Millionen Euro verschlungen haben. Entworfen wurde er vom Düsseldorfer Büro des britischen Promi-Architekten Chapman Taylor. Und so wuchs für das Geld binnen drei Jahren nicht nur das allein 8.000 Quadratmeter große Casino aus dem Boden, sondern noch weitere Einrichtungen, die sich zur Zerstreuung bewährt haben: eine Einkaufspassage, Restaurants und Bars – und eine neue Mercatorhalle mit zwei Sälen, die zusammen rund 2.300 Menschen fassen.

Als der Bau Ende April dort mit einem Fest offiziell eingeweiht wurde, sprühte die lokale Politprominenz vor Freude. „Das ist jetzt Bundesliga, die alte Halle war nur Kreisliga“, sagte Stadtkämmerer Peter Langer. Und Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) sprach vom „neuen Herzen der Stadt“, bevor ein längst in Rente geglaubter Sänger namens Howard Carpendale die Einweihungssause mit Liedgut beschmalzte.

Stararchitekt Sir Norman Foster: „Wir haben den Ehrgeiz, die Identität der Stadt zu stärken“

Sicher ist jedenfalls, dass dies nicht die letzte Party war in Duisburg. Denn das City Palais ist erst der Anfang einer groß angelegten Stadterneuerung. Schräg gegenüber, vis-à-vis zum Theater, recken sich bereits die nächsten Baukräne zum Himmel. Hier entsteht mit dem Forum Duisburg noch ein Einkaufszentrum, Eröffnung ist im kommenden Jahr. Und für die weiteren geplanten Großprojekte hat sich Sauerland einen bekannten Mann ins Boot geholt: den britischen Stararchitekten Sir Norman Foster, der unter anderem den Berliner Bundestag verkuppelte.

Foster kennt sich aus in Duisburg. Anfang der 90er Jahre hat er hier aus einem Brachland namens Innenhafen einen Kultur- und Kreativkai gezimmert. Anfang diesen Jahres legte er dann seinen Masterplan für die Innenstadt vor. Dessen vornehmliches Ziel ist es, die Einwohnerzahl in der City langfristig um ein Viertel zu steigern, indem man deren Image aufpoliert: also mit privaten Geldern die Stadt begrünt und den Rhein besser „integriert“. Sprich: weg von der einstigen Malocherstadt, hin zum Oberzentrum für Freizeit und Kultur. Oder in den Worten Fosters: „Wir haben den Ehrgeiz, die Identität der Stadt zu stärken.“

Dass diese Identität überhaupt gestärkt werden muss, ist nicht zuletzt einigen Medien und einem gewissen Horst Schimanski zuzuschreiben. Geht es darum, Städtesterben zu illustrieren oder missglückten Strukturwandel, tauchen in der Presse gerne Fotos der Problemstadtteile Bruckhausen oder Marxloh auf. Zudem transportierte der Schimanski-Tatort im Ersten seit Anfang der Achtzigerjahre ein solch schiefes Bild der Stadt, dass es im Rathaus nur so brodelte.

Mittlerweile hat man sich mit Schimanski zwar einigermaßen versöhnt. Die Fakten außerhalb der Medienrealität aber bleiben alles andere als rosig. Stichwort: Arbeitslosenquote. Duisburg hat die höchste in den alten Bundesländern. Da kann ein bisschen Wandel nicht schaden. Im Casino steht die brünette Frau immer noch an Tisch 15 und spielt. Mittlerweile setzt sie auf alle drei Dutzend gleichzeitig, obwohl das gewinnende Dutzend dreifach ausgezahlt wird. Ein Nullsummenspiel, vollkommen sinnlos. Der Croupier lächelt sie mitleidend an. Und die Frau, sie murmelt, dass es ein Fehler gewesen sei, heute hier her zu kommen. Aber gleich hat sie es geschafft. Anderthalb Stunden noch, dann ist Feierabend.